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PolitikEuropa

Bleibt Serbien Russland treu?

4. Mai 2022

Bundeskanzler Scholz empfängt den serbischen Präsidenten Vucic. Es geht um Sanktionen gegen Russland, aber auch um Kosovo. Dessen Premier Kurti kommt ebenfalls nach Berlin.

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Serbien Präsident Aleksandar Vucic
Bild: Jelena Djukic Pejic/DW

Es dürfte ein langer und unangenehmer Tag für Aleksandar Vucic in Berlin werden. Auf der Tagesordnung stehen viele kontroverse Themen. Der gerade wiedergewählte serbische Präsident wollte eigentlich noch vergangene Woche eine "Ansprache" an sein Volk halten, nun hat er diese auf den kommenden Freitag (6.05.2022) verschoben.

Wird Serbien sein Verhältnis zu Russland überdenken?

Im Zentrum der Berlin-Visite steht die Frage, ob das Balkanland seine russlandfreundliche Haltung aufgeben will. Rund zwei Drittel der Serben sehen in Russland den wichtigsten Verbündeten. Rechte Splitterparteien kommen regelmäßig zu Kundgebungen zusammen und rechtfertigen lautstark den russischen Krieg gegen die Ukraine.

Serbien bezieht rund 90 Prozent seines Gases von Gazprom, zurzeit zum "Brudertarif" von 270 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Auf dem Markt kostet Gas drei bis vier Mal so viel. Besonders pikant: Gerade wird über den neuen Lieferpreis verhandelt. Die Inflation in Serbien liegt bei mehr als neun Prozent, und ein russisches Gasembargo würde Vucics Wohlstandsversprechen an seine Landsleute zunichte machen.

Bundeskanzler Olaf Scholz dürften diese Überlegungen bekannt sein. Trotzdem schwindet in Berlin seit dem russischen Überfall auf die Ukraine das Verständnis für die serbische Schaukelpolitik zwischen Ost und West, Moskau und Brüssel. Die Vucic-Formel - wir verurteilen den Bruch der territorialen Integrität der Ukraine, lehnen aber jegliche Sanktionen gegen Moskau ab - scheint nicht mehr haltbar zu sein.

Aleksandar Vucic im offenen Hemd spricht in Mikrofone bei der Wahl in Serbien am 3.4.2022,
Wird sich Serbiens Präsident Aleksandar Vucic von Russland abwenden?Bild: Elvis Barukcic/AFP/Getty Images

Die Ouvertüre zu einer möglichen Wende in Belgrad kam vergangenen Donnerstag (28.04.2022) über die serbische Boulevardpresse, die Vucic und seine Fortschrittspartei an der kurzen Leine halten und indirekt finanzieren. Auf den Titelseiten griffen die Blätter, die Putin sonst kritiklos vergöttern, den Vergleich des russischen Präsidenten zwischen dem Donbass und der abtrünnigen ehemals serbischen Provinz Kosovo scharf an.

Kosovo, das "teuerste serbische Wort"

Olaf Scholz hat auch den kosovarischen Premierminister Albin Kurti nach Berlin eingeladen, trifft ihn jedoch von Vucic getrennt. Auch der EU-Sondergesandte für die Kosovo-Frage, Miroslav Lajcak, ist mit dabei. Unter seiner Führung werden sich Vucic und Kurti nach fast einem Jahr Funkstille doch wieder ins Auge schauen müssen.

Keiner von beiden dürfte erfreut darüber sein. Der Dialog über die sogenannte Normalisierung der Beziehungen liegt seit langem auf Eis. Belgrad erkennt die kosovarische Unabhängigkeit nicht an und beharrt auf der Bildung einer teilautonomen Körperschaft (ZSO) der von Serben mehrheitlich bewohnten Kommunen in Kosovo, die vor neun Jahren vereinbart wurde. Kurti lehnt das ab und wiederholt, dass jegliche Gespräche mit Belgrad zur gegenseitigen Anerkennung führen müssen.

Außenministerin Baerbock schüttelt die Hand von Ministerpräsident Albin Kurti im Kosovo
Unterstützung aus Berlin: Annalena Baerbock besucht Ministerpräsident Albin Kurti Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Jetzt will Scholz offenbar zeigen, dass das Kosovo-Problem während des Ukraine-Kriegs nicht vergessen wird. Im Gegenteil: Berlin will die Lücken auf dem Balkan dort stopfen, wo sich russischer Einfluss bemerkbar macht. Die Kosovo-Frage dürfte die größte Herausforderung für die deutsche Regierung sein: Schließlich wird Moskau in Belgrad als Schutzmacht betrachtet - das russische Vetorecht im Weltsicherheitsrat garantiert, dass Kosovo bei den Vereinten Nationen außen vor bleibt.

Bosnien: Achillesferse für Stabilität auf dem Balkan

Auch sonst will die Bundesregierung zeigen, wie wichtig der Westbalkan in ihren Augen ist. Der Grünen-Politiker Manuel Sarrazin ist zum Sonderbeauftragten für die Region ernannt worden, und in Bosnien bekleidet der frühere Bundesminister Christian Schmidt (CSU) die wichtige Position des Hohen Repräsentanten. Laut Daytoner Friedensabkommen (1995) kann dieser eigenhändig Gesetze erlassen oder kassieren.

Christian Schmidt an einem Rednerpult in Sarajevo
Der ehemalige Landwirtschaftsminister Christian Schmidt: seit 2021 Hoher Repräsentant für Bosnien-HerzegowinaBild: AP/picture alliance

Das tut Schmidt auch - vor allem angesichts der Bestrebungen der Republika Srpska (serbische Teilrepublik in Bosnien), sich immer unabhängiger zu machen. Milorad Dodik, der besonders Putin-freundliche Anführer der bosnischen Serben, droht regelmäßig mit einer Abspaltung.

So wird Dodik zunehmend ein Problem auch für Vucic, der sich im Westen jahrelang als "Stabilitätsfaktor" präsentiert hat und dafür seine Macht zuhause mit eiserner Faust sichern darf. In Berlin erwartet man, dass Vucic auf Distanz zu Dodik geht, was Eindruck auf viele Wähler in der Republika Srpska machen dürfte. Schließlich wird Belgrad und nicht Sarajevo als Hauptstadt angesehen.

Westen unbeliebt, aber doch wichtiger?

Obwohl er selbst seit Jahren antiwestliche Ressentiments in Serbien schürt, weiß Vucic, dass sein Land die Annäherung an die EU dringend braucht. Auch seine Wirtschaftspolitik orientiert sich in Richtung Brüssel. Rund zwei Drittel der serbischen Exporte gehen in die EU, dagegen ist Russland mit rund vier Prozent als Markt geradezu marginal. Allein deutsche Firmen beschäftigen rund 70.000 Menschen in Serbien, angezogen von billigen Arbeitskräften und üppigen Staatssubventionen.

In dem jüngsten Bundestagsbeschluss, in der zu Waffenlieferung an die Ukraine aufgerufen wird, verlangt die Bundesregierung, die EU-Vorbeitrittshilfen für jene Kandidaten zu "überprüfen", die westliche Sanktionen "unterlaufen". Gemeint ist damit wohl auch Serbien.

Vucic hat mehrmals betont, dass der westliche Druck auf Serbien stärker geworden ist. Welchen Sanktionen sich Belgrad eventuell anschließen könnte, ist derzeit aber noch völlig offen.

Ist ein schneller EU-Beitritt realistisch?

Wie alle Westbalkanstaaten ist Serbien offiziell auf dem Weg in die EU. Doch seit Jahren beschreiben Balkanexperten das so: Die EU tut so, als wolle sie Europas Südosten aufnehmen, und Serbien tut so, als wolle es sich reformieren.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unter einem Regenschirm beim Westbalkantreffen im Oktober 2021.
Beitrittsperspektiven? EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen beim Westbalkangipfel in Slowenien 2021Bild: Petr David Josek/dpa/AP/picture alliance

Mit dem Ukraine-Krieg deutet sich ein Funken Hoffnung an, dass es doch schneller gehen könnte. Scholz hat mehrmals betont, die EU müsse ihr Integrationsverspechen gegenüber den Balkanstaaten halten. Doch mit Emmanuel Macron sitzt im Elysee-Palast weiterhin ein bekannter Bremser der Erweiterung. Die Aufnahme neuer Länder ist auch unter westeuropäischen Wählern nicht besonders beliebt.

Deswegen befürchten Vucic-Kritiker zuhause, dass der serbische Machthaber weiterhin seinen faktischen Einparteienstaat ohne laute Kritik aus dem Westen autokratisch weiter führen darf. Das war auch in Zeiten von Angela Merkel so: Stabilität auf dem Balkan stand immer vor der Einhaltung von Demokratiestandards.