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PolitikNahost

Schura-Wahlen in Katar: Mehr Demokratie wagen?

Jennifer Holleis | Emad Hassan | Kersten Knipp
25. August 2021

Im Emirat Katar dürfen die Bürger erstmals Mitglieder eines Rates in Form einer Wahl bestimmen. Verbirgt sich hinter dieser Ankündigung wirklich ein Wille zur politischen Reform - oder bloß zur besseren Imagepflege?

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Katar | Shura | Wahlen in Doha
Abgeordnete in spe: Szene vor dem Registrierungsbüro für Kandidaten für den Schura-RatBild: AFP/Getty Images

Die Registrierungsbüros sind geöffnet: Katarische Staatsbürger jenseits des 30. Lebensjahrs können sich als Kandidaten für den Schura-Rat bewerben, dessen Mitglieder bei den für Anfang Oktober vorgesehenen Wahlen zu zwei Dritteln von den Bürgern des Landes bestimmt werden.

Die Wahl der Kandidaten ist ein Novum in der Geschichte des Emirats, das Anfang September sein 50-jähriges Bestehen feiert. Bislang wurden die 45 Mitglieder des Rates vom jeweiligen Emir, dem Staatsoberhaupt, "gewählt". Nun sollen die Bürger zwei Drittel der Abgeordneten wählen können. Nur die verbleibenden 15 Kandidaten bestimmt der Emir, derzeit der seit 2013 regierende Tamim bin Hamad al-Thani.

Das neue Verfahren setzt einen seit 2004 bestehenden Verfassungsartikel um, der wiederholt verschoben wurde. Damit wird die Partizipation der Bürger zumindest nominell stark erweitert: Bislang konnten die Bürger nur bei Kommunalwahlen und Abstimmungen über Verfassungsänderungen ihre Stimme direkt abgeben.

Der Schura-Rat ist nicht mit einem Parlament im westlichen Sinne zu vergleichen, hat aber durchaus Kompetenzen: Er stößt Gesetze an, muss dem jährlichen Haushaltsbudget zustimmen und kann Minister entlassen - vorausgesetzt allerdings, der Emir legt gegen die Beschlüsse des Rates kein Veto ein. Er bleibt der eigentliche Machthaber und behält in allen wichtigen Fragen das letzte Wort.

Katar | Shura | Wahlen in Doha
Geduld als politische Tugend: Kandidaten für den Schura-RatBild: AFP/Getty Images

Reform oder Imagepflege?

Die Wahl des Schura-Rates stelle dennoch eine wichtige politische Neuerung dar, sagt der kuwaitische Analyst Ahmed Yousef al-Mlifi. "Am Ende wird zwar kein wirklich demokratisches Parlament, sondern eher ein beratendes Gremium stehen. Insgesamt aber stellt die Wahl einen Schritt in Richtung Demokratie dar."

Weniger optimistisch sieht  dies der deutsche Experte und Politikwissenschaftler Eckart Woertz, Direktor des Hamburger GIGA Instituts für Nahost-Studien. Er sieht die Reform nur bedingt als Schritt in Richtung mehr Bürgerbeteiligung und verweist auf die repressiven Machtstrukturen in der Region. Dies gilt aus seiner Sicht für nahezu alle Staaten der arabischen Halbinsel. Selbst in Kuwait und Bahrain, wo es teils etwas mehr Bewegungsspielraum gebe, seien politische Freiheitsrechte erheblich eingeschränkt. In noch viel stärkerem Maß gelte dies für die anderen Golfstaaten - etwa Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und eben auch Katar. "Insofern scheint mir der Schritt eher für die Weltöffentlichkeit, im Sinne der Imagepflege, gedacht", so Woertz gegenüber der DW.

Von USA bis Taliban

Für die Umsetzung der Wahlrechtsreform dürfte die katarische Staatsführung mehrere Gründe haben. Einer davon dürfte dem Bemühen um das Image eines offenen, reformorientierten Staates entspringen. Seit längerem arbeitet das Land bereits in den Bereichen Kultur und Sport an einem neuen Image.

So könnte die jüngste Reform auch dazu gedacht sein, der seit einigen Wochen immer stärker werdenden Kritik an der politischen Kultur des Landes mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft 2022 entgegenzutreten.

Allerdings hätte das Land eine Imagekampagne bereits früher starten können, sagt die Nahost-Analytikerin Cinzia Bianco vom European Council on Foreign Relations. "Diese hätte sich etwa der Frage widmen können, warum das Land islamistische Gruppen unterstützt." In Katar halten sich Kader der ägyptischen Muslimbrüder und der palästinensischen Hamas ebenso auf wie solche der afghanischen Taliban, die in ihrem Heimatland gerade die Macht an sich gerissen haben. Zugleich ist Katar allerdings auch enger militärischer Partner der USA und derzeit durchaus auch im westlichen Sinne diplomatisch engagiert. So bietet sich das Emirat aktiv zur Vermittlung zwischen den Taliban und den westlichen Staaten an, die derzeit tausende Menschen aus Afghanistan evakuieren. Auch an diesen Maßnahmen beteiligt sich Katar. In dem Emirat verhandelt etwa auch der deutsche Diplomat Markus Potzel mit den Taliban.

Katar | Ankunft Afghanische Flüchtlinge | US Air Force
Internationales Engagement: Flüchtlinge aus Afghanistan auf dem Flughafen Al Udeid westlich von Doha. Die Basis wird vor allem von den US-Streitkräften genutztBild: A1c Kylie Barrow/U.S. Army/Planet Pix/ZUMA Wire/picture alliance

Nicht alle dürfen wählen

Dennoch sind nicht alle Kataris mit dem im September - pünktlich zum 50. Jahrestag der Staatsgründung - umgesetzten Wahlgesetz einverstanden. Nicht nur, dass katarische Staatsbürger ohnehin nur knapp 10 Prozent der fast 3 Millionen in Katar lebenden Menschen ausmachen - die weitaus meisten sind Gastarbeiter überwiegend aus asiatischen Ländern. Zudem schließt das Wahlgesetz auch ein Fünftel bis ein Viertel der Staatsbürger vom aktiven und passiven Wahlrecht aus. Wahrnehmen können dieses nur jene, die sich als gebürtige Kataris ausweisen können. Zu dieser Gruppe zählen die Nachkommen jener, die bereits vor 1930 auf katarischem Gebiet lebten und seitdem nicht wegzogen. Ebenfalls als Kataris gelten jene, die ihre Herkunft aus einer katarischen Familie nachweisen können.

Das ist aber unmöglich für jene, die nicht konstant auf dem Gebiet des 1971 gegründeten Staates gelebt haben. Das gilt insbesondere für einige Mitglieder verschiedener katarischer Stämme - allen voran des Murrah-Stammes - , die nach 1930 nicht konstant auf dem Gebiet des heutigen Katars lebten. Die damals vorherrschende nomadische Lebensweise brachte dies so mit sich.

Doch ist dies der wahre Grund - oder ist es eine politische Bestrafung, wie manche vermuten? Katars Herrschern dürfte jedenfalls gut in Erinnerung sein, dass sich einige Stammesmitglieder während des dreieinhalb-jährigen Boykotts des Landes durch Saudi-Arabien und dessen Partner auf die Gegenseite geschlagen hatten. 

So kam es im Umfeld der Wahlrechtsänderung zu Protesten von Mitgliedern des al-Murrah-Stammes. Eines ihrer Mitglieder, der Rechtsanwalt Hazza bin Ali al-Marri, veröffentlichte in den sozialen Medien mehrere Videos, in denen er seine Ablehnung des Wahlgesetzes in der jetzigen Form bekundete. Zusammen mit sechs weiteren Mitgliedern des Stammes wurde er daraufhin am 9. August verhaftet. Das Innenministerium warf ihm vor, er pflege einen "rassistischen Diskurs", der Sicherheit, Stabilität und Frieden der Gesellschaft gefährde.

Infografik Karte Qatar - Shura Council elections 2021 DE

Manipulierte Proteste?

Die Wahlrechtsreform löste unter dem Hashtag #BoycottQatarElections Proteste in sozialen Netzwerken aus, von denen viele Regime-treue Kataris annehmen, dass sie zu großen Teilen aus den Nachbarstaaten Saudi-Arabien, Bahrain und den VAE gesteuert sind. Auszuschließen ist dies nicht - doch was wäre das Motiv?   

Er gehe jedenfalls nicht davon aus, dass die anderen Golfstaaten wegen des reformierten Wahlgesetzes in Katar sonderlich besorgt seien, sagt der Politologe Eckart Woertz. Der Gedanke einer Demokratisierung in Katar dürfte dessen Nachbarn kaum in Unruhe versetzen, denn in allen Ländern auf der arabischen Halbinsel werde das aktive und passive Wahlrecht sehr restriktiv gehandhabt. "Das", meint Woertz, "dürfte insgesamt auch in Katar so bleiben."

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika