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"Die Küche ist der beste Ort für eine Geschichte"

Philipp Jedicke | Torsten Landsberg
8. April 2019

Ofir Graizer ist Koch und Regisseur von "The Cakemaker". Im DW-Gespräch erzählt der israelische Filmemacher über Parallelen zwischen Jerusalem und Berlin, Homosexualität, Filmemachen in Israel - und natürlich Kochen.

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Ofir Raul Graizer
Bild: picture-alliance/dpa/CTK/V. Simanek

Die Geschichte geht ans Herz. Laut dem deutschen Wochenmagazin "Der Spiegel" ist The Cakemaker" (Der Kuchenmacher) "der schönste Liebesfilm seit langer Zeit".  Es geht um den Berliner Bäcker Tomas. Seine Kekse und Torten betören auch den israelischen Geschäftsmann Oren. Aus der Liebe zum Kuchen entsteht eine Leidenschaft zwischen beiden Männern. Aber Oren hat eine Frau und einen Sohn in Jerusalem, und die beiden Männer sehen sich nur unregelmäßig. Als Oren stirbt, heuert Tomas in Jerusalem im Café von Anat, der Witwe Orens, an. Die beiden kommen sich näher.

"The Cakemaker" ist der Debütfilm des 37-jährigen israelischen Filmemachers Ofir Raul Grazier. 2017 feierte die Dreiecksgeschichte beim Film Festival in Karlovy Vary in Tschechien Weltpremiere, 2018 kam sie in die Kinos und lief in vielen Ländern mit großem Erfolg. Ofir ist nicht nur Regisseur und Drehbuchautor, sondern auch leidenschaftlicher Koch. Mittlerweile hat er sogar ein Rezeptbuch veröffentlicht. Der DW verrät her, woher seine Liebe zum Kochen kommt, warum er Parallelen zwischen Berlin und Jerusalem sieht und was versteckte Kekse mit seinem Film zu tun haben.

DW: Herr Graizer, welche Zutat darf weder in einem Film noch in einem guten Rezept fehlen?

Ofir Raul Graizer: Leidenschaft. Wir müssen Lust haben auf die Dinge, die wir tun. Eine andere wichtige Zutat ist, all dies nicht zu schwer zu nehmen. Die Arbeit an einem Film ist schwer, besonders an einem dramatischen mit Liebe und Tod, aber es geht immer um Gefühle, eine sehr menschliche Sache. Du musst wissen, was du ausdrücken willst, diese Authentizität ist sehr wichtig - beim Kochen und wenn man einen Film macht. Es geht immer um Menschen, es ist keine Wissenschaft, es muss nicht analytisch oder perfekt sein.

"The Cakemaker" ist Ihr Spielfilmdebüt, das international viele Preise erhalten hat. Wie ist der Film entstanden?

Ich habe in Israel Film studiert, und vor neun Jahren bin ich nach Berlin gekommen, schon damals hatte ich die Idee. Ich habe hier versucht, ein Narrativ zu finden, um diese Geschichte zu erzählen, die eine persönliche Erfahrung von einem Bekannten aufgreift, der ein Doppelleben geführt hat. Nach seinem Tod fand seine Frau heraus, dass er eigentlich schwul war. Sie waren 30 Jahre verheiratet. Ich wollte immer einen Film über diese Frau machen: Sie trauert um ihre große Liebe und über ihren Verlust, weiß aber auch, dass er sie belogen und manipuliert hat.

Diese Dreiecksgeschichte spielt überwiegend in der Küche.

Ich hatte diese Geschichte über Liebe und habe mich gefragt: In welchem Kontext kann ich sie erzählen? Ich habe zwischen Berlin und Jerusalem gelebt, zwei Städten, die ich sehr mag und die sich sehr ähnlich sind. Dort spielt auch der Film. Und ich wollte unbedingt einen Film in der Küche drehen, es ist der beste Ort für eine Geschichte: Hier spielen sich Geheimnisse ab, leise Gespräche zwischen der Oma und der Mutter, die Kekse sind versteckt, metaphorisch wie real. Diese Themen habe ich zusammen in einen Topf geworfen.

Der Film ist von Israel für den Oscar vorgeschlagen worden und hat in Ihrem Heimatland zahlreiche Preise erhalten. Hat Sie der große Erfolg einer schwulen Liebesgeschichte in einem konservativ geprägten Land überrascht?

In Israel ist es seit 20 Jahren kein Problem, Filme über schwule Themen zu drehen. Es gibt andere politische Probleme, der Filmbereich ist aber sehr frei. Überrascht hat mich, dass den Film niemand unterstützen wollte, bevor er fertig war. Wir haben ihn fast mit dem Budget eines Studentenfilms gemacht, wir haben mit 90.000 Euro gedreht. Wir haben auch in Deutschland von der Filmförderung keine Unterstützung erhalten. Es war überraschend, dass er trotzdem ein so großer Erfolg wurde, bei der Kritik und beim Publikum.Im Film geht es um Identität, Akzeptanz und darum, wie die Gesellschaft auf Individuen blickt. Tomas, die Hauptfigur, erfährt auch Ablehnung in Israel. Sind das Erfahrungen, die Sie als junger schwuler Mann in Israel gemacht haben?

Szene aus "The Cakemaker"
Szene aus "The Cakemaker": Tim Kalkhof als Kuchenbäcker Tomas Bild: Film Servis Festival Karlovy Vary

Es ist nicht genau meine Geschichte, aber dieses Gefühl existiert, seit ich ein Kind war. Ich lebe frei und offen mit meiner Sexualität, aber die Frage nach Identität war immer ein Teil meines Lebens: Bin ich religiös oder säkular? Schwul, ja, aber in einer chauvinistischen Macho-Gesellschaft. Ich habe mich mit 16 geoutet, vor 22 Jahren. Es war eine andere Welt damals. Ich verstecke nicht, dass ich schwul bin. Aber wenn ich bei religiösen Freunden oder Familien zu Besuch bin, wird es komplex. Sie sehen meinen Ring und fragen: Hast du eine Frau?

Sie leben seit fast zehn Jahren in Berlin. Ist es hier einfacher?

Auch im hippen Multikulti-Berlin bin ich immer Israeli und Jude, ich bin nie Ofir. Es kann auch nett sein, weil man über bestimmte Themen ins Gespräch kommt. Ich denke aber, das Definieren von Identität sollte weniger Bedeutung einnehmen. Es geht aber in eine andere Richtung.

Welches Bild hatten Sie von Berlin, bevor Sie hierhergekommen sind?

Bevor ich nach Berlin gekommen bin, wusste ich gar nichts über die Stadt. Ich kam im September für einen Studentenaustausch, es war sonnig und warm, und wir haben uns über den Preis für das Bier gefreut, das damals nur einen Euro gekostet hat. Und dann bin ich geblieben.

Sie haben gesagt, Berlin und Jerusalem seien sich sehr ähnlich. Inwiefern?

Berlin und Jerusalem sind zwei Städte, die eine Obsession mit ihrer Vergangenheit haben, die sie immer wieder neu zu definieren versuchen. Beide Städte haben das Konzept von Ost und West. In Jerusalem haben wir Ostjerusalem und Westjerusalem, und obwohl man frei umherlaufen kann, sind es vollkommen unterschiedliche Welten. In Berlin ist die Mauer schon weg, es gibt aber immer noch eine Trennung von Ost und West in Deutschland. Die Wende liegt 30 Jahre zurück, das ist noch sehr nah.

Sie haben als Jugendlicher in Israel schon gebacken, Backwaren verkauft und später als Koch gearbeitet. In Berlin haben Sie dann Kochkurse gegeben. Wie ist es dazu gekommen?

Für Israelis ist die wichtigste Frage, was es heute zu essen gibt. Im Winter war das Kochen ein Weg, die Wohnung warm zu bekommen. Und ich habe dann meinen Freunden immer erklärt, wie man das alles zubereitet. Ein Freund hat dann gesagt, dass ich Kochkurse geben sollte. Zwei Minuten von meiner Wohnung gibt es eine Kochschule, da bin ich hingegangen. Das fand ich toll, denn die Leute waren begeistert. Die Teilnehmer kommen zusammen, wir machen ein Menü, ich habe etwas zu erzählen, und am Ende sitzen alle zusammen und essen und trinken.

Kochen kann eine sehr sinnliche Beschäftigung sein, auch im Ritual Essen steckt viel drin: Tradition, Familie, Heimat. Wann ist Ihre Leidenschaft dafür erwacht?

Meine Mutter hat ganz toll gekocht, und ich habe immer sehr gerne gegessen. Ich durfte in der Küche sein, aber es war klar, dass die Mutter kocht. Diese Kreativität hat mir gefallen: Du schneidest Tomaten und Knoblauch, legst sie aufs Feuer, und später schmeckt es. Das wollte ich auch probieren. Ich habe bald gemerkt, dass Kochen Macht verschafft. Wenn den Leuten das Essen schmeckt, haben sie Lust darauf und wollen mehr haben.

Kameramann Omri Aloni, Hauptdarsteller Tim Kalkhof, Regisseur Ofir Raul Grazier  und Hauptdarstellerin Sarah Adler
"The Cakemaker"-Crew: Kameramann Omri Aloni, Hauptdarsteller Tim Kalkhof, Regisseur Ofir Raul Grazier und Hauptdarstellerin Sarah Adler posieren für die PresseBild: picture-alliance/dpa/S. Kubes

Ihr Kochbuch "Ofirs Küche" trägt den Untertitel "Israelisch-palästinenische Familienrezepte". Ist es Ihnen wichtig zu betonen, dass es sich um eine gemeinsame Küche handelt?

Diese Gerichte kenne ich seit meiner Kindheit. Wenn ich heute über ein Rezept rede, sagt einer, es ist türkisch, der andere sagt, es ist griechisch. Jeder will plötzlich national sein. Ich sage: Nein, das Essen gehört allen. Was regional in Israel ist, ist für mich auch palästinensisch. Du kannst es nicht trennen. Zu sagen, Hummus ist israelisch, finde ich nicht richtig. Die Zutaten sind lokal, aber wo zieht man die Grenze? Es gibt Palästina und Israel, beide existieren und werden hoffentlich weiterhin existieren. Die Küche orientiert sich nicht an politischen Themen.

Sie sind in der Nähe des Gazastreifens zur Filmschule gegangen. Ist die politische Situation in Nahost auch ein Thema, das Sie in Ihrem filmischen Werk beschäftigt?

"The Cakemaker" spricht die nationale Identität an, aber nicht direkt. Natürlich beschäftigt es mich, es macht mich auch traurig, weil ich keine politische Lösung sehe, im Gegenteil: Die Welt geht allgemein in eine schlechte Richtung. Es gibt neue populistische Gruppierungen und Parteien in Ungarn, Frankreich und auch in Deutschland. Wenn solche Dinge in der ganzen Welt passieren, droht ein Konflikt wie in Nahost für andere Interessen benutzt zu werden.

Werden Sie in Ihrer Arbeit Stoffe umsetzen, die diese geopolitischen Entwicklungen aufgreifen?

Auf jeden Fall. Ich arbeite jetzt an einem Projekt, in dem es um Geflüchtete geht. Es beschäftigt mich die ganze Zeit, was mit der Welt passiert.

Das Gespräch führten Philipp Jedicke und Torsten Landsberg.

Ofir Raul Graizers Film "The Cakemaker" ist am 22.02. auf DVD erschienen. Sein Kochbuch "Ofirs Küche" erschien am 12.11.18 im Insel Verlag.