1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Saudi-Arabien und VAE: Ende einer Freundschaft?

26. Juli 2023

Viele Jahre lang arbeiteten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate politisch und wirtschaftlich eng zusammen. In jüngster Zeit konkurrieren die beiden Golfstaaten jedoch verstärkt miteinander.

https://p.dw.com/p/4ULPs
Der damalige saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (l.) und der damalige Kronprinz von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed Al Nahyan, Abu Dhabi, 2019
Mohammed bin Salman (l.) und Mohammed bin Zayed Al Nahyan: Partner oder Rivalen?Bild: Hamad Al Kaabi/Ministry of Presidential Affairs/AP/picture alliance

"Sie haben uns einen Dolch in den Rücken gerammt." Es waren drastische Worte, mit denen Mohammed bin Salman (auch MbS genannt), der Kronprinz und Premierminister Saudi-Arabiens, das Verhältnis seines Landes zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) umrissen haben soll. Lange hatten die beiden Golfstaaten politisch eng zusammengestanden, auf vielen Feldern Seite an Seite gearbeitet - die VAE galten dabei als eine Art moderner Juniorpartner der Saudis. 

Doch die Harmonie scheint hinter den Kulissen einer handfesten Rivalität gewichen zu sein, wie Beobachter der Region schon länger spekuliert hatten. Nun werden sogar konkrete Zitate kolportiert, die dies zu untermauern scheinen: "Sie werden sehen, wozu ich in der Lage bin", drohte MbS demnach im Dezember vergangenen Jahres in einem Hintergrundgespräch mit lokalen Journalisten, über das kürzlich das Wall Street Journal berichtete und damit viel Wirbel vor allem in sozialen Netzwerken in der Region verursachte.

Zur Disposition steht demnach vieles, denn die Rivalitäten beider Länder erstrecken sich auf politische, ökonomische und militärische Fragen gleichermaßen. Über die Jahre hat sich zwischen den beiden ehemaligen Partnern ein Riss aufgetan, der immer weiter wuchs und im Dezember offenbar zu einem Zerwürfnis zumindest hinter den Kulissen führte.

Persönliche Befindlichkeiten

Offiziell wird erwartungsgemäß nichts davon bestätigt - von beiden Seiten nicht. Doch auch Experten gehen davon aus, dass hinter der eher harmonischen Oberfläche die Rivalität beider Länder - beziehungsweise ihres Führungspersonals - in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Neben politischer und wirtschaftspolitischer Konkurrenz oder Uneinigkeit spielten dabei auch persönliche Befindlichkeiten eine Rolle, meint Daniel Gerlach, Chefredakteur des deutschen Nahost-Magazins "Zenith" und langjähriger Kenner der Region.

Bis vor einiger Zeit noch hätten Saudi-Arabiens De-facto-Herrscher MbS und VAE-Staatsoberhaupt Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan (auch MbZ genannt) eine enge persönliche Beziehung gehabt, so Gerlachs Beobachtung. MbZ sei sogar eine Art politischer Mentor des Kronprinzen gewesen. "Dieser hat sich dann aber leise aus dem Schatten des Anderen gelöst. Das hat dann offenbar auch zu einem persönlichen Zerwürfnis geführt", sagt Gerlach im DW-Gespräch.

Blick auf die Skyline der katarischen Hauptstadt Doha, 2021
Blick auf die Skyline von Doha, Hauptstadt von Katar. Katar war bis 2021 der gemeinsam erklärte Hauptgegner Saudi-Arabiens und der VAE in der Golfregion.Bild: Francois Nel/Getty Images

Krisenjahr 2021

Wo und wann sich die ersten politischen Risse auftaten, lässt sich ganz genau nicht sagen - aber es gibt Anhaltspunkte. "Vor dem Jahr 2021 waren Saudi-Arabien und die VAE in 90 Prozent der Fälle auf der gleichen Seite. Seitdem sind es eher 70 Prozent", zitiert eine Analyse der "International Crisis Group" einen namentlich nicht genannten emiratischen Polit-Analysten.

In das Jahr 2021 fällt vor allem die Wieder-Annäherung Saudi-Arabiens an Katar. Von 2017 an hatte das saudische Königreich an der Spitze einer Gruppe mehrerer arabischer Staaten, unter ihnen auch die VAE, einen Handelsboykott gegen Katar begonnen. Der Vorwurf: Das Emirat fördere den "Terrorismus". Gemeint war damit vor allem das freundliche Verhältnis des katarischen Herrscherhauses zu den in der saudischen und emiratischen Elite gleichermaßen unbeliebten Muslimbrüdern und deren sozialrevolutionärer Agenda. Doch dann, 2021, gingen vor allem Saudi-Arabien und Katar wieder aufeinander zu.

"Die VAE haben diesen Annäherungsprozess zwar mitgemacht", sagt Daniel Gerlach. "Aber viel weniger aus eigener Überzeugung heraus. Zwar hat sich auch das Verhältnis zwischen den VAE und Katar wieder etwas gebessert. Aber grundsätzlich wird ihre Beziehung schwierig bleiben."

Uneins im Jemen

Differenzen haben Saudi-Arabien und die VAE auch mit Blick auf den Krieg im Jemen. Als das Königreich 2015 an der Spitze einer Militärkoalition auf Seiten der damaligen jemenitischen Regierung intervenierte und die aufständischen Huthies bekämpfte, schlossen sich die VAE dem Bündnis an. Wie Saudi-Arabien sehen auch die VAE die Huthies als verlängerten Arm des damaligen Erzfeindes Iran.

Anfangs engagierten sich die VAE in dem Krieg sehr stark, mit durchaus hohen Verlusten auf der eigenen Seite. Doch im Laufe der Zeit zweifelten sie zunehmend den Sinn des gesamten Unternehmens an. Immer weniger trauten sie der regulären Regierung unter dem damaligen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi zu, das Land wieder zu einen und zu stabilisieren. So entfremdeten sich die beiden Partner auch hier. In Gesprächen, die die Saudis später mit den Huthi-Rebellen führten, waren die VAE nicht beteiligt, heißt es in der Analyse der "International Crisis Group". Auch in die 2023 vollzogene, offiziell vor allem von China vermittelte Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran waren die VAE wohl nicht einbezogen.

Ein jemenitischer junger Mann mit Hilfspaketen
Zweifelhafter Krieg: Der andauernde Konflikt im Jemen hat Millionen Menschen abhängig von humanitärer Hilfe gemachtBild: Mohammed Al Wafi/AA/picture alliance

Zugleich verfolgten die VAE eigene Ziele im Jemen. Insbesondere bauten sie ihre Präsenz im Südwesten des Landes, nahe des Golfs von Aden aus. "Mit den VAE verbündete jemenitische Streitkräfte lieferten sich in mehreren Teilen des Jemen Gefechte mit den Saudis nahestehenden Einheiten", bemerkt die "International Crisis Group" in ihrer Analyse.

"Darüber ist bei den Saudis zunehmend der Eindruck entstanden, den VAE gehe es nicht darum, die Huthies zu besiegen oder in einen Kompromiss zu zwingen, sondern vorrangig darum, ihre eigenen Ziele umzusetzen", sagt Nahost-Experte Daniel Gerlach. "Auch das hat zur Entfremdung der beiden Staaten geführt." Bis heute sieht sich Saudi-Arabien, im Unterschied zu den VAE ein direkter Nachbar des Jemen, außerstande, sich militärisch aus dem Jemen zurückzuziehen. Zu groß ist offenbar die Sorge, das dann entstehende Vakuum könnte zum einen vom Iran und zum anderen sogar von den VAE gefüllt werden. Das Zerwürfnis könne damit durchaus auch unmittelbaren Einfluss auf die militärische Situation im Jemen haben und die Huthis im Zweifel sogar stärken, meint Gerlach.

Sportswashing: Englands Fußball und die Saudis

Wirtschaftliche Konkurrenz

Seit einiger Zeit schon konkurrieren die beiden Staaten auch zunehmend wirtschaftlich: Lange hatten in Saudi-Arabien investierende westliche oder internationale Unternehmen es vorgezogen, ihren Firmensitz nach Dubai zu legen: Die Stadt gilt als offener und kosmopolitischer als Riad, die Hauptstadt Saudi-Arabiens. Doch inzwischen modernisiert sich auch Saudi-Arabien sichtbar und will nachziehen, notfalls auch mit Druck: So hat Saudi-Arabien verfügt, dass Firmen, die sich im Königreich engagieren, von 2024 an dort auch ihren regionalen Sitz haben müssen. Dies dürfte sich zwangsläufig zu Lasten des Standorts Dubai auswirken.

 Ausstellung zur geplanten Zukunftsstadt NEOM im Westen Saudi-Arabiens
Große Modernisierungspläne: Ausstellung zur geplanten Zukunftsstadt NEOM im Westen Saudi-ArabiensBild: Eliot Blondet/ABACA/picture alliance

Zudem will Saudi-Arabiens Kronprinz MbS eine Reihe moderner Technologiezentren einrichten, mehr Touristen ins Land locken und logistische Zentren entwickeln. Mit all dem will er die VAE, bislang das bedeutendste Handelszentrum der Region, herausfordern - und selbst in luftiger Höhe macht sich die verschärfte Konkurrenz bereits bemerkbar: Im März dieses Jahres kündigte MbS an, eine zweite nationale Fluggesellschaft zu gründen. Diese solle bekannten Gesellschaften aus den VAE, wie "Emirates" und "Etihad Airways", Konkurrenz machen. Die Rivalität dürfte bald wohl auch hier und auf weiteren Feldern stärker spürbar werden.

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika