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Selenskyj bei Scholz in Berlin: Russland macht Druck

15. Februar 2024

Die Lage in der Ost-Ukraine ist prekär. Eine gemeinsame Waffenproduktion mit westlichen Firmen soll helfen - doch die braucht Zeit. Präsident Wolodymyr Selenskyj will in Berlin über Hilfen sprechen.

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Ukrainische Artilleriestellung an der Front in der Ukraine in einem schneeverschneiten Waldstück. Ein ukrainischer Soldat lädt eine Haubitze vom Typ M777
Kaum noch Munition: Ein ukrainischer Soldat lädt eine Haubitze. Das Verhältnis liegt bei einer ukrainischen Artilleriegranate gegenüber fünf, die Russland abfeuern kannBild: Stringer/REUTERS

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reist nach Berlin zum Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Es ist ein denkbar schwieriger Moment seiner Streitkräfte im Abwehrkampf gegen Russland.

Es fehlt an Munition, während Russland immer mehr Druck macht, vor allem entlang der östlichen Front. Selenskyj soll auch an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnehmen, zu der sich rund 50 Staats- und Regierungschefs und zahlreiche Militärexperten angemeldet haben.

Das Bild zeigt den ukrainischen Präsidenten Selensky links sitzend an einem dunkelbraunen Holztisch bei einem Treffen mit Bundeskanzler Kanzler Scholz in New York nach einer UN-Sicherheitsratssitzung 2023. Auf dem Tisch stehen eine ukrainische und eine deutsche Fahne
Der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj (li.) im Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz in New York nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates 2023Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Artilleriegeschosse müssen die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten rationieren. Der fehlende Nachschub aus den gut 50 Unterstützernationen unter Führung - noch - der USA soll auch Thema in München sein, wo auch die US-Vizepräsidentin Kamala Harris erwartet wird.

Ukraine-Hilfe: Hängepartie in Washington

Mittlerweile hat der US-Senat, wo die Demokraten von Präsident Joe Biden eine knappe Mehrheit haben, neue Militärhilfen im Wert von 60 Milliarden US-Dollar (56 Milliarden Euro) für die Ukraine genehmigt.Doch ob auch eine Mehrheit in der zweiten Kammer, dem Repräsentantenhaus, dafür zustande kommt, bleibt ungewiss. Dort haben die Republikaner die Mehrheit, und vor allem die Unterstützer von Donald Trump wollen das Hilfspaket blockieren.

Selenskyj hat sich nach der positiven Entscheidung im Senat umgehend über die Plattform X bei den Senatorinnen und Senatoren bedankt.

Dass vor allem Munitionslieferungen aus den USA ausbleiben, hat Folgen an der Front in der Ukraine. Dort liegt das Verhältnis bei Artilleriemunition im Osten und Süden der Ukraine nach übereinstimmenden Berichten von Analysten des Kriegsgeschehens bei fünf russischen Granaten zu einer auf Seiten der Ukraine.

Munitionsmangel immer dramatischer

Oft blieben den ukrainischen Artillerie-Einheiten nur noch sogenannte Rauch-Granaten, um russische Stellungen zu beschießen. Solche Granaten sind eigentlich dazu gedacht, das Vorrücken von Panzern zu verschleiern. Man müsse sich das vorstellen wie bei Bleikugeln im Mittelalter, sagte diese Woche der CNN-Kriegsreporter Frederik Pleitgen, der nach seinem jüngsten Besuch an der östlichen Frontlinie in der ARD-Talk-Sendung "Maischberger" zu Gast war. Sie produzieren Rauch, das Metall fällt auf den Boden - in der Hoffnung, irgendetwas zu treffen.
 
Pleitgen berichtete auch von seinem Besuch bei einer Drohneneinheit der ukrainischen Armee. Drohnen mit angeschnallten Granaten, die erfolgreich über russischen Panzern und Schützengräben abgeworfen werden, bilden nach übereinstimmenden Militäranalysen derzeit den zentralen Pfeiler der ukrainischen Verteidigung. Er habe auf den Bildern von Drohnenkameras "Berge" toter russischer Soldaten und zerstörtes Kriegsgerät gesehen. Es werde auf russischer Seite nichts abgeräumt. Pleitgen schätzte die russischen Verluste auf mehr als 800 getötete Menschen jeden Tag. Russland schickt demnach kontinuierlich neue Soldaten an die Front. Die Frontlinie sei ein Massengrab.
 
Der Journalist Pleitgen sagt allerdings auch, dass die Ukraine mit ihrer "Guerilla-Taktik" des Drohnenkampfs Durchhaltevermögen zeige. Er glaube, dass die Ukraine auch ohne frische Waffen aus den USA "durchhalten wird".

Geländegewinne der russischen Armee

Der Ukraine fehlt es auch an Soldatinnen und Soldaten, viele sind seit zwei Jahren ununterbrochen im Einsatz und können nicht abgelöst werden. Auf der anderen Seite rekrutiert Russland offenbar jeden Tag 1000 neue Soldaten.

"Die Situation an der Front ist prekär", sagt der Militäranalyst Markus Reisner im DW-Interview. Der Oberst des österreichischen Bundesheeres beobachtet das Kriegsgeschehen in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion, die sich am 24. Februar zum zweiten Mal jährt.

Portraitaufnahme des österreichischen Militäranalysten und Oberst des Bundesheeres Markus Reisner
Der österreichische Militäranalyst und Oberst des Bundesheeres, Markus ReisnerBild: BMVL

Mit Beginn des dritten Kriegsjahres Ende Februar hat Reisner "mindestens 15 Stellen" identifiziert, an denen die russische Armee Geländegewinne macht. "In den letzten Wochen sind das teilweise bis zu sechs Kilometer Gelände, zum Teil aber auch nur einen halben Kilometer", so Reisner.

Und das vor allem, weil bei der Ukraine "immer weniger Präzisionsmunition, aber auch Artilleriemunition verfügbar ist." Russland hingegen spiele seine Übermacht in der Artillerie aus.

"Unterstützung aus USA unverzichtbar"

Er rechne damit, dass Russlands Angriffskrieg in der Ukraine "dieses Jahr einen Kulminationspunkt erreichen" wird. Das heißt, dass "sich aus militärischer Sicht die Situation in die eine oder in die andere Richtung radikal entwickeln kann". 

Europa und die 50 Unterstützernationen der Ukraine unter Führung der USA könnten sich in einer Situation wiederfinden, in der sie zusehen müssten, wie die Ukraine scheitert.

Bereits bei seinem Besuch in Washington bei US-Präsident Biden hatte der deutsche Bundeskanzler im Februar gewarnt: “Wir sollten nicht drumherum reden: Für die Frage, ob die Ukraine in der Lage sein wird, das eigene Land zu verteidigen, ist die Unterstützung aus den Vereinigten Staaten unverzichtbar."

Wie schwierig die Lage für die Ukraine nach der gescheiterten Gegenoffensive von 2023 ist, machte zuletzt auch der Sicherheitsexperte Gustav Gressel von der Berliner Denkfabrik ECFR (European Council on Foreign Relations) deutlich. Gressel prognostizierte gar, dass "das Jahr 2024 für die Ukraine die schwierigste Zeit seit den ersten beiden Monaten der umfassenden Invasion sein wird".

Joint Ventures für Waffenproduktion in der Ukraine

Tatsächlich versuche Kiew seit Mitte 2023, die eigene Rüstungsproduktion deutlich zu erhöhen. Es gebe ein "ehrgeiziges Programm, um die ukrainische Rüstungsindustrie aus der Vorkriegszeit nicht nur wiederzubeleben, sondern sie mit Hilfe westlicher Unternehmen sogar zu übertreffen", schreibt Gressel.

Im Januar bereiste der ukrainische Präsident die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die, gemessen an der Einwohnerzahl und ihrem Bruttosozialprodukt, die Ukraine am stärksten mit Kriegsgerät unterstützen.

Ukraine: Zwei Jahre an der Front

Nach Selenskyjs Treffen mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda teilten beide mit, dass Litauen die Ukraine weiterhin militärisch unterstützen werde. Und zwar auch durch "Zusammenarbeit der Verteidigungsindustrie einschließlich Joint Ventures, durch die Ansiedlung von Produktion in der Ukraine und durch die Erleichterung des Informationsaustauschs über relevante verteidigungsbezogene Forschung und Entwicklung".

"Enormer Kampfgeist"

Auch die polnische Regierung will die Rüstungsproduktion in der Ukraine unterstützen. Und der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hatte bereits zuvor eine solche Kooperation angekündigt. Doch auch das braucht offensichtlich Zeit.

Kurz vor Selenskyjs Besuch in Deutschland hat der Direktor des Nachrichtendienstes im nördlichen NATO-Land Norwegen den jährlichen Sicherheitsbericht des Landes vorgelegt. Darin schreibt Vize-Admiral Nils Andreas Stensønes, Russland hole in der Ukraine auf. Zwar zeige die "Ukraine weiterhin enormen Kampfgeist, aber das Land ist auf die Unterstützung des Westens angewiesen, um sich zu verteidigen und die Initiative zurückzugewinnen".