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Syrien - Strategieloser Westen

Alexander Drechsel7. September 2013

Von einem "Schuss vor den Bug" spricht US-Präsident Obama mit Blick auf einen Militärschlag gegen Syrien. Und dann? Experten bemängeln die Planlosigkeit der Westmächte. Eine "Bestrafungsaktion" greife zu kurz.

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Der Schatten eines Mannes umgeben von Rauchwolken (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/Goran Tomasevic

Der mutmaßliche Chemiewaffen-Einsatz im Osten der syrischen Hauptstadt gilt weltweit als Akt der Barbarei. Die meisten sind überzeugt: Wenn mit Waffen geschossen wird, die wahllos sowie massenhaft töten und zudem von fast allen Staaten der Welt geächtet sind, müssen die Verantwortlichen für den Einsatz zur Rechenschaft zogen werden - insbesondere wenn hauptsächlich schutzlose Zivilisten Opfer dieses Kriegsverbrechens sind.

Die USA wollen mit militärischen Mitteln antworten. Ein Angriff werde maßgeschneidert und begrenzt sein, hatte US-Präsident Barack Obama gesagt. Es sei ein "Schuss vor den Bug", um vor der Verwendung von Chemiewaffen abzuschrecken.

Ex-General zweifelt an militärischem Nutzen

Doch sind gezielte Militärschläge tatsächlich ein geeignetes Mittel, um auf den Chemiewaffen-Einsatz vom 21. August zu antworten? Die Frage entzweit nicht nur NATO und Europäische Union. Auch viele Experten sind uneins. Ausgerechnet ein ehemaliger hoher Militär bezweifelt in der aktuellen Situation den Sinn von gezielten Luftangriffen. "Es geht hier jetzt um eine reine Bestrafungsaktion, aufgrund des Überschreitens einer bestimmten Grenze", so der pensionierte deutsche Vier-Sterne-General Egon Ramms im DW-Interview. Der Chemiewaffen-Einsatz dürfe zwar nicht straffrei bleiben. Aber jetzt mit einem reinen Militärschlag zu antworten, "ist nicht mein Idealbild von einem militärischen Einsatz, der einem bestimmten Zweck folgt".

General a.D. Egon Ramms (Foto: DW/A. Drechsel)
Ex-General Egon Ramms ist gegen eine rein militärische BestrafungsaktionBild: DW/A. Drechsel

Ramms, der bis 2010 für mehr als drei Jahre das NATO-Kommando im niederländischen Brunssum befehligte, stellt zudem die Wirkung von Angriffen in Syrien in Frage. Nach seiner Überzeugung wird beispielsweise die syrische Luftwaffe, die eine tragende Rolle für das Regime von Machthaber Baschar al Assad im Bürgerkrieg hat, nicht nachhaltig getroffen. Die Luftwaffe werde voraussichtlich "nur für einen befristeten Zeitraum in ihrer Einsatzfähigkeit eingeschränkt" sein. Danach werde sie im Prinzip so weiter agieren können wie zuvor auch schon.

Militärschläge haben eine Botschaft

Der Direktor der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Volker Perthes, befürwortete dagegen im DW-Interview einen militärischen Einsatz: Das internationale Verbot zum Einsatz von Chemiewaffen müsse geschützt werden, auch um eventuelle Nachahmungstäter abzuschrecken.

Volker Perthes (Foto: dpa)
Volker Perthes befürwortet Militärschläge gegen DamaskusBild: picture-alliance/dpa

Das Regime in Syrien müsse verstehen, dass wenn so etwas noch einmal vorkäme, die Strafen entsprechend härter ausfallen würden. "Gezielte militärische Schläge können genau diese Botschaft aussenden", sagte Perthes. "Wenn Assad sieht, dass ihm der Chemiewaffen-Einsatz zwar kurzfristig einen taktischen Vorteil gebracht haben mag, er darüber hinaus aber wichtige Fähigkeiten seiner Streitkräfte verliert, dann ist das eine klare Botschaft."

Syrien-Strategie ist "wohlgehütetes Geheimnis"

Auch für Zbigniew Brzezinski ist der Militäreinsatz der USA und ihrer Verbündeten gerechtfertigt. Im DW-Interview erklärte der frühere Sicherheitsberater unter US-Präsident Jimmy Carter: "Ein solcher Eingriff scheint zunächst aufgrund der Schwere des ganz klar unmenschlichen Verbrechens in Syrien moralisch vertretbar, aber man muss auch sehen, dass er unerwünschte Folgen haben kann."

Brzezinski mahnte an, dass die Lösung des Syrien-Konflikts weder rein militärisch erfolgen könne, "noch sollte man sie allein von den westlichen Mächten abhängig machen". Außer der Türkei und Russland müssten auch asiatische Staaten in den Prozess eingebunden werden, die Rohstoff-Interessen im Nahen und Mittleren Osten hätten. Aus Sicht Brzezinskis ist ein solcher Ansatz aber nicht zu erkennen; überhaupt sei die Syrien-Strategie der US-Regierung ein "wohl gehütetes Geheimnis".

Zbigniew Brzezinski (Foto: Zhang Jun)
Zbigniew Brzezinski beriet von 1977 bis 1981 den damligen US-Präsidenten Jimmy CarterBild: picture-alliance/Photoshot

Militärische Mittel müssen zivile Maßnahmen nach sich ziehen

Wissenschaftler Perthes und Ex-General Ramms fehlt ebenfalls die gemeinsame Linie des Westens. "Wir haben keine Syrien-Strategie", sagte Perthes. "Ich glaube, die große Aufgabe Deutschlands und Europas ist es, auch bestimmte arabische Verbündete dazu zu bekommen, einzusehen, dass es nicht darum geht, den Bürgerkrieg in Syrien zu gewinnen, sondern darum ihn zu beenden." Eine Übergangsregierung aus Vertretern der beteiligten Bürgerkriegsparteien sei ein Schritt in diese Richtung. "Einfach aus der Einsicht heraus, dass ein militärischer Sieg der ein oder anderen Bürgerkriegspartei nicht zu erwarten ist. Und dass es ganz wichtig wäre, das Land Syrien als solches zusammenzuhalten und nicht fragmentieren und explodieren zu lassen."

Der ehemalige General Ramms fordert politische Entscheidungen, nach denen sich die Militärs richten könnten. Aufgabe der Streitkräfte sei es, der Politik Zeit zu verschaffen, um dann "Unterstützung im Bereich der Entwicklungshilfe, der Wirtschaft, der Finanzen, der Landwirtschaft und dergleichen mehr Lebensgrundlagen für die Bevölkerung beschließen zu können - und damit auch letztendlich für einen längeren Befriedungsprozess".