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KonflikteUkraine

Ukraine: Russische Truppen stoßen in Richtung Charkiw vor

10. Mai 2024

Russische Truppen haben im Nordosten der Ukraine um die Großstadt Charkiw einen großangelegten Angriff gestartet. Das Verteidigungsministerium in Kiew sieht darin den Startschuss für die erwartete Bodenoffensive.

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Nach einem Raketenangriff in Charkiw ist dieses Wohnhaus in Brand geraten
Nach einem Raketenangriff in Charkiw ist dieses Wohnhaus in Brand geratenBild: Anadolu/picture alliance

Die russischen Streitkräfte hätten am frühen Morgen versucht, mithilfe von Panzern die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew mit. Die Angriffe seien "zurückgedrängt" worden, es fänden jedoch weiterhin "Kämpfe unterschiedlicher Intensität" statt. Mehrere Einheiten der Reserve seien in die betroffene Gegend verlegt worden, um die Verteidigung zu stärken.

Einem hochrangigen ukrainischen Militärvertreter zufolge stießen die russischen Truppen rund einen Kilometer auf ukrainisches Gebiet vor. Das Verteidigungsministerium Russlands machte zunächst keine Angaben, russische Militärblogger verwiesen jedoch auf derzeit stattfindende Kämpfe.

Das Verteidigungsministerium der Ukraine erklärte weiter, die russische Luftwaffe habe am Donnerstag mehrere Angriffe mit gelenkten Bomben in der Gegend um die Kleinstadt Wowtschansk ausgeführt, die etwa 40 Kilometer nordöstlich von Charkiw nahe der Grenze zur russischen Region Belgorod liegt.

Druck auf ukrainische Front durch russische Gleitbomben

Aufrufe zur Evakuierung

Aus Wowtschansk meldete ein örtlicher Behördenvertreter auch am Freitag "massiven Beschuss". Die Bewohner hätten "solche Angriffe noch nicht erlebt". Nach Polizeiangaben wurden am Morgen mindestens zwei Menschen verletzt. Nach Angaben regionaler Behörden gab es in Wowtschansk, wo derzeit rund 3000 Menschen leben, und in nahegelegenen Ortschaften Aufrufe zu Evakuierungen.

Der für die russisch besetzten Teile der Region Charkiw zuständige, von Moskau installierte Vertreter Witali Gantschew erklärte im Onlinedienst Telegram, es fänden Kämpfe an "mehreren Abschnitten der Kontaktlinie" statt, "einschließlich der Grenzgebiete". Er rief die Bewohner betroffener Gebiete auf, ihre Schutzräume nur in dringenden Fällen zu verlassen.

Offensive schon länger erwartet

Da die Grenzregion um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine schon seit einigen Monaten unter verstärktem russischem Beschuss steht, wird schon länger über eine Offensive spekuliert. Es gibt Berichte, dass das russische Militär dort mehrere Zehntausend Soldaten zusammengezogen hat. Für den Ernst der Lage spricht, dass das Verteidigungsministerium in Kiew sich dazu äußerte, nicht wie sonst der Generalstab.

Ziel der russischen Armee ist es nach Einschätzung eines hochrangigen ukrainischen Militärvertreters, eine "Pufferzone" zu schaffen, um das ukrainische Militär daran zu hindern, die auf russischer Seite gelegene Region Belgorod weiter unter Beschuss zu nehmen. Über entsprechende Pläne hatte im März bereits der russische Präsident Wladimir Putin gesprochen. In den vergangenen Monaten war die russische Region häufig von der ukrainischen Armee angegriffen worden. Zudem waren pro-ukrainische russische Milizen im März dieses Jahres sowie im August 2023 in russisches Grenzgebiet vorgerückt.

Ukraine: Verteidigungslinien unter Druck

Charkiw war kurz nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine am 22. Februar 2022 unter russische Kontrolle geraten. Die ukrainischen Truppen konnten die Stadt aber im Herbst dann wieder befreien. Doch wie überall an der Front haben seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 auch in dieser Region die russischen Streitkräfte derzeit die Initiative.

Drohnenangriff auf russische Ölraffinerie

Ebenfalls am Freitagmorgen geriet in dem russischen Bezirk Kaluga nach einem ukrainischen Drohnenangriff eine Ölraffinerie in Brand. Das meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf Rettungsdienste. Bei dem Brand in der Raffinerie Pervyi Zavod seien drei Container mit Dieselkraftstoff und einer mit Heizöl zerstört worden. Der Gouverneur von Kaluga, Wladislaw Schapscha, erklärte auf Telegram, das Feuer sei umgehend gelöscht worden.

Die Ukraine hat in den vergangenen Monaten verstärkt Energieanlagen auf russischem Territorium angegriffen und zielt damit vor allem auf die Treibstoffversorgung der russischen Truppen. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin teilte zudem über Telegram mit, dass russische Flugabwehreinheiten eine Drohne südlich von Moskau abgefangen hätten. Auf die Zerstörung der Energie-Infrastruktur konzentrieren sich in jüngster Zeit auch die häufigen russischen Luftangriffe in der Ukraine. In der Nacht zum Freitag fing das ukrainische Militär nach eigenen Angaben zehn Kampfdrohnen ab.

Größtes Prothesen-Zentrum der Ukraine eröffnet

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze hat in der Ukraine die größte Werkstatt zur Herstellung von Prothesen für Kriegsverletzte eröffnet. Der Bau in der Stadt Lwiw wurde von Deutschland mit 1,8 Millionen Euro gefördert und gehört zu einem Zentrum für Orthopädie, in dem auch Fachkräfte ausgebildet werden. Viel zu viele Menschen hätten durch Minen, Granaten oder eingestürzte Gebäude Beine oder Arme verloren oder sogar ihr Leben, sagte Schulze bei der Eröffnungszeremonie. "Aber was man hier sehen kann ist, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer sich davon nicht entmutigen lassen."

Entwicklungsministerin Svenja Schulze und ein beinamputierter Kriegsinvalide in Lwiw
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (links) im neuen Orthopädie-Zentrum in LwiwBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

In der neuen Werkstatt können rund 1200 orthopädische Hilfsmittel pro Jahr gefertigt werden. Damit werden die Produktionskapazitäten in der Ukraine verdreifacht. Im selben Zeitraum können 60 Fachkräfte ausgebildet werden. In dem Reha-Zentrum werden Patienten betreut, nachdem sie eine Prothese erhalten haben. Nach unbestätigten ukrainischen Schätzungen soll es in den ersten beiden Kriegsjahren 100.000 kriegsbedingte Amputationen gegeben haben.

kle/jj (afp, rtr, dpa)

Redaktionsschluss: 16.00 Uhr (MESZ). Dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.