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Spaniens Städte setzen auf Start-ups

Stefanie Claudia Müller Madrid
22. November 2018

Während das nationale Parlament nur noch streitet und blockiert, gehen Spaniens Bürgermeister in die Offensive und setzen auf Hightech und Start-ups. Stefanie Claudia Müller aus Madrid.

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San Sebastian
Bild: San Sebastian Turismo

Es regnet, und dann sieht auch eine der schönsten Städte der Welt traurig aus. Das Surfer-Paradies San Sebastián (Artikelbild) will sich jedoch von der Sonne immer unabhängiger machen und auch von politischen Entwicklungen. War der baskische Badeort vor 15 Jahren noch Brennpunkt des ETA-Terrorismus, herrscht jetzt Gründerstimmung. Dafür sorgen Menschen wie Mercedes Vila. Sie gehört zu den wenigen Talenten in Spanien, die in den vergangenen Jahren nicht nach London, Kalifornien oder Berlin ausgewandert sind. Stattdessen hat sie in dem rund 200.000 Einwohner groβen Ort mit anderen Wissenschaftlern ihr eigenes Unternehmen auf die Beine gestellt.  Vilas Firma "Bio.Tech.Food" ist in einem der öffentlich geförderten Inkubatoren der Stadt angesiedelt und könnte schon bald nicht nur die spanische Landwirtschaft revolutionieren.

Mercedes Vila
Mercedes Vila von Bio Tech FoodBild: Bio.Tech.Food

Das "Smart City"-Konzept haben Spaniens Städte perfekt umgesetzt

Die promovierte Biotechnologin stellt durch stimuliertes Zellwachstum Fleisch und Fisch im Labor her. Wir dürfen es nicht riechen oder anfassen, aber die Spanierin ist sich sicher: "2021 wird es im Supermarkt sein, weil die aktuelle Viehhaltung nicht rentabel ist." Sie ist nicht die Einzige, die daran forscht, aber so weit vorn wie sie sind nur wenige, sagt die Spanierin selbstbewusst. Abgesehen von den vielen Start-ups, die gegründet werden, auch im Bereich Mode, will San Sebastián Wachstum durch seine "Smart City" generieren, zu dem auch das Ökoviertel Txomin gehört, wo 1500 Wohnungen mit "grün" produzierter Fernwärme versorgt werden.

Bio.Tech.Food Wurst  Ethica Meat
Sieht aus wie Wurst, soll auch so schmecken und riechen... Bild: Bio.Tech.Food

Der in Kantabrien gelegene Kurort Santander hat schon im Krisenjahr 2012 gezeigt, dass "smart" werden sich langfristig lohnt. Die beim Spaziergang durch die am Meer gelegene Provinzstadt nur für das geübte Auge omnipäsente Datenerhehung und die dadurch erzielten Einsparungen haben das Interesse von  Investoren und Politikern aus aller Welt geweckt. Dank des damaligen Bürgermeisters von Santander, Iñigo de la Serna, gibt es inzwischen auch ein nationales Netz der "Smart Cities" und auch ein Netzwerk der "smarten" Tourismuszentren in Spanien. 

Madrid verliert als Machtzentrum an Bedeutung

So entstanden endlich die für Spanien so wichtigen industriellen Cluster: Biotechnologie (Valencia, Pamplona, San Sebastián), Telekommunikation, digitale Technologien und Webbusiness (Santander, Madrid, Barcelona, Málaga), Mobilität/erneuerbare Energien (Pamplona, Madrid, Valencia, Barcelona) und Filmwirtschaft/3-D Animationen (Alicante, Valencia, Barcelona, Madrid, Málaga).  Auch wenn keine Partei das offen zugeben würde: "Dass wir heute bei der angewandten Digitalwirtschaft noch vor Deutschland und Frankreich liegen, das hat auch mit der Krise zu tun, die uns gezwungen hat, aus unserer Komfortzone zu kommen", sagt der spanische Ökonom Aldo Olcese. Als der Konsum zwischen 2008 und 2014 einbrach, mussten schnell andere Zukunftsvisionen her. Die hohe Arbeitslosigkeit, die streckenweise bei 25 Prozent lag, konnte nur durch eine Dezentralisierung und Digitalisierung der Wirtschaft abgebaut werden.    

Einige der Lokal-Matadore wie Francisco de la Torre konkurrieren inzwischen offen mit den USA. Der 75jährige,  seit 2000 Bürgermeister von Malaga, glaubt, dass "Malaga Valley" bereits existiert. Von Silicon Valley ist Picassos pulsierende Geburtsstadt zwar noch weit entfernt, aber da, von wo jeden Tag 22 Destinationen in Großbritannien und 17 in Deutschland angeflogen werden, haben sich mit Dekra, Oracle, Google, Sage und Deloitte tatsächliche Tech-Hubs entwickelt. Grund sind natürlich auch die in Spanien im Vergleich zu Deutschland 30 Prozent niedrigeren Löhne für Ingenieure.

Spanien Francisco de la Torre
Francisco de la Torre, Bürgermeister von MalagaBild: DW/S. Müller

Sparen macht erfinderisch

Und während im Madrider Nationalparlament Premier Pedro Sánchez und Oppostionsführer Pablo Casado mit Francos Erbe und den katalanischen Separatisten hadern, spricht Vilas bereits mit lokalen Supermarktketten, Viehzüchtern und dem Bürgermeister über die Zukunft von "Bio.Tech.Food" und den Firmenausbau in San Sebastián. Jungen Gründern wie ihr ist es mit zu verdanken, dass im ganzen Land trotz knapper Mittel inzwischen mehr geforscht wird. Gab es in 1991 gerade mal 2134 Patentkonzessionen, erreicht die Zahl  in 2014 einen Rekord von 3235. Damit liegt das bisher vor allem auf Dienstleistungen orientierte Land noch immer sehr weit hinter Frankreich und Deutschland zurück, aber es verringert langsam den Abstand.

Infografik zugelassene Patente in Spanien DE

Einrichtungen wie der Technologiepark IDEAS in Malaga helfen dabei. Die dort ansässigen Firmen tragen inzwischen 20 Prozent zur lokalen Wirtschaftsleistung bei und schaffen jedes Jahr 1000 neue Arbeitsplätze. Weil jedoch die Gehälter so niedrig sind in Spanien, die offizielle Arbeitslosigkeit mit 15 Prozent immer noch immer hoch und die Schwarzarbeit sich auf ungefähr 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beläuft, suchen Bürgermeister wie de la Torre einen Ausweg aus dem Dilemma, auf der einen Seite Niedriglohn-Standorte zu sein auf der anderen Seite eigenes Talent genau aus diesem Grund zu verlieren. Das Durchschnittsgehalt in Spanien liegt bei rund 1500 Euro netto im Monat, der Mindestlohn bei 859 Euro. Premier Pedro Sánchez will diesen jetzt um 22 Prozent anheben, aber derzeit wird sein Haushaltsplan im Parlament blockiert wie viele andere seiner Ideen, welche das Land im Sinne der Bürgermeister voranbringen könnte.

Gegen alle politischen Widerstände

Daniel Brett ist spanische Politik ziemlich egal. Er hat vor drei Jahren in San Sebastián "Counter Craft" gegründet, einen Hacker-Fahnder. Die Firma versucht, Talente mit der durch Klima und Meereslage verbundenen hohen Lebensqualität zu locken: "Wir liegen mit unseren Gehältern natürlich weit unter Hotspots wie London oder Silicon Valley und die Stadt hier ist auch nicht billig", gibt Brett zu. Was ihm hilft: Für jedes lokale Talent, das er wieder zurückbringt nach San Sebastián, bekommt er rund 50.000 Euro von der Stadt als Zuschuss.

Die Resistenz der spanischen Bürgermeister und neuen Gründer aller politischen Farben gegenüber Gefahren wie der katalanischen Separatistenbewegung überrascht auch viele deutsche Unternehmen in Spanien: "Hier in Barcelona hat sich davon unabhängig mit '22@Barcelona' eine internationale Start-up-Szene  entwickelt, welche zusammen mit Konferenzen wie dem "Mobile World Congress" die richtigen Spezialisten und Investoren in die Stadt bringen", sagt Dirk Spangenberg, Geschäftsführer von Haribo in Spanien. In Barcelona wurden in diesem Jahr nach der Region Madrid die meisten der 13.710 Unternehmen gegründet. Auf dem dritten Platz liegt Andalusien.

Der damals von vielen Parteien stark kritisierte Austeritätskurs hat dem Land  somit nur gut getan, "auch wenn das keiner von den politschen Parteien offen zugeben würde", sagt Ignacio de Benito, der als Investor und Unternehmensberater hautnah sieht, wie Spanien sich in den vergangenen Jahren verändert hat: "Bisher haben wir immer mit Bewunderung auf Deutschland geschaut. Jetzt lernen andere Länder auch von uns."