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Pfarrer Martens: Kritik an Asylpraxis

10. Mai 2021

Dürfen Geflüchtete, die zum christlichen Glauben konvertiert sind, abgeschoben werden? Ein Geistlicher beklagt im DW-Interview den "Irrsinn" der Justiz.

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Pfarrer Martens bei einem Taufgottesdienst mit Geflüchteten aus dem Iran
Pfarrer Martens bei einem Taufgottesdienst mit Geflüchteten aus dem IranBild: Imago/epd

Pfarrer Gottfried Martens ist in Deutschland der bekannteste christliche Geistliche, der sich um Geflüchtete kümmert, die zum Christentum übergetreten sind. Vielen von ihnen droht die Abschiebung aus Deutschland. Immer häufiger nimmt Martens deshalb an Verhandlungen deutscher Verwaltungsgerichte teil und steht Geflüchteten bei.


Deutsche Welle: Pfarrer Martens, entscheidet heutzutage ein deutscher Richter darüber, ob ein muslimischer Flüchtling glaubhaft Christ geworden ist?

Martens: Ja, das ist leider so. Es ist Irrsinn. Und wir erleben es immer wieder neu. Es gibt Verwaltungsrichter, die diesen Irrsinn wenigstens am Anfang der Verhandlung thematisieren und sagen "Wir müssen jetzt etwas machen, was wir überhaupt nicht können".

Pfarrer Gottfried Martens von der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin
Pfarrer Gottfried Martens von der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in BerlinBild: Christoph Strack/DW

Aber tatsächlich meinen nicht wenige Richter, sie könnten ernsthaft beurteilen, ob jemand identitätsprägend konvertiert ist. Und sie könnten dies binnen weniger Stunden sehr viel besser als ein Pfarrer, der diesen Menschen fünf Jahre begleitet hat. Dieses Selbstbewusstsein macht mich fassungslos.

Liegt der Fehler im System?

Wenn die Geflüchteten ankommen, geben sie in aller Regel schon ihre Konversion, ihren christlichen Glauben, als Grund für einen Asylantrag an. Zumindest im Bereich Berlin-Brandenburg lehnen die Außenstellen des BAMF, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, diesen Antrag geradezu mit einem Pawlowschen Reflex fast grundsätzlich ab. Sie machen das mit einer Oberflächlichkeit, die erschütternd ist.

Was heißt das konkret?

Martens: Wir hatten jetzt zum Beispiel ein sehr engagiertes afghanisches Gemeindemitglied, das sogar in einem afghanischen Fernsehsender eine längere Predigt über den christlichen Glauben gehalten hat. Da hat die BAMF Außenstelle gesagt: "Wir haben im Internet diesen Link zur Predigt nicht gefunden". Aber alle anderen finden diesen Link.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg.Bild: Christoph Hardt/Geisler-Fotopress/picture alliance

Nach dieser Schlamperei wurde sein Asylantrag abgelehnt - mit der Folge, dass er nun vier oder fünf Jahre auf seine Gerichtsverhandlung wird warten müssen. Bis dahin wird seine Tochter volljährig sein, und er wird sie nicht mehr nach Deutschland holen können - nur wegen solch einer Schlamperei.

Ein anderer Afghane wurde zurückgewiesen mit der Begründung, auf seiner Taufurkunde aus Schweden würde ein nicht ganz korrektes Geburtsdatum stehen. Mit dieser nicht korrekten Datumsangabe würde er von den Taliban gewiss nicht als Christ anerkannt und darum nicht getötet werden.

Da erleben Sie blanken Zynismus beim BAMF, nicht in Einzelfällen, sondern ganz regelmäßig. Manchmal spüren Sie bei Mitarbeitenden dieser Behörde eine geradezu menschenverachtende Grundeinstellung. Und später hängt dann das Schicksal einfach davon ab, in welcher Region die Asylsuchenden wohnen.

Moment – je nach Gerichtsort ahnen Sie schon, wie der Richterspruch ausfällt?

Manchmal entscheiden zehn oder zwanzig Kilometer darüber, ob jemand eine Chance von 80 Prozent oder von nahezu null Prozent hat, anerkannt zu werden. Letztlich geht es da nicht um die Ernsthaftigkeit der Konversion. Sondern die Entscheidung hängt davon ab, wie die Richter und Richterinnen über Geflüchtete denken.

Deutschland: Letzte Chance Kirche

Vor einiger Zeit war ich in einem Verwaltungsgericht, da war der Richter wenigstens so ehrlich, dass er sagte "Bei uns im Gericht stehen die Urteile ja immer schon vor der Verhandlung fest". Das sagte er ganz offen. Hier in Berlin ist es bei manchen Kammern ähnlich. Es gibt Richter, die haben noch nie einem konvertierten Christen Recht gegeben.

Sehen Sie das als politischen Auftrag des BAMF, für Ablehnungen zu sorgen?

Ja. Das kann man sehr deutlich erkennen. Das BAMF handelt als politische Behörde. Ihm geht es nicht um das Schicksal der einzelnen Menschen.

Zu Ihrer Gemeinde zählen 1300 Geflüchtete, darunter viele Iraner. Was hat ein iranischer Flüchtling zu befürchten, der konvertiert ist und zurückgeschickt wird?

Ein konkretes Beispiel von einem Betroffenen, bei dem nun die Gerichtsverhandlung ansteht: Er war ein populärer Schauspieler im Iran und ist seit einem schweren Verkehrsunfall querschnittsgelähmt. Schon im Iran hatte er sich dem christlichen Glauben zugewandt, dann ist er nach Deutschland geflohen. Hier wurde sein Antrag gleich abgelehnt.

Nun hat er mir gerade in der letzten Woche einen Filmbeitrag von "Iran International" gezeigt, in dem bestimmte Menschen, die in besonderer Weise als Feinde des iranischen Staates gelten, gezeigt wurden. Zu seiner Überraschung war da auch sein Bild zu sehen. Das heißt: Es ist völlig klar, dass er im Falle seiner Abschiebung gleich am Flughafen nach seinem christlichen Glauben befragt würde.

Eine Feier in der Gemeinde von Pfarrer Martens in Berlin-Steglitz - vor Corona
Eine Feier in der Gemeinde von Pfarrer Martens in Berlin-Steglitz - vor CoronaBild: Imago/epd

Er ist ein sehr überzeugter Christ. Er würde niemals leugnen. Und wir wissen von Fällen, wo Christen nach der Deportation in den Iran gleich am Flughafen verhaftet und gefoltert wurden. Und als Rollstuhlfahrer hätte er keine Chance, sich zu verstecken oder zu fliehen.

Und beim BAMF findet das kein Gehör?

Sie können dem BAMF lange schildern, wie schlimm es konvertierte Christen im Iran haben. Am Ende sagen die Ihnen: Wir haben festgestellt, dass er kein Christ ist - also ist er auch nicht in Gefahr. Der Chef des BAMF meint auch zu wissen, dass es gar keine Christenverfolgung im Iran gibt. Ich bin nur noch fassungslos über solch eine Ignoranz.

Sie sind Pfarrer. Würden Sie sich mehr Druck seitens der Kirchenleitungen wünschen?

An diesem Punkt bin ich tatsächlich von den Kirchen sehr enttäuscht. Sie engagieren sich ja in vielfältiger Weise für das Geschick von Flüchtlingen. Aber wenn es um das Geschick ihrer eigenen Kirchenmitglieder geht, sind sie in ganz merkwürdiger Weise zurückhaltend.

Sie vermissen das offene Wort?

Die Kirchen müssten doch aufschreien, wenn der Staat Vorgaben darüber macht, wie eine christliche Religion auszusehen hat. Dem Staat steht es nicht zu, gleichsam eine Art von Staatsreligion vorzugeben, an der dann gemessen wird, ob jemand ein Christ ist oder nicht.

Aber derzeit erleben wir immer wieder diese Farce in vielen Verwaltungsgerichten. Mit Verwaltungsrichtern, die in aller Regel vom christlichen Glauben so viel Ahnung haben wie ein Blinder von der Farbe, die aber beurteilen, was denn nun christlich ist und was einen Christen ausmacht. Daraus entstehen Urteile, gegen die dann nicht einmal mehr Berufung möglich ist.

Pfarrer Gottfried Martens (58) ist promovierter Theologe und Pfarrer der Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). In seinen Gottesdiensten kommt es häufig vor, dass er durchgängig Farsi spricht.