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Hockey-WM: Auffällig unauffälliges Zeichen

16. Januar 2023

Bei der Hockey-WM in Indien setzt die deutsche Mannschaft ein Zeichen für Toleranz und Akzeptanz. Kapitän Mats Grambusch trägt ganz bewusst eine Regenbogenbinde, um für offene Gesellschaften zu werben. Das kommt gut an.

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Hockey-Nationalspieler Mats Grambusch jongliert einen Ball in Hüfthöhe mit dem Schläger
Mats Grambusch führt die deutsche Hockey-Mannschaft mit Regenbogenbinde auf das WM-FeldBild: Frank Uijlenbroek/dpa/picture alliance

Von Protesten war im Kalinga Hockey Stadium in Bhubaneswar nichts zu hören. Im Gegenteil: Dass Kapitän Mats Grambusch beim ersten Spiel der deutschen Hockey-Nationalmannschaft bei der Hockey-WM gegen Japan (3:0) die Regenbogenbinde statt einer normalen Kapitänsbinde am Arm trug, sorgte keineswegs für Unmut. Das bunte Zeichen für die weltweite LGBTQ+-Community wurde anstandslos akzeptiert.

Von den Zuschauern vor Ort, aber auch bereits zuvor vom Hockey-Weltverband (IHF), bei dem das Tragen der bunten Armbinde vom Deutschen Hockey-Bund (DHB) im Vorfeld angemeldet wurde. "Ich glaube schon, dass man über den Sport Werte in die Gesellschaft transportieren kann. Das hätten wir auch gemacht, wenn die WM in den Niederlanden, Deutschland oder Katar stattfinden würde", sagte Grambusch der DW im Vorfeld. "Wir stehen für diese Werte und wollen das bei der WM auch verkörpern. Wir sind davon überzeugt."

Symbol der Hoffnung und der Solidarität

Von den Problemen, die es bei der im vergangenen Dezember beendeten Fußball-WM in Katar gegeben hat, als der Welt-Fußball-Verband FIFA das Tragen der "One Love"-Binde strikt untersagte, wohl auch, weil sich der Gastgeber dadurch unangemessen behandelt gefühlt hätte, ist bei den Hockeyspielern und ihrer WM in Indien keine Rede. Vielmehr trifft das Ansinnen des DHB-Teams auch in der Community vor Ort auf positive Resonanz.

"In der Sichtbarkeit liegt sicherlich eine große Kraft, vor allem wenn ein führender Sportler sich offen für die Integration von LGBTQ+ einsetzt", sagt LGBTQ+-Aktivist Anish Gawande der DW. "Eine solche 'Botschaft der Toleranz' sollte jedoch nicht als radikaler Akt gesehen werden, der der Vorstellung von einer "stimmlosen' LGBTQ+-Gemeinschaft in Indien eine Stimme geben soll. Ich würde dies eher als ein Symbol für eine breitere Akzeptanz von queeren und transsexuellen Menschen im Sport insgesamt sehen", so Gawande. 

LGBTQ+-Menschen auf der Straße mit einem breiten Banner vor sich auf dem Delhi Queer Pride 2022-2023
Die Akzeptanz der queeren Bevölkerungsgruppe ist in Indien in den vergangenen Jahren gestiegenBild: Ayush Chopra/SOPA Images via ZUMA Press Wire/picture alliance

"Jeder verdient das Recht, sich ungeniert auszudrücken", sagt Aktivist Harish Iyer der DW. "Der Regenbogen ist ein Symbol der Hoffnung und der Solidarität mit der LGBTQ+-Gemeinschaft. Wir sollten ihn feiern. Die Frage sollte nicht lauten: 'Warum trägst du ihn?', sondern eher: 'Warum zum Teufel nicht?'"

Wegweisende Urteile des Obersten Gerichts Indiens 

Dabei ist auch in dem südasiatischen Staat die gesellschaftliche Anerkennung der LGBTQ+-Gemeinde ein länger andauernder, fortwährender Prozess. Es ist noch gar nicht so lange her, dass in Indien Homosexualität nicht mehr strafbar ist: In einer als historisch gefeierten Entscheidung hob das Oberste Gericht des Landes im Jahr 2018 ein mehr als 100 Jahre altes Verbot auf, das homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellte. 

Dennoch leben Mitglieder der LGBTQ+-Gemeinschaft oft weiterhin im Schatten, abgelehnt von ihrer Familie oder der Gesellschaft. Aktivisten wie Anish Gawande oder Harish Iyer helfen ihnen, sichtbarer zu werden. "Trotz erheblicher Fortschritte in den letzten zwei Jahrzehnten steht die LGBTQ+-Gemeinschaft in Indien weiterhin vor großen Herausforderungen", sagt Gawande.

Im vergangenen Sommer entschied dann dasselbe Gericht, dass gleichgeschlechtliche Paare Anspruch auf die gleichen Sozialleistungen haben wie traditionelle Familien. Ein weiterer Schritt in die "Normalität". Es gibt seither weitere Bestrebungen der Community, mithilfe von Petitionen, das Recht weiter anzugleichen. 

Kritik aus der Politik

Es gibt allerdings politische Partien in Indien, die sich mit dieser Rechtsprechung sehr schwer tun. Die Regierung der Bharatiya Janata Party (BJP) im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh etwa hat gleichgeschlechtliche Ehen als unvereinbar mit der indischen Kultur und Religion bezeichnet. "Die Gemeinschaft ist überall auf der Welt mit Unterdrückung konfrontiert", beklagt Aktivist Iyer.

Ein Trans-Paar steht vor einer Regenbogenfahne und hat sich jeweils eine umgelegt
Bunt und queer: In Indien zeigt sich die LGBTQ+-Szene auf den StraßenBild: Sukhomoy_ Sen/Eyepix Group/IMAGO

Die indische Gesellschaft, die häufig noch in konservativen Strukturen lebt, hat allerdings bereits einen Entwicklungsprozess in Richtung Akzeptanz der LGBTQ+-Community gemacht. In einer Umfrage des US-amerikanischen Pew Research Centers aus dem Jahr 2019 wird deutlich, dass eine gesellschaftliche Transformation zumindest begonnen hat. Bei der Erhebung kam heraus, dass sich im Zeitraum zwischen 2013 bis 2019 die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft um 22 Prozent erhöht hat. 

Grambusch: "Muss völlige Normalität werden"

"Der Oberste Gerichtshof Indiens hat einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen allen Erwachsenen entkriminalisiert und erkennt Menschen an, die sich als Transgender identifizieren", sagt Iyer und fordert gleichzeitig: "Wir müssen noch mehr tun, aber wir haben mit der Aufhebung von Paragraf 377 einen ersten wichtigen Schritt getan."

Dass das Thema Homophobie nicht nur speziell etwas mit Indien zu tun hat, ist auch Mats Grambusch bewusst. "Dieses Thema muss mehr in den verschiedenen Gesellschaften verankert werden. Es muss zur völligen Normalität werden, dass Menschen unterschiedliche Sexualitäten haben und das in keiner Weise infrage gestellt wird", sagte Grambusch. Der DHB-Kapitän trägt Regenbogenbinde in Indien als auffällig unauffälliges Symbol der Freiheit auf der ganzen Welt.