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Steinmeier besucht Tschechien - per Bahn

25. August 2021

Auf der Zugfahrt nach Prag spricht der Bundespräsident mit Pendlern über die Corona-Pandemie. Sie fürchten, dass die Grenzen wieder geschlossen werden könnten. DW-Reporterin Sabine Kinkartz berichtet.

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Bundespräsident Steinmeier in Tschechien
Bild: Michal Kamaryt/CTK Photo/imago images

Wenn der Bundespräsident ins Ausland reist, dann benutzt er normalerweise ein Flugzeug. Dass es auch anders geht, zeigt der Besuch von Frank-Walter Steinmeier in Tschechien. Mit dem Zug fuhr er am Mittwoch von Berlin nach Prag. Es ist seine erste Auslandsreise mit der Bahn und zugleich die am längsten geplante. Wegen der Corona-Pandemie musste der Besuch in Tschechien mehrfach verschoben werden.

Gut vier Stunden dauert die Fahrt von Berlin nach Prag. Zeit, die Steinmeier für Gespräche nutzte. "Wir haben Menschen eingeladen, die regelmäßig jeden Tag pendeln, um auf der jeweils anderen Seite ihres Heimatlandes ihrer Arbeit nachzugehen." Er wolle hören, welche Erfahrungen die mehr als 50.000 Pendler während der Pandemie gemacht haben, sagte der Bundespräsident. "Mit Grenzschließungen, die uns schon fast unbekannt geworden sind, die nicht nur bei den Pendlern zu Schwierigkeiten geführt haben, sondern, so denke ich, auch das Gefühl beiderseits der Grenze beeinflusst haben."

Eine Zäsur in den Beziehungen

Davon berichtet der Hochschullehrer Jan Kvapil dem Bundespräsidenten. Der Tscheche, der in der Grenzregion lebt, erzählt von Familien, Vereinen, Schulpartnerschaften und Kirchengemeinden, die auseinandergerissen worden seien. "Geschlossene Grenzen kannte ich nur aus dem Kommunismus." Nie habe er sich vorstellen können, das das auch im vereinten Europa möglich sein könnte.

Auch wenn die Grenzen inzwischen wieder offen sind, kann von Normalität nicht die Rede sein. Kvapil spricht von einer "Zäsur in den Beziehungen". Vieles müsse erst wieder aufgebaut werden "und das ist äußerst schwierig." Schulen dürfen noch immer keinen Austausch planen. "Jetzt entsteht hier sozusagen an den Schulen eine Generation von Schülern, die wiederum wenig Kontakte zu ihren Schulkameraden oder Partnern in den Partnerschulen haben."

Bundespräsident Steinmeier in Tschechien
Präsident Steinmeier: per Bahn ins Nachbarland TschechienBild: Zapotocky Ales/CTK Photo/imago images

Niemand weiß, was die nächsten Monate bringen

Im April 2020 gründete Kvapil eine Bürgerinitiative, die Treffen an der grünen Grenze organisierte, "Von Österreich über die deutsche Grenze bis zur polnischen Grenze", wie er erzählt. 818 Kilometer misst die Grenze zwischen Deutschland und Tschechien, sie ist genauso lang wie die zwischen Deutschland und Österreich.

Momentan ruhe die Aktivität in der Initiative, so Kvapil, aber da niemand wisse, wie es im Herbst und Winter mit der Pandemie, den Infektionszahlen und den Reaktionen der Politiker weitergehe, könne es durchaus sein, dass "wir vielleicht wieder unsere Stimme erheben".

Nationalstaaten haben versagt

Er habe nach wie vor das Gefühl, dass die grenzübergreifende Koordinierung in der Pandemie "mangelhaft" sei, kritisiert Kvapil. Grenzschließungen dürfe es nicht noch einmal geben. "Also ich empfinde die heutige Lage als eine Art Versagen von Nationalstaaten und ich denke, vielleicht wäre es gut, wenn die Europäische Union eben in diesem Sinne mehr Kompetenzen hätte um diese Dinge zu koordinieren."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Tschechien
Zuzana Vintrova, Jan Kvapil und Katja Meier sind bei der Reise des Bundespräsidenten dabeiBild: Sabine Kinkartz/DW

Der Bundespräsident hört Jan Kvapil aufmerksam zu. Die Grenzschließungen in der Pandemie hätten "in Erinnerung gerufen, wie wichtig ein freies Europa mit offenen Grenzen ist, für das wir eintreten müssen", betont Frank-Walter Steinmeier.

Impfen als Dreh- und Angelpunkt

Ein Ziel, für das sich auch Katja Meier, die Staatsministerin für Justiz- und Europa des deutschen Bundeslands Sachsen, das an Tschechien grenzt, einsetzt. "Meines Erachtens darf es nicht wieder zu Grenzschließungen kommen, denn das hat einfach so viele Schwierigkeiten mit sich gebracht und das dürfen wir nicht noch einmal machen." Impfen sei mit Blick auf die kommenden Monate der "Dreh- und Angelpunkt". Sie wisse, dass ihr Bundesland da noch "eine Schippe drauflegen müsse", so Meier. Sachsen gehört zu den Bundesländern, in denen besonders viele Menschen eine Impfung ablehnen.

Das ist in Tschechien nicht anders. Nur 40 Prozent der Menschen seien dort bislang geimpft, berichtet Zuzana Vintrova, eine Tschechin, die seit 21 Jahren in Deutschland arbeitet. "Wir brauchen wirklich viele, viele geimpfte Pendler und darum kämpfen wir", sagt sie auf der Zugfahrt. Einfach sei das nicht. Inzwischen können sich Tschechen zwar auch in Deutschland impfen lassen, aber viele sind skeptisch.

Bundespräsident Steinmeier in Tschechien
Ehrerbietung für Sir Nicholas Winton am Prager Hauptbahnhof Bild: Michal Kamaryt/CTK Photo/imago images

Falschinformationen kursieren

"Bei uns gibt es viel Desinformation und die Leute glauben ganz ehrlich, dass ihnen ein Chip implantiert wird." Vintrova hat im vergangenen Jahr eine Pendlerinitiative gegründet, mit der sie sich für Erleichterungen im eingeschränkten Grenzverkehr einsetzte. Jetzt engagiert sich die Initiative für Impfungen. "Wir erzählen den Leuten, dass sie mit den Ärzten reden sollen und dass die ganze Desinformation über die Impfungen wirklich schlimm ist und es nicht wahr ist."

Eine knappe Stunde dauert das Gespräch zwischen dem Bundespräsidenten und den Pendlern im Speisewagen des Eurocity von Berlin nach Prag. Dort hielt der Zug im Hauptbahnhof an einem Gleis, auf dem eine Statue von Sir Nicholas Winton steht. Der britische Banker rettete 1939 kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs rund 670 Kinder jüdischer Familien aus Prag vor den Nazis. Auch sie fuhren mit dem Zug - ins Ausland.