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Politik

Schock und Entsetzen in Europa

Barbara Wesel
7. Januar 2021

Der Sturm auf das Kapitol in Washington durch Trump-Anhänger hat Schock und Entsetzen in Europa ausgelöst: Die Reaktionen aus Berlin, London oder Rom sind eindeutig. Barbara Wesel fasst zusammen.

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Symbolfoto Verhältnis USA EU
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Europäische Politiker zeigen sich von den Mob-Szenen im US-Kongress erschüttert und sprechen von einer Bedrohung der US-amerikanischen Demokratie. Ihre Hoffnung, dass die turbulenten und kontroversen Jahre der Trump-Präsidentschaft friedlich enden, wurden zwei Wochen vor dem Amtswechsel im Weißen Haus enttäuscht.

Ende der diplomatischen Zurückhaltung

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierte auf Twitter schnell und für seine Verhältnisse verblüffend scharf: "Schockierende Szenen in Washington D.C. Das Ergebnis dieser demokratischen Wahl muss respektiert werden." Für Stoltenberg, sonst Inbegriff diplomatischer Zurückhaltung, war das eine bemerkenswert deutliche Stellungnahme gegenüber dem größten NATO-Partner. In den vier Jahren von Trumps Präsidentschaft war er mehrmals mit der Drohung konfrontiert, dass der US-Präsident das Verteidigungsbündnis sprengen und verlassen könnte. Der NATO-Generalsekretär fühlte sich stets verpflichtet, die Wogen zu glätten, jetzt scheint auch für ihn das Ende der politischen Zurückhaltung erreicht. 

Der britische Premier Boris Johnson sah sich lange als eine Art Schüler und enger Verbündeter von Donald Trump. Er suchte bei ihm vor allem Unterstützung für den Brexit, hoffte auf ein spezielles Handelsabkommen mit den USA und suchte nach seinem Amtsantritt demonstrativ die Nähe zum US-Präsidenten. Der nannte Johnson nach seinem Wahlsieg "den britischen Trump". Aber die besondere Freundschaft  zwischen beiden brachte dem britischen Premier keinen politischen Gewinn. Jetzt verurteilt er "die abstoßenden Szenen im US Kongress. Die Vereinigten Staaten stehen weltweit für Demokratie, und es ist jetzt zentral, dass es eine friedliche und geordnete Machtübergabe gibt."

New York UNO Treffen Johnson Trump
Damals fühlten sie sich sehr verbunden: Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump im September 2019 in New YorkBild: Getty Images/AFP/S. Loeb

Für den irischen Premierminister Micheál Martin sind die Ereignisse in Washington ein historischer Bruch mit der tiefen Verbindung irischer Bürger mit den USA. "Ich weiß, dass viele wie ich die Szenen in Washington mit Sorge und Bestürzung beobachten." Und sein Außenminister Simon Coveney sieht in Donald Trump klar den Verantwortlichen: Es sei ein "bewusster Angriff auf die Demokratie durch einen amtierenden Präsidenten und seine Unterstützer gewesen, die eine faire und freie Wahl umstoßen wollen."  

Die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon reagierte ebenso eindeutig: "Die Szenen aus dem Kapitol sind absolut schrecklich." Sie erklärt sich solidarisch mit den demokratischen Kräften in den USA und fügt hinzu: "Schande über die, die zu diesem Angriff auf die Demokratie aufgewiegelt haben."

Parteiübergreifende Besorgnis

Auch im übrigen Europa sind die Regierungschefs besorgt und setzen auf den Amtsnachfolger im Weißen Haus: "Ich vertraue der Stärke der amerikanischen Demokratie. Der neue Präsident Joe Biden wird diese Zeit der Spannung überwinden und das Volk vereinen", hofft Spaniens sozialdemokratischer Premier Pedro Sánchez.

Sein Kollege, der schwedische Sozialdemokrat Stefan Lovfen, erklärte unmissverständlich: "Präsident Trump und viele Kongressmitglieder tragen eine entscheidende Verantwortung für die Geschehnisse." Und aus Finnland kam die Mahnung: "Dies zeigt, wie wichtig es ist, die Demokratie mit Festigkeit und Stärke zu verteidigen", so Premierministerin Sanna Marin.

Sogar aus dem rechtspopulistischen Spektrum kommt eine Absage an die Vorgänge im Kapitol: "Gewalt ist keine Lösung", schrieb Italiens Lega-Chef Matteo Salvini. Und der österreichische Kanzler Sebastian Kurz, der selbst eine Regierungskoalition mit Rechtspopulisten geführt hatte, erklärt: "Schockiert von den Szenen in Washington. Dies ist ein nicht hinnehmbarer Angriff auf die Demokratie."

Der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa hatte Trump noch nach der verlorenen Wahl im November zu seinem "Sieg" gratuliert und es vermieden, Joe Biden zu beglückwünschen. Jetzt rudert er vorsichtig zurück: "Gewalt und Morddrohungen - ob von Links oder Rechts - sind immer falsch." 

Schweigen herrscht dagegen bei den Anhängern von Donald Trump in mehreren osteuropäischen Hauptstädten. Weder in Warschau noch in Budapest nahmen die von Rechtspopulisten geführten Regierungen Stellung zu den Vorfällen in Washington. Polen und Ungarn hatten sich lange der besonderen Aufmerksamkeit und Unterstützung des US-Präsidenten erfreut und liegen mit der Europäischen Union im Dauerstreit wegen des Abbaus demokratischer Rechte.

Europa hofft auf Biden 

Charles Michel, Präsident des Europäisches Rates in Brüssel, fasst zusammen: "Der US-Kongress ist ein Tempel der Demokratie. Die Szenen in Washington zu beobachten ist ein Schock." 

Der französische Präsident Emmanel Macron beschwor jetzt in einer Videobotschaft die Freundschaft mit den USA: "Wir glauben an die Stärke der amerikanischen Demokratie." Die Szenen aus Washington seien "definitiv nicht amerikanisch".

Coronakrise Macron und Trump haben gutes Gespräch ARCHIV
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versuchte auf seine Weise mit dem US-Präsidenten klarzukommenBild: Imago-Images/Eibner Europa/J. Groder

Macron hatte zu Beginn vom Trumps Amtszeit versucht, den Präsidenten mit Schmeichelei und besonderer Behandlung zu beeinflussen. Aber auch eine Einladung zu der Militärparade am französischen Nationalfeiertag brachte keine Nähe zwischen beiden. Zuletzt musste der Franzose erkennen, dass mit dem US-Präsidenten keine politischen Geschäfte zu machen seien. Dennoch vermeidet Macron, mit dem Finger direkt auf Trump als Anstifter der Unruhen zu zeigen.

Im übrigen Europa war nach dem Wahlsieg des Demokraten Joe Biden Erleichterung zu spüren. War damit doch die Hoffnung verknüpft, die kontroversen Entscheidungen Donald Trumps, wie etwa der Austritt aus dem Klimaschutzabkommen oder auch seine Iranpolitik, rückgängig zu machen.

Für viele dürfte ein Schatten auf die Belastbarkeit der US-amerikanischen Demokratie gefallen sein. Die warnenden Töne sind unüberhörbar, demokratische Institutionen könnten durch Verschwörungstheorien und Demagogie in Mitleidenschaft gezogen werden. Ob und welche Konsequenzen Europa daraus ziehen wird, wird sich in den politischen Debatten der nächsten Monate zeigen.

Dieser Artikel ist die aktualisierte Fassung einer früheren Version.