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Literatur

Patrick Süskind: "Das Parfum"

Aygül Cizmecioglu spe
7. Oktober 2018

Gleich mehrere Verlage lehnten das Manuskript ab. Am Ende wurde das Buch doch ein internationaler Bestseller. Eine Gesamtauflage von 20 Millionen Exemplaren, übersetzt in fast 50 Sprachen. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

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"Das Parfum" von Patrick Süskind
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

"Es war einer der heißesten Tage des Jahres. Die Hitze lag wie Blei über dem Friedhof und quetschte den nach einer Mischung aus fauligen Melonen und verbranntem Horn riechenden Verwesungsbrodem in die benachbarten Gassen. Grenouilles Mutter stand, als die Wehen einsetzten, an einer Fischbude in der Rue aux Fers und schuppte Weißlinge, die sie zuvor ausgenommen hatte. Die Fische, angeblich erst am Morgen aus der Seine gezogen, stanken bereits so sehr, dass ihr Geruch den Leichengeruch überdeckte."

Geboren im Dreck

Hier also wird einer der ungewöhnlichsten Romanhelden der deutschen Literatur geboren: an einer stinkenden Fischbude. Auf einem zum Markt umfunktionierten, den Verwesungsgeruch vergangener Jahrhunderte noch ausdünstenden Friedhof. Und so ist von Anfang an der Tod Jean-Baptiste Grenouille näher als das Leben. Seine Mutter schneidet mit einem dreckigen Messer die Nabelschnur ab und lässt ihr Baby einfach zwischen Fischkadavern liegen. Sterben soll der Balg!

"Das Parfum" von Patrick Süskind

Doch sie hat nicht mit dem unbedingten Überlebenswillen des Jungen gerechnet. Grenouille krallt sich mit seinen kleinen Fingern fest ins Dasein. Die Mutter wird als Kindsmörderin hingerichtet, er selbst als Waise abgeschoben. Es ist das Paris des 18. Jahrhunderts, ein schmieriger Moloch – auf den Straßen Kot, Abfälle. Wer es sich leisten kann, hält ein Taschentuch mit edlem Parfum an die Nase, um die bestialischen Gerüche nicht ertragen zu müssen. Die anderen arrangieren sich mit den stinkenden Ausdünstungen des Lebens. 

Ausgerechnet in diese Geruchswelt wirft Patrick Süskind nun Jean-Baptiste Grenouille. Der Pariser Waisenjunge ist gestraft mit einem hässlichen Körper bar jeglichen Eigendufts und gesegnet mit einer genialen Nase. Selbst Gerüche aus größter Entfernung vermag er wahrzunehmen und in ihre Einzelteile zu zerlegen. Ein Außenseiter mit einer einzigartigen Begabung und einer mörderischen Idee.

Duft aller Düfte

Er möchte den Duft aller Düfte kreieren. Eine Essenz, die ihn, den unscheinbaren Außenseiter, endlich riech- und dadurch auch sichtbar macht. Grenouille will das perfekte Parfum komponieren, um endlich Teil der Welt zu werden. Und dafür beginnt er zu töten – junge, wohlriechende Frauen, aus deren Geruch das ultimative Parfum entstehen soll. Sein erstes Opfer wird ein rothaariges Mirabellen-Mädchen.  

Tom Tykwer und Bernd Eichinger während der Dreharbeiten zu "Das Parfum" (c)Deutsche Kinemathek - Sammlung Bernd Eichinger)
Regisseur Tom Tykwer und Produzent Bernd Eichinger überredeten Süskind und ergatterten die Filmrechte. Bild: Deutsche Kinemathek - Sammlung Bernd Eichinger

"Sie war so starr vor Schreck, als sie ihn sah, dass er viel Zeit hatte, ihr seine Hände um den Hals zu legen. Sie versuchte keinen Schrei, rührte sich nicht, tat keine abwehrende Bewegung. Er seinerseits sah sie nicht an, […] hielt seine Augen fest geschlossen, während er sie würgte, und hatte nur die eine Sorge, von ihrem Duft nicht das Geringste zu verlieren."

Das Süskind-Geheimnis

Dutzende andere Frauen werden noch Grenouilles Obsession und seiner mörderischen Akribie zum Opfer fallen, bis er überführt wird. Das Buch, das zum größten deutschen Literaturerfolg nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, endet mit einer Szene, der etwas geradezu Orgiastisches anhaftet: Hunderte von Menschen sind gekommen, um seine Hinrichtung zu sehen. Grenouille gelingt es aber mit seinem einzigartigen Parfum, diesen Mob in einen Duftrausch zu versetzen. Sie stürmen das Schafott und schenken ihm so die Freiheit. 

"Er besaß […] eine Macht, die stärker war als die Macht des Geldes oder die Macht des Terrors oder die Macht des Todes: die unüberwindliche Macht, den Menschen Liebe einzuflößen. Nur eines konnte diese Macht nicht: Sie konnte ihn nicht vor sich selber riechen machen. Und mochte er auch vor der Welt durch sein Parfum erscheinen als ein Gott – wenn er sich selbst nicht riechen konnte, und deshalb niemand wüsste, wer er sei, so pfiff er drauf, auf die Welt, auf sich selbst, auf sein Parfum."

Filmstill Das Parfum
In der Verfilmung mimte der britische Nachwuchsschauspieler Ben Whishaw Grenouille und die Deutsche Karoline Herfurth das Mirabellen-Mädchen. Bild: Imago/United Archives

Was für eine geniale Idee, ausgerechnet den flüchtigsten aller Sinneseindrücke ins Zentrum einer Geschichte zu stellen! Nicht alle Verlage sahen das anfangs so. Patrick Süskind kassierte eine Absage nach der nächsten, bis der Zürcher Diogenes Verlag das Buch 1985 veröffentlichte. Inzwischen ist "Das Parfum" ein internationaler Bestseller – fast 20 Millionen Mal verkauft, übersetzt in fast 50 Sprachen, darunter sogar das Lateinische. Kein Buch eines deutschen Gegenwartsautors fand weltweit mehr Leser. 

Und das, obwohl Patrick Süskind sich konsequent dem Medienrummel entzieht. Keine Interviews, keine Einblicke in seine Arbeit oder gar sein Privatleben. Der Autor selbst ist so flüchtig wie der Duft, den sein Held Grenouille zu konservieren sucht. Vielleicht nährt sich der Erfolg des Buches auch ein Stück weit aus der geheimnisvollen Aura seines Erschaffers. 

Bestseller für die Leinwand

Auch die Filmbranche hatte den richtigen Riecher und wollte den Bestseller gewinnmaximiert auf die große Leinwand bringen. Doch lange galt das Buch als unverfilmbar. Eine schweigsame Hauptfigur, Geruch als Leitmotiv – wie packt man so eine Geschichte in spannungsvolle Dramaturgie, findet subtile Bilder dafür? 2006 ging Tom Tykwer dieses Wagnis ein.

Dreharbeiten 2005 Das Parfum, von Patrick Süskind
Die Dreharbeiten fanden in München, Barcelona und in der Provence statt und kosteten rund 60 Millionen Euro.Bild: picture-alliance/dpa/A. Olive

Das Ergebnis fanden einige Filmkritiker gelungen, hartgesottenen Literaturfreaks war die Verfilmung zu plump, zu effekthascherisch. Klar, dass jeder Leser seine eigene Bilderwelt beim Schmökern kreiert, an die kein fremder Regisseur heranreicht. Enttäuschung ist da vorprogrammiert. Vor allem wenn es sich um einen Bestseller handelt und die Erwartungen ungemein hoch sind. 

Was aber macht "Das Parfum" zu so einem außergewöhnlichen Buch? Mag es an der süffigen Melange zwischen historischem Stoff und Kriminalgeschichte liegen? Oder an der unangestrengt-klaren Sprache? Süskind stellt wie sooft einen Antihelden in den Mittelpunkt seiner Handlung. Einen Zwangscharakter, der nirgends dazu gehört und einen ganz eigenen Blick auf die Welt hat.

Trotz seiner autistischen Art und Bestialität regt sich beim Leser Mitgefühl für diesen Grenouille, weil man seine Zerrissenheit nachvollziehen kann. Nicht Kaltblütigkeit oder die Lust am Töten treibt ihn an, sondern der krankhafte Glaube, mit dem ultimativen Duft, die eigene Existenz riech- und damit sichtbar machen zu können. Wer diesem Meister der Düfte, diesem krankhaften Genie aus der Feder von Patrick Süskind einmal begegnet ist, der wird ihn so leicht nicht mehr vergessen. 


Patrick Süskind: "Das Parfum – die Geschichte eines Mörders" (1985), Diogenes Verlag

Patrick Süskind, geboren 1949 in Ambach am Starnberger See, lebt auch heute noch dort, in München oder Frankreich. Er gibt so gut wie keine Interviews und verweigert sich dem Literaturbetrieb. "Das Parfüm" ist bisher sein einziger Roman. Weltruhm erlangte er auch mit dem Einpersonenstück "Der Kontrabass" (1981), das zum laufenden Repertoire deutscher und internationaler Theater gehört.