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PolitikNahost

Oman: Seltener Protest und Sorge um die Zukunft

26. Mai 2021

Im sonst eher ruhigen Oman demonstrieren Bürger vehement gegen staatliche Sparmaßnahmen. Der neue Sultan und seine Regierung wollen eine Ausweitung der Proteste verhindern und setzen laut Berichten auch Tränengas ein.

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Oman, Sohar | Proteste
Pause vom Protest und Gespräche zwischen Demonstranten und Polizisten: Szene von den Kundgebungen in Sohar, 25. MaiBild: AP/picture alliance

Aufgebrachte Menschen, die ihren Unmut auf die Straße tragen; ihnen gegenüber ein Spalier von Sicherheitskräften; Einsatz von Tränengas: Es sind ungewohnte Szenen, die dieser Tage über die sozialen Medien aus Oman verbreitet werden. Die sonst so typische Ruhe im Sultanat scheint seit dem vergangenen Sonntag (23.05.) weitgehend dahin, an ihre Stelle treten lautstark artikulierte Proteste vor allem junger Menschen. Ihr zentrales Anliegen: Arbeitsplätze. Häufiges Ziel der Protestzüge sind deshalb die lokalen Arbeitsämter der von den Kundgebungen betroffenen Städte.

Begonnen hatten die Proteste in der Stadt Sohar, rund 200 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Maskat. Ihnen schlossen sich in den vergangenen drei Tagen Menschen in verschiedenen anderen Städten an. Manche Beobachter befürchten bereits ein härteres Durchgreifen und eine Eskalation der Proteste.

Die Dynamik der seit dem Wochenende anhaltenden Proteste unterliegt freilich Schwankungen: Zeigten Videos vom Anfang der Woche noch stark gerüstete Sicherheitskräfte, die den Demonstranten in dichter Reihe und unterstützt von massiven Fahrzeugen gegenüber traten, dokumentieren spätere Aufnahmen ein entspannter anmutendes Verhältnis: Zu sehen sind dort Videos, auf denen Sicherheitskräfte die campierenden Demonstranten mit Wasserflaschen versorgen. Möglicherweise will die Regierung eine offene Konfrontation vermeiden, doch dies scheint nicht einfach zu sein: So kam es am Mittwoch (26.05.) nach Angaben mehrerer Nachrichtenagenturen zum Einsatz von Tränengas gegen Demonstranten,  diese wiederum sollen mit Steinen geworfen haben. Eine weitere Eskalation scheint nicht ausgeschlossen.

Oman, Sohar | Proteste
Sicherheitskräfte und Zivilisten: Szene am Rande der Proteste in der Stadt Sohar Bild: AP/picture alliance

Sultan auf striktem Sparkurs

Die Proteste entwickelten sich vor dem Hintergrund eines straffen Sparprogramms, das Sultan Haitham bin Tarik al Said, der Nachfolger des im Januar 2020 verstorbenen langjährigen Staatschefs Sultan Kabus bin Said, dem Land auferlegt hatte. Dazu gehörten neben zahlreichen Entlassungen auch die Einführung einer Mehrwertsteuer im vergangenen Monat.

"Das grundlegende Problem ist die schwache wirtschaftliche Leistung des Landes, die zu einer wachsenden Jugendarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung geführt hat", sagt Adel Hamaizia, Politökonom am Londoner Thinktank Chatham House, im DW-Gespräch. Die jüngsten Entlassungen seien nur ein Symptom dieser Schwäche. "Erschwerend kommt hinzu, dass in der Bevölkerung eine Renten- und Anspruchsmentalität vorherrscht, die nicht mit den sinkenden Pro-Kopf-Renten vereinbar ist, die über Omans Kapazitäten im Jahr 2021 und in Zukunft bestimmen."

"Jugend ist der Reichtum der Nation"

Der Reformkurs der Regierung ist strikt. Er sieht unter anderem weniger staatliche Finanzhilfen, Frühverrentung und niedrigere Löhne bei Neueinstellungen vor. Auch sollen für einige Güter die bislang üblichen staatlichen Subventionen entfallen - und für einige Staatsleistungen fortan Gebühren erhoben werden. All dies steigert offenkundig den Unmut in Teilen der Bevölkerung.

Diesen Unmut versucht die Regierung nun offenbar zumindest rhetorisch zu mildern. "Die Jugend ist der Reichtum, die unerschöpfliche Ressource der Nation", erklärte Sultan Haitham angesichts der Proteste. "Wir werden ihnen zuhören und ihre Bedürfnisse, Interessen und Anliegen genau zur Kenntnis nehmen." Der omanischen Nachrichtenagentur ONA zufolge versprach der Sultan zu Wochenbeginn zudem, rund 32.000 neue Arbeitsstellen zu schaffen.

Staatshaushalt unter Druck

Doch diese Ankündigung sei allenfalls eine kurzfristige Lösung, sagt Adel Hamaizia von Chatham House. Denn ökonomisch steht Oman seit geraumer Zeit erheblich unter Druck. Die geschrumpfte Nachfrage auf den Ölmärkten wie auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben zu einer Rezession der nationalen Volkswirtschaft geführt. Der Verwaltungsapparat des Landes war in den vergangenen Jahrzehnten auch deshalb gezielt ausgebaut worden, um möglichst vielen Menschen Arbeit zu bieten.

Doch damit hat sich das Land offenbar übernommen: Der Wirtschaftsinformationsgesellschaft Germany Trade and Invest (gtai) zufolge verschlingt die Verwaltungsbürokratie inzwischen knapp drei Viertel der nationalen Einnahmen aus dem Erdölsektor. Dieser wiederum generiert knapp vier Fünftel der gesamten Exporterlöse des Landes.

Oman, Muscat | Sultan Haitham Bin Tariq Bin Taimour of Oman
Mit Protesten konfrontiert: Omans neuer Herrscher, Sultan Haitham bin Tarik al SaidBild: abaca/picture alliance

Der Anstieg des Ölpreises könnte eine gewisse Verschnaufpause verschaffen, sagt Adel Hamaizia. "Allerdings ist der fiskalische und schuldenpolitische Kurs derzeit nicht nachhaltig. Reformen müssten eher früher als später in Angriff genommen werden", betont der Experte. Zwar könnten die wohlhabenden Nachbarstaaten auf der arabischen Halbinsel das Land theoretisch zusätzlich unterstützen. "Allerdings steht bereits seit einiger Zeit die Frage im Raum, ob eine solche Unterstützung mit politischen Auflagen verbunden sein würde." Der Oman ist traditionell stolz darauf, in der Region politisch vergleichsweise unabhängig agieren zu können.

Sorge vor neuen Aufständen

Die raschen Reaktionen der Regierung deuten an, wie ernst sie die Proteste nimmt. Der ehemalige Außenminister des Landes, Yusuf bin Alawi, hatte bereits Ende April im omanischen Staatsfernsehen vieldeutig-allgemein erklärt, er erwarte weitere Aufstände in den arabischen Ländern. Die Umstände, die die Proteste im Rahmen des sogenannten Arabischen Frühlings 2011 ausgelöst hatten, existierten weiterhin, begründete er seine Annahme. "Vielleicht ist ein Frühling in unserer arabischen Region nicht genug, da sich nichts geändert hat." Es sei durchaus möglich, dass die Golfstaaten künftige Aufstände nicht überstehen könnten, so bin Alawi seinerzeit. Das beunruhige ihn, warnte der ehemalige Chef der ansonsten für ihren diskreten politischen Stil bekannten omanischen Diplomatie.

Die jetzigen Proteste dürften der Regierung auch unmittelbare Sorgen ökonomischer Art bereiten, sagt Adel Hamaizia. "Sollten sie zunehmen oder andauern, würde dies natürlich das Vertrauen der Investoren beschädigen - und das zu einer Zeit, in der der Oman verzweifelt nach ausländischen Direktinvestitionen sucht und Schlüsselsektoren wie den Tourismus ankurbeln möchte."

Infografik Karte Oman DE

Neuer Gesellschaftsvertrag?

Politisch hingegen stünde Oman nun vor der Frage, ob der schrumpfende wirtschaftliche Spielraum und damit auch die zurückgehenden sozialstaatlichen Verteilungsmöglichkeiten nicht durch eine politische Liberalisierung oder Öffnung begleitet werden müssten, meint der Experte. Denn ist der Staat ökonomisch weniger leistungsfähig, steigt natürlich der Druck, sich anderweitig gegenüber den Bürgern zu legitimieren - etwa durch politische oder gesellschaftliche Reformen. Perspektivisch, meint Adel Hamaizia, werde Oman kaum daran vorbeikommen, sich Gedanken zu machen, wie ein neuer Gesellschaftsvertrag aussehen könne.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika