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Das Ende des russischen Monopols im Weltraum

Roman Goncharenko
31. Mai 2020

Nach vielen Jahren kehren die USA in die bemannte Raumfahrt zurück. Die einzige Branche, in der die Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington nicht zurückgefahren wurde, steht vor Veränderungen.

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USA Cape Canaveral Startabbruch SpaceX Falcon 9 Rakete
Der Start der Rakete Falcon 9 von SpaceX wurde am 27. Mai aufgrund des schlechten Wetters abgebrochenBild: picture-alliance/AP Photo/SpaceX

In den vergangenen neun Jahren konnte alleine Russland die Astronauten zur Internationalen Weltraumstation (ISS) schicken. Doch diese Ära der Dominanz Moskaus ist an diesem Samstag zu Ende gegangen, als die US-Rakete "Falcon 9" zwei Astronauten im Raumschiff "Crew Dragon" erfolgreich ins All gebracht hat. Wenige Tage zuvor war der Start wegen ungünstigem Wetter abgebrochen worden.

Seit dem Ende der Shuttle-Flüge im Juli 2011 besitzt die US-Raumfahrtagentur NASA keine eigenen Raumschiffe mehr. Im Prinzip ändert sich das auch nicht, denn das Raumschiff "Dragon" ("Drache") wurde von der Privatfirma SpaceX des Unternehmers Elon Musk entwickelt - und es gehört ihr auch. Bis Ende des Jahres will der Boeing-Konzern ebenfalls Flüge mit seinem Raumschiff "Starliner" aufnehmen - allerdings zunächst ohne Astronauten. Die Vereinigten Staaten kehren damit nicht nur in den Elite-Club von Nationen zurück, die Menschen ins Weltall bringen können, zu dem Russland und China zählen. Wenn die USA zudem zwei verschiedene Raumschiffe bekommen, würden sie in einem inoffiziellen Rennen plötzlich vorne liegen, und Russland hätte neue Konkurrenz.

Zuverlässige Starts, gestiegene Preise

Als die US-Astronauten auf russische "Sojus"-Raumschiffe umsatteln mussten, war das eigentlich nichts Neues. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlebte die Zusammenarbeit beider Länder in der bemannten Raumfahrt einen Boom. US-Shuttles flogen die russische Weltraumstation "Mir" an und nahmen auch russische Kosmonauten mit. Nach der Jahrtausendwende hoben US-Astronauten vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan regelmäßig mit russischen Raumschiffen zur ISS ab. Die Rolle des Monopolisten fiel Russland erst nach der Katastrophe des US-Shuttles "Columbia" im Jahr 2003 zu. Damals stoppten die Amerikaner ihre Flüge für zwei Jahre. Und auch danach musste Moskau für einen längeren Zeitraum als Weltraumtaxi einspringen. "Russland konnte nicht nein sagen", sagte Igor Marinin, Mitglied der Russischen Raumfahrtakademie, in einem DW-Gespräch. Der Betrieb der ISS sei ohne die US-Amerikaner "unmöglich", auch weil "das russische Modul nicht autonom fliegen" könne.

Internationale Raumstation ISS
Internationale Raumstation ISSBild: picture-alliance/dpa/NASA

Die Bilanz der vergangenen neun Jahre in Zahlen: Rund 40 erfolgreiche "Sojus"-Starts mit US-Astronauten an Bord, im Durchschnitt viermal im Jahr. Damit sei die russische Industrie an ihre Grenzen gestoßen, so Marinin. Ein Vorfall im Sommer 2018 zeigte jedoch, dass nicht alles harmonisch läuft zwischen NASA und dem staatlichen russischen Weltraumkonzern "Roskosmos". Es gab Druckverlust in einer an der ISS angedockten "Sojus"-Kapsel. Ein Loch wurde gefunden und abgedichtet. Laut russischen Medienberichten verdächtigte "Roskosmos" US-Astronauten, doch diese wiesen jede Anschuldigung zurück. Dann geschah erneut etwas äußert Seltenes. Im Oktober 2018 versagte beim Start die Trägerrakete. Ein Notfallsystem rettete einem Russen und einem US-Amerikaner an Bord das Leben. In Russland sah man den Vorfall als Beweis für die Sicherheit der veralteten, aber zuverlässigen Technik. "Das System hat seine Robustheit bewiesen", sagte der deutsche Astronaut Thomas Reiter, der einst mit "Sojus"-Raumschiffen geflogen war.

In der "Sojus"-Kapsel gibt es Platz für drei Personen. Für jeden Flug kassiert "Roskosmos" inzwischen immer mehr. Nach US-Angaben kostete ein Ticket zur ISS und zurück anfangs rund 21 Millionen US-Dollar, zuletzt stiegen die Preise auf 80 Millionen. Bisher ist nur noch ein weiterer Flug zwischen Russen und Amerikanern vereinbart, im Herbst 2020, für 90 Millionen. 

ISS als Insel der Zusammenarbeit

Von der politischen Abkühlung zwischen Moskau und Washington, die durch die Krim-Annexion ausgelöst wurde, blieb allein die  Zusammenarbeit im Rahmen des ISS-Programms verschont. Nur einmal, im Frühling 2014, drohte der damalige stellvertretende Ministerpräsident und heutige Chef von "Roskosmos", Dmitri Rogosin, den USA damit, den Transport von Astronauten zur ISS zu beenden. Doch das ist längst Vergangenheit. Während einer Live-Verbindung mit der ISS-Besatzung hat Russlands Präsident Wladimir Putin die "effektive Partnerschaft" Russlands und der USA gelobt. "Mit den Amerikanern gibt es komplette Übereinstimmung", bestätigt auch Igor Marinin, schränkt jedoch ein, das gelte nur für die bemannte Raumfahrt, nicht aber für die kommerzielle und militärische Weltraumnutzung. Zudem verschärft sich die Konkurrenz bei kommerziellen Aufträgen. SpaceX hat Russland etwa bei Satelliten-Starts stark unter Druck gesetzt. Und beide Länder treiben ihre militärische Technologien für den Weltraum voran.

NASA-Astronauten
NASA-Astronauten Bob Behnken (links) und Doug Harley (rechts) posieren vor dem "Dragon" RaumschiffBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/ZUMA Wire/NASA

Abgesehen von den bemannten Flügen ist die Raumfahrt in Russland seit langem schwächer als in den USA. Das russische Monopol habe es ermöglicht, dies zu kaschieren, sagte Raumfahrtexperte Andrej Ionin der DW. "Jetzt fällt der letzte Schleier, der den Motivationsverlust und den technischen Rückstand versteckt hatte", so Ionin. "Die Staatsführung wird sehen, dass der König nackt ist." Der Experte geht von einem schnell anwachsenden Rückstand vor allem zu SpaceX aus. Dabei hofft Ionin, dass die neue Konkurrenz den Staat zwingen wird, "Roskosmos" zu reformieren. Möglichkeiten dafür gebe es.

Wer übernimmt die US-Sitze in "Sojus"-Raumschiffen?

Nach einem erfolgreichen Flug des "Dragon" dürften die USA ihre Zusammenarbeit mit Russland in der bemannten Raumfahrt zurückfahren. Die neuen US-Raumschiffe könnten doppelt so viele Menschen mitnehmen, sie seien moderner und komfortabler als russische, die noch auf Lösungen aus den 1960er Jahren basieren, räumt der Experte Igor Marinin ein. Allerdings glaubt er an einen Vorteil der "Sojus"-Raumschiffe, der noch einige Jahre weiter bestehen werde: Die in vielen Jahrzehnten bewiesene Zuverlässigkeit.

Der Betrieb der ISS ist bis 2024 gesichert. Bis dahin wird die NASA immer weniger Astronauten mit russischer Hilfe ins All schicken. Das würde Kapazitäten für Europäer und Weltraumtouristen freimachen. Russland hat bereits für 2021 angekündigt, wieder Privatpersonen in den Weltraum zu befördern. Igor Marinin erwartet auch zusätzliche Kapazitäten für die Entwicklung des neuen Raumschiffs "Orjol" (Adler). Sein Erstflug ist für 2023 geplant.

Schritt zurück in Weltraumforschung?            

Insgesamt scheint die Ära einer enger Zusammenarbeit von Moskau und Washington in der Weltraumforschung zu Ende zu gehen. Die USA wollen wieder zum Mond fliegen. Auch Russland möchte dorthin und plant den Bau einer eigenen Weltraumstation als Ersatz für die ISS. Andrej Ionin warnt: Der größte Gewinn des ISS-Programms, die "unschätzbare Erfahrung von Zusammenarbeit", könnte verloren gehen. Eine Rückkehr zu nationalen Alleingängen im Weltraum sei ein Schritt zurück - hin zu einem Wettlauf wie in den 1960er Jahren.