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"Es geht stets um den Einzelfall"

31. Mai 2021

Abschiebungen von muslimischen Geflüchteten, die in Deutschland zum Christentum konvertiert sind, stehen in der Kritik. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verteidigt seine Praxis.

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Deutschland Berlin Taufe Flüchtlinge aus Iran
Lutherische St. Marien-Gemeinde in Berlin-Steglitz: Taufgottesdienst für Iraner, die zum Christentum konvertiert sindBild: Imago/epd

Darf Deutschland geflüchtete Iraner, die in Deutschland zum Christentum konvertiert sind und Asyl beantragt haben, abschieben? Immer wieder gibt es an dieser Praxis Kritik. Gottfried Martens, Pfarrer der Selbständigen Evangelisch Lutherischen Kirche in Berlin, warf dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Interview mit der Deutschen Welle "Oberflächlichkeit" und "Zynismus" vor. BAMF-Vizepräsidentin Ursula Gräfin Praschma weist die Vorwürfe zurück und erläutert im Gespräch mit der DW die Praxis ihres Hauses.

Deutsche Welle: Gräfin Praschma, der chaldäisch-katholische Erzbischof von Teheran warb vor Jahren bei einem Besuch in der Schweiz um Verständnis für Iraner, die ihr Land verließen und sich dann in Europa taufen ließen. In ihrer Heimat würde ihnen unter Umständen die Todesstrafe drohen. Wie ernst ist die Bedrohung für Konvertiten, die in den Iran abgeschoben werden?

Ursula Gräfin Praschma: Das Bundesamt hat für jedes Land einen umfassenden Bestand an Daten und Informationen, die in unsere Entscheidungspraxis einfließen. Demnach gehen wir davon aus, dass sowohl die christliche Glaubensbetätigung als auch der Glaubensübertritt im Iran tatsächlich verfolgungsauslösend sein können.

Es gibt aber Unterschiede. Im ländlichen Raum sind Gefahren gewiss größer als in den Städten, auch missionierende Christen lässt man nicht gewähren. Es gibt also Christenverfolgung im Iran, aber nicht jeder Christ im Iran wird verfolgt. Angehörige der anerkannten Kirchen, wie zum Beispiel die Armenier, sind kaum betroffen. Das hängt in jedem einzelnen Fall von den individuellen Umständen ab.

Viele Iraner, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, konvertieren und lassen sich als Christen taufen. Wie sehen Sie das?

Natürlich ist die Konversion für das Asylverfahren ein wichtiger Umstand und muss in unsere Entscheidungen einfließen. Aber es geht stets um den Einzelfall. Und es ist etwas anderes, wenn sich jemand hier taufen lässt, dessen erstes Asylverfahren bereits negativ entschieden wurde und der seine Konversion erst zu einem späteren Zeitpunkt als Grund einbringt. Bei einer Konversion in Deutschland prüfen wir auch, inwieweit das möglicherweise ein asyltaktisches Verhalten ist.

Ursula Gräfin Praschma | Vizepräsidentin | Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Ursula Gräfin Praschma, Vizepräsidentin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF)Bild: BAMF

Wenn aber, siehe die Äußerung des Erzbischofs, die Sehnsucht nach einem Glaubenswechsel schon vor der Flucht reifte?

Natürlich gibt es Geflüchtete, die mit diesen Gedanken bereits nach Deutschland kommen, nach der Flucht von Christen betreut werden, dadurch zum ersten Mal konkret mit dem Christentum in Berührung kommen und sich dann geistlich zu Hause fühlen. Das ist ein guter Grund für die Gewährung von Schutz. Ganz klar gesagt: Wenn jemand in Deutschland getauft ist, dann ist er Christ und wir stellen das Christsein auch nicht in Frage. Das ist für uns das oberste Gebot.

Aber wir versuchen natürlich auch zu klären, ob sich für diesen Christen der neue Glaube mehr meditativ in seinem Inneren abspielt und er nur zu Hochfesten in die Kirche geht, oder ob er stark von seinem neuen Glauben bewegt ist, sich in der Gemeinde engagiert und dort bekannt ist. Das ist auch ein entscheidender Maßstab, der ebenfalls in die Entscheidung einfließen muss.

Sie sind selbst in der evangelischen Kirche engagiert. Kennen Sie Konvertiten in Deutschland, die den christlichen Glauben allein selbstbezogen, also ohne Rückbindung an Gemeinschaft und Gottesdienste leben?

In der Gemeinde, in der ich selber als Prädikantin tätig bin, haben wir keine konvertierten Christen, die durch Flucht nach Deutschland gekommen sind. Aber wir haben zum Beispiel Konvertiten von der katholischen Seite, die wir in der Gemeinde nicht so sehr häufig erleben. Und ich weiß auch aus jahrzehntelanger Erfahrung in unserer Gemeinde: Es gibt viele unterschiedliche Wege, wie die Menschen ihren Glauben ausleben.

Deutschland Asylpolitik | Anhörung zur Identitätsprüfung
Ein Geflüchteter aus Äthiopien in seiner Anhörung zur IdentitätsprüfungBild: Daniel Karmann/dpa/picture alliance

Sie sprachen davon, dass das BAMF die Taufe Geflüchteter selbstverständlich anerkenne und nennen zugleich die mögliche Überprüfung, ob der Glaubenswechsel aus asyltaktischen Gründen geschehen sei. Letztlich wird also doch die Taufe überprüft.

Nein. Ganz klar nein. Es geht darum, zu klären, wie die religiöse Identität des Antragstellers geprägt ist. Es geht aber nicht um ein Glaubensexamen oder Ähnliches. Wir müssen klären, ob eine Verfolgung droht, wenn der Betreffende in sein Heimatland zurückkehren müsste. Wenn wir bei Abwägung aller Argumente und Fakten den Eindruck haben, dass das Glaubensleben des Antragstellers dort tatsächlich zu einer Verfolgung führen würde, dann gewähren wir Schutz.

Deswegen ist es für uns auch immer sehr hilfreich, wenn wir von kirchlicher Seite eine Bescheinigung bekommen, wie denn das Glaubensleben in der Kirchengemeinde tatsächlich aussieht. Es geht bei allem um die Prognose, wie denn später sein Verhalten im Heimatland aussehen würde. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal davon gesprochen, dass wir uns eine Überzeugungsgewissheit davon bilden müssen, wie die religiöse Identität des Antragstellers ausgeprägt ist, um eine Prognose für sein Verhalten im Heimatland zu haben.

Aber die Lebensgefahr besteht - so bestätigen es verschiedene Experten - nicht erst bei einer auffallenden religiösen Praxis, sondern besteht im Faktum des Glaubenswechsels. Der wird als Apostasie bewertet und ist lebensgefährlich.

Das ist von Herkunftsland zu Herkunftsland unterschiedlich. In Afghanistan ist  es definitiv so, dass bei Bekanntwerden des Glaubenswechsels Verfolgung droht. In Pakistan beispielsweise gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Regionen. Im Iran kommt es sehr stark darauf an, wie der Betreffende sich verhält. Denn die islamische Republik Iran legt Wert darauf, dass die Leute sich konform verhalten.

Und wenn sie bei jemandem die Gefahr sehen, dass er werbend für seinen christlichen Glauben eintritt und Muslime vom Glauben abbringt, dann entsteht für den Betreffenden natürlich eine Gefahr. Es hängt eben sehr stark von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab.

Pfarrer Gottfried Martens aus Berlin
Pfarrer Martens sieht geflüchtete Konvertiten, die in den Iran abgeschoben werden, in Lebensgefahr. Bild: Axel Rowohlt/DW

Es gibt immer wieder den Vorwurf, dass Konvertiten an einzelnen Standorten des BAMF, zum Beispiel Berlin und Eisenhüttenstadt in Brandenburg, deutlich strenger bewertet werden als an anderen Standorte. Da gäbe es dann Beurteilungen mit Textbausteinen und einem negativen Befund.

Wir bemühen uns immer um eine Einheitlichkeit in unserer Entscheidungspraxis. Deshalb gibt es einheitliche Handreichungen wie die Dienstanweisung Asyl, die den Umgang auch mit Fällen von konvertierten Flüchtlingen genau regelt. Wir haben auch für jedes Herkunftsland unsere Leitsätze. Wir haben dann sowohl eine Qualitätssicherung vor Ort als auch in der Zentrale in Nürnberg.

Und schließlich gibt es einen sogenannten Schutzquoten-Vergleich. Für das zweite Halbjahr 2020 ist im Bereich Berlin eine unterdurchschnittliche Quote aufgefallen. Das ist überprüft worden und diese Nachprüfung hat ergeben, dass die Abweichungen aus unserer Sicht plausibel dargestellt werden konnten. Aber auch in Berlin und Brandenburg, gab es 2020 und 2021 insgesamt 26 Verfahren mit 40 Personen iranischer Staatsangehörigkeit, denen wir aufgrund von Konversion Schutz gewährt haben. Es ist also nicht so, dass da alles abgelehnt wird.

26 von wie vielen Fällen insgesamt?

Das kann ich nicht genau sagen, da die vorgetragenen Gründe so individuell sind, dass sie statistisch nicht erfasst werden können. Klar ist aber, dass es keine pauschale Ablehnung gibt. Es gibt in Berlin und Brandenburg Anerkennungen, auch wenn sie im bundesweiten Vergleich etwas unterdurchschnittlich ausfallen, was bei den relativ geringen Zahlen von iranischen Konvertiten im Verhältnis zur Gesamtzahl der Antragstellenden natürlich auch statistisch bedingte Gründe haben kann. Ich kann Ihnen versichern: Wir versuchen wirklich, jedem Einzelfall an jedem einzelnen Standort des Bundesamts gerecht zu werden.

Ursula Gräfin Praschma ist Juristin. Seit Mai 2020 ist sie Vizepräsidentin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Sie ist seit 35 Jahren tätig und arbeitete zuvor drei Jahre als Richterin an einem Verwaltungsgericht.