Slowakei: Robert Fico nach Attentat außer Lebensgefahr
16. Mai 2024"Während der Nacht ist es den Ärzten gelungen, den Zustand des Patienten zu stabilisieren", sagte Vize-Regierungschef Robert Kalinak am Donnerstagmorgen der Nachrichtenagentur TASR. "Leider ist der Zustand immer noch sehr ernst, da die Verletzungen kompliziert sind", fügte er hinzu. Kalinak gilt als enger Vertrauter von Robert Fico und ist auch in der regierenden Linkspartei Smer sein Stellvertreter. Eine Krankenhaussprecherin teilte mit, Fico sei fünf Stunden lang operiert worden.
In der Nacht zu Donnerstag hatte Umweltminister Tomas Taraba mitgeteilt, nach seinem Kenntnisstand sei die Operation gut verlaufen. Fico befinde sich "im Moment nicht in lebensbedrohlichem Zustand", sagte der rechtspopulistische Politiker dem Sender BBC. Taraba ist einer von vier Vizeregierungschefs in Bratislava.
Robert Fico war am Mittwoch nach einer Kabinettssitzung in der Stadt Handlova von einem Attentäter niedergeschossen und schwer verletzt worden. Der 59-Jährige musste sich einer mehrstündigen Notoperation unterziehen. Das Krankenhaus hatte am Mittwoch eine Informationssperre verhängt.
Attentäter sofort festgesetzt
Die Polizei nahm den Angreifer fest. Nach Angaben von Innenminister Matus Sutaj Estok handelt es sich um einen 71-Jährigen aus der Kleinstadt Levice. Eine erste Vernehmung habe ergeben, dass er ein "klar politisches Motiv" gehabt habe, nämlich die Ablehnung der Regierungspolitik, sagte Sutaj Estok vor Journalisten in der Klinik in Banska Bystrica. Medienberichten zufolge soll der mutmaßliche Angreifer früher für einen privaten Sicherheitsdienst gearbeitet und deshalb einen Waffenschein besessen haben. Die Tatwaffe habe er legal besessen. In seiner Heimatregion soll er sich Medienberichten zufolge auch als Schriftsteller versucht haben.
Nach dem Attentat hat die Regierung der Slowakei für diesen Donnerstag eine Sondersitzung angesetzt. Zugleich wurde der nationale Sicherheitsrat zusammengerufen. Dem Rat gehören neben dem Regierungschef die Minister für Inneres und Verteidigung sowie weitere Minister aller drei Koalitionsparteien an.
Das Attentat hat das EU- und NATO-Mitgliedsland in einen Schockzustand versetzt. Die sonst hitzig geführte politische Debatte kam zum Stillstand. Eine turbulente Parlamentssitzung wurde abgebrochen und vertagt. Die liberalen Oppositionsparteien in der Slowakischen Republik sagten vorerst alle politischen Kundgebungen ab. Ursprünglich hatten sie just für Mittwochabend zu einer Massendemonstration gegen die vom Linkspopulisten Fico geführte Regierung und deren Plan einer Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS aufgerufen.
Internationales Entsetzen
Auch international löste das Attentat Bestürzung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat auf Fico "unerträglich". "Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt", sagte Scholz. Gewalt dürfe "keinen Platz haben in der europäischen Politik". Bundesaußenministerin Annalena Baerbock rief nach dem Angriff auf Fico zur Verteidigung der Demokratie gegen Hass und Hetze auf. "Wir sehen immer wieder, wie Hass in Gewalt umschlägt und wie sie jeden treffen kann", sagte die Grünen-Politikerin im Bundestag in Berlin.
US-Präsident Joe Biden sprach von einer "schrecklichen Gewalttat". "Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", erklärte er. Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen verurteilte den "abscheulichen Angriff".
Fico hatte erst vor Kurzem der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Ein Hang zum Polarisieren
Fico ist Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Als Fico im Oktober 2023 Regierungschef wurde, stoppte er die Militärhilfe der Slowakei für Kiew und stellte die Souveränität der Ukraine in Frage.
Gegner nennen ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Ungarn unter der Ägide des mit autoritären Mitteln regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orban führen zu wollen. Tatsächlich aber hat die Slowakei im Unterschied zu Ungarn seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt - einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU, nicht aber zur NATO.
Zuletzt sorgte Fico mit kontroversen Veränderungen im Land für Massenproteste. So beschloss seine Regierung eine viel kritisierte Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die nach Ansicht von Journalistenverbänden und Oppositionsvertretern die Pressefreiheit untergräbt.
kle/sti (dpa, afp)