Rüstungsfirmen: Wir sind auch nachhaltig
25. März 2022Noch vor wenigen Monaten waren viele überzeugt, in ihrem Leben niemals einen Krieg in Europa erleben zu müssen. Inzwischen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Russland in der Ukraine Atomwaffen einsetzt, "nicht mehr null", wie ein Nuklearstratege der New York Times diesen Monat sagte. Und Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch die Diskussion um konventionelle Waffen verändert.
In den vergangenen Jahren hatten einige Pensions- und Staatsfonds Rüstungsfirmen aus ihren Portfolios ausgeschlossen, weil sie die umstrittene Branche nicht unterstützen wollen. Kleinanleger und institutionelle Investoren interessieren sich zunehmend für Unternehmen, die nicht nur Renditen versprechen, sondern auch ökologische und soziale Kriterien sowie Standards guter Unternehmensführung erfüllen. Im Branchenjargon ist von ESG-Kriterien die Rede (Environmental, Social, Governance).
Die Europäische Kommission möchte diesen Trend mit ihrer Taxonomie-Verordnung unterstützen. Im Kern geht es dabei um eine Definition, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig (grün) eingestuft werden und welche als umweltschädlich (braun). Von dieser Einstufung können dann EU-Förderungen und Vorgaben für Investoren abhängen.
Einige, aber nicht alle der ESG-Kriterien, die nachhaltige Investmentfonds schon jetzt verwenden, schließen Aktien von Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, Luft- und Raumfahrt aus, weil diese Waffen produzieren.
Doch der Krieg in der Ukraine lässt die Rüstungsindustrie nun in einem neuen Licht erscheinen. Insbesondere die Nato-Staaten wollen die Ukraine unterstützen, ohne in eine direkte Auseinandersetzung mit Russland hineingezogen zu werden. Für sie ist das Verschenken hochmoderner Waffen zum bevorzugten Mittel geworden, ihre Solidarität auszudrücken. Die deutsche Bundesregierung versprach kürzlich, der Ukraine 1500 Panzer- und Flugabwehrraketen zu liefern, ein deutlicher Wandel ihrer bisherigen Haltung.
Mehr Geld für Rüstung
Der Krieg vor der eigenen Haustür hat die europäischen Regierungen auch dazu veranlasst, ihre eigene militärische Schlagkraft zu erhöhen . So erklärte Deutschland im vergangenen Monat, es werde zusätzliche 100 Milliarden Euro für sein Militär ausgeben und seinen Verteidigungshaushalt so aufstocken, dass er über der von der NATO geforderten Marke von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung liegt. Auf entsprechende Forderungen der USA in den vergangenen Jahren hatte die Bundesregierung immer ausweichend reagiert.
"Wir werden deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar.
Die Aktien von Rüstungsunternehmen zogen in der Folge deutlich an. Und nun nutzen die Rüstungslobby und einige Finanzinstitute die Gunst der Stunde, um dafür zu werben, Rüstungsunternehmen als nachhaltig einzustufen.
Der Beitrag der Waffenhersteller zur "Verteidigung der Werte liberaler Demokratien und zur Schaffung einer Abschreckung, die den Frieden und die globale Stabilität bewahrt", sei eine Grundvoraussetzung, um sich überhaupt anderen soziale Fragen widmen zu können, argumentieren zwei Analysten der US-Investmentbank Citi in gerade erschienenen Veröffentlichungen.
Die schwedische Bank SEB hat ihre gerade eingeführten Nachhaltigkeitsregeln bereits angepasst, um ihren Fonds auch Investitionen in den Rüstungssektor zu erlauben.
Eine Frage der Logik
Die Augen der Branche sind vor allem auf die Taxonomie-Verordnung der EU gerichtet. Schließlich soll die nach dem Willen der Europäischen Kommission zum "Goldstandard" werden, der öffentliche und private Gelder in nachhaltige Projekte lenkt.
"Die Invasion in der Ukraine zeigt, wie wichtig eine starke Landesverteidigung ist", sagte Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) der Nachrichtenagentur Bloomberg. "Ich appelliere an die EU, die Rüstungsindustrie als positiven Beitrag zur 'sozialen Nachhaltigkeit' im Rahmen der ESG-Taxonomie anzuerkennen."
Doch viele, die sich mit nachhaltiger Finanzierung beschäftigen, lehnen das Argument der Rüstungslobby ab.
"Es ist absurd zu sagen, dass Waffen nachhaltig sind", sagt Christian Klein, Professor für nachhaltige Finanzen an der Universität Kassel. "Das ist so, als würde man sagen, Pommes frites sind nachhaltig, weil sie gut schmecken".
Ähnlich sieht das Andrew Murphy, Direktor von Murphy&Spitz, einer seit 1999 in Deutschland tätigen nachhaltigen Vermögensverwaltung. "Die nachhaltigen Branchen helfen uns, unabhängig von totalitären Regimen zu werden", so Murphy in einer E-Mail an die DW. Als Beispiele nennt er den Ausbau erneuerbarer Energien und die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs.
"Dies gilt es zu fördern. Nicht die Rüstungsindustrie, nicht Waffen, die unschuldige Menschen töten, Lebensräume vernichten und - in den falschen Händen - Angriffskriege von machthungrigen Herrschern ermöglichen."
"Wenn Europa viel konsequenter nachhaltige Themen berücksichtigt hätte, wären wir nicht in diese schreckliche Situation gekommen, vor der wir heute stehen", so Murphy weiter. "Das Versäumnis, nicht auf die ökonomisch und ökologisch sinnvollste Energieform, nämlich Energie aus Wind und Sonne, zu setzen, hat Putin erst in die Lage versetzt, Angriffskriege zu führen."
Nicht grün, nicht braun
Fallen Rüstungsfirmen vielleicht in eine ethische Grauzone - ähnlich wie Atomenergie und fossile Brennstoffe derzeit? Darüber müsse man diskutieren, sagt Klein von der Uni Kassel.
"Viele glauben, das, was nicht nachhaltig ist, sei das Gegenteil von nachhaltig. Also: Was nicht grün ist, ist braun. Aber das ist falsch."
Dieses Missverständnis habe auch dazu geführt, dass sich Firmen darüber sorgen, nicht in der Taxonomie-Verordnung der EU berücksichtigt zu werden. "Viele Firmen haben doch mit dem Klimawandel gar nichts zu tun. Sie verkaufen Haarschnitte oder ähnliches - und daran ist nichts schlimmes", so Klein zur DW.
"Bei der Taxonomie geht es letztlich um bessere Finanzierungsbedingungen für nachhaltige Aktivitäten. Aber ich kann nicht erkennen, warum die Waffenindustrie bessere Finanzierungsbedingungen benötigt."
Der Artikel wurde aus dem Englischen adapiert.