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Mohsen Makhmalbaf: "Die Frauen schauen durch einen Schleier als ob sie in einem Gefängnis wären"

Birgit Spielmann 24. Oktober 2001

"Die Reise nach Kandahar" - der Film des iranischen Regisseurs und seine Schwierigkeit über Afghanistan zu sprechen

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Allah sei alles Bildhafte zuwider. Mit dieser Begründung haben die Taliban in Afghanistan im März diesen Jahres anderthalbtausend Jahre alte Buddha-Statuen gesprengt - allen internationalen Protesten zum Trotz. Nicht nur religiöse Zeugnisse aus vor-islamischer Zeit fallen dem Bildersturm des Taliban-Regimes zum Opfer, auch Film, Fernsehen und Videogeräte gelten als 'Harram' (phon.), als Sünde. Wer beim Fotografieren oder Filmen erwischt wird, muß mit Auspeitschung oder Schlimmeren rechnen. Trotzdem haben sich immer wieder mutige Filmemacher gefunden, die mit ihren Kameras durch Afghanistan gereist sind und von dort erzählen. Einer von ihnen ist der Iraner Mohsen Makhmalbaf. Für sein Filmwerk und sein "Engagement für afghanische Frauen" erhielt er in diesem Jahr die Fellini Medaille, die von der Unesco in Paris vergeben wird. Als sein jüngster Film, die 'Reise nach Kandahar', auf dem diesjährigen Festival in Cannes einem europäischen Publikum vorgeführt wurde, da ahnte noch niemand wie aktuell dieser Film werden würde. Kaum einer hatte damals überhaupt schon einmal von Kandahar gehört, jener Stadt, in der 1994 die Taliban-Milizen gegründet wurden und die uns heute als das Zentrum des religiösen Fanatismus in Afghanistan bekannt ist.

Makhmalbafs Film führt uns von der iranischen Grenze geradewegs in dieses Zentrum:

"I am glad you do not know the truth that in Afghanistan these past twenty years one human being has died every five minutes from mines, from war, famine and drought. If you know that you would have lost hope every five minutes..." [afghanisches Kinderlied]

Nasfas (phon.) spricht auf Englisch in ihr Diktiergerät. Die junge Frau ist aus Afghanistan geflohen, lebt in Kanada und arbeitet dort als Journalistin. Das Diktiergerät ist ihr Tagebuch, ihm vertraut sie auf ihrer einsamen Reise alles an. Es soll als Zeugnis bleiben, falls ihr etwas zustößt.

Denn ungefährlich ist die Reise nicht, die sie unternimmt. Illegal kam sie über die Grenze nach Afghanistan, um ihre Schwester in Kandahar zu besuchen. Sie, die zurückbleiben mußte, weil sie bei einer Landminenexplosion beide Beine verlor, hat angedroht, sich umzubringen, weil ihr das Leben als Frau dort nicht mehr lebenswert erscheint.

Der Film folgt den verschiedenen Reisestationen von Nasfas: die Kargheit der Landschaft, die uns inzwischen durch die täglichen Fernsehbilder so vertraut ist, spiegelt die Einsamkeit von Nasfas wieder. Sie muß ständig auf der Hut sein, sie hat als Frau nicht das Recht, diese Reise allein zu unternehmen. So kauft sie sich für teure Dollars bei einem alten Mann ein, der verspricht, sie als eine seiner Frauen Richtung Kandahar zu bringen.

Mohsen Makhmalbaf zeigt die anderen Frauen mit ihren Kindern immer als eine homogene Masse. Die Mädchen haben das Gesicht noch frei, ihre Mütter sind vollständig verhüllt. Sie stellen ein Bild aus Farben und Formen dar, hinter dem das Individuum verschwindet. Nasfas gesellt sich dazu und wird Bestandteil des Gruppenbildes. Ihr Gesicht, das anfangs noch sichtbar war, ist nun auch vom Schleier verdeckt.

Als die Reisegruppe von Banditen überfallen wird, beschließt der Mann zurück zur iranischen Grenze zu fahren und überläßt Nasfas ihrem Schicksal. Sie trifft auf einen Jungen, der gerade aus einer Koranschule geworfen wurde. Er bietet sich an ihr Führer zu sein - gegen gute Bezahlung. Die zwei laufen in glühender Hitze durch eine unwirtliche und unwirkliche Landschaft: Nasfas erschöpft und müde wird krank als sie Brunnenwasser trinkt.

In der nächsten Ortschaft befindet sich glücklicherweise ein Arzt. Hinter einem Vorhand mit einem winzigen Guckloch sitzt er, sie nimmt auf der anderen Seite platz. Zu ihm sprechen als Frau darf sie nicht, die Vermittlung übernimmt der Junge.

Der Arzt erkennt, dass sie nicht mehr in Afghanistan lebt, erfährt von ihrem Anliegen und verspricht zu helfen - auch er gibt etwas von sich preis: Er ist Afro-Amerikaner, ging 1980 nach Afghanistan, um gegen die Sowjets zu kämpfen und blieb dort auf der Suche nach religiöser Erleuchtung. Er arbeitet als Arzt, ist es aber nicht, die meisten Menschen, die zu ihm kämen, litten unter Hunger und den schlechten Lebensbedingungen.

Mit ihm geht die Reise nach ihrer Genesung weiter. Doch auch er kann sie nicht ganz zum Ziel bringen, sie muß sich einen weiteren Mann anvertrauen.

"Es ist nicht leicht über Afghanistan zu sprechen. Sie wissen ja, dass es ein Land ist mit vielen Emigranten und vielen Toten. Sechs Millionen Menschen sind aus Afghanistan geflohen und während der letzten zwanzig Jahre gab es 2,5 Millionien Tote. es ist nicht einfach, darüber zu reden, über ein Land, das keine Bilder hat, keine Kinos, kein Fernsehen, Fotos sind verboten und die Frauen schauen durch einen Schleier, durch die Burga, als ob sie in einem Gefängnis wären. Wie gesagt, es ist wirklich nicht einfach, über ein Land zu sprechen, das keine Bilder hat."

Mohsen Makhmalbaf kritisiert in seinem Film das unmenschliche Taliban-Regime sehr deutlich: den Ausschluß der Frauen, die mißratenen Lebensbedingungen, die Verlogenheit mit der Religion für politische Interessen instrumentalisiert wird, die Kultur- und Menschenverachtung, die mit dieser Politik einhergeht.

Ihm gelingt es über Landschaft und Ruinen die Verzweifelung der Menschen sichtbar zu machen. Darüber entstehen einzigartige, unvergeßliche Aufnahmen. Die politischen Inhalte hingegen wirken manchmal überzeichnet.

Mohsen Makhmalbaf möchte zu viel mit diesem Film, zu viel liegt ihm am Herzen. Doch weil genau diese Anliegen spürbar wird, sehen wir es ihm gerne nach, schließlich hat auch Mohsen Makhmalbaf illegal mit einer Videokamera Teile seines Films in Afghanistan gedreht. Die Gefahr, in der sich Nasfas, seine Hauptdarstellerin, befindet, ist ihm vertraut.

Ob Nasfas ihr Ziel erreicht, läßt er bewußt offen: die Schlußaufnahme zeigt Nasfas inmitten eines Hochzeitzuges von Frauen, der von einem Religionswächter kontrolliert wird. Er fahndet nach unerlaubten Büchern und Musikinstrumenten.