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Mohammad Rasoulof trotzt Irans Regime mit neuem Film

Scott Roxborough
25. Mai 2024

"The Seed of the Sacred Fig" erforscht das autoritäre System des Iran von innen. Der Filmemacher drehte sein neuestes Werk heimlich. Jetzt konnte er aus dem Iran fliehen und wurde in Cannes mit dem Jury-Preis geehrt.

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Mohammad Rasoulof reckt bei der Preisverleihung in Cannes ein mit einer roten Schleife umwickeltes Dokument in die Höhe
Einen Spezialpreis der Jury gab es für den iranischen Regisseur Mohammed Rassoulof Bild: Andreea Alexandru/Invision/AP/picture alliance

Nach seiner gefährlichen Flucht aus dem Iran ist Mohammad Rasoulof beim Filmfestival in Cannes mit einem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet worden. Der Filmemacher war nur knapp einer achtjährigen Haftstrafe und der Auspeitschung entgangen. Erst als er letzte Woche wohlbehalten in Deutschland ankam, wurden Details seiner abenteuerlichen Flucht bekannt. Demnach verließ er sein Heimatland zu Fuß über die gebirgige Grenze.

Der Fall Rasoulofs reicht bis ins Jahr 2022 zurück, als er festgenommen und im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftiert wurde. Der Grund: Er hatte eine Petition unterzeichnet, in der die Sicherheitskräfte aufgefordert wurden, "die Waffen niederzulegen" und sich bei Straßenprotesten zurückzuhalten. Im vergangenen Februar wurde er aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend freigelassen. Rasoulof stand jedoch weiterhin unter Hausarrest. Im Mai 2024 wurde er zu acht Jahren Haft und Peitschenhieben verurteilt.

"Ich habe mich immer gefragt: Wie werde ich reagieren, wenn ich erfahre, dass ich ins Gefängnis muss?", sagt Rasoulof in Cannes, wo "The Seed of the Sacred Fig" (etwa: "Die Saat der heiligen Feige") am Freitag Premiere feierte und am Samstag ausgezeichnet wurde. Der Gedanke habe ihm zwar keine Angst gemacht, so Rasoulof. Aber er habe gerade seinen Film fertiggestellt. Die Polizei sollte ihn nicht davon abhalten.

Flucht über die Berge in die Freiheit

"Für mich ging es vor allem darum, weiter Filme zu machen und meine Geschichten zu erzählen", sagt er. "Ich hatte noch mehr Geschichten zu erzählen, und nichts konnte mich davon abhalten." Im Gefängnis erzählten ihm Mithäftlinge von einer geheimen Fluchtroute durch die Berge. Sie führte ihn in die Freiheit. "Rückblickend denke ich, dass ich großes Glück hatte, im Gefängnis zu sein, weil ich dort sehr hilfsbereite Menschen kennengelernt habe", sagt Rasoulof.

Der Filmemacher wählte Deutschland für sein Exil, weil "The Seed of the Sacred Fig" in Hamburg - von Fatih Akins Verleger Andrew Bird - herausgegeben wurde. Außerdem hatte er schon einmal in Deutschland gelebt, so dass seine Daten bereits bei den deutschen Behörden gespeichert waren. Sie konnten ihn auch ohne seinen Pass identifizieren. Diesen hatte die iranische Polizei eingezogen.

 Film ohne staatliche Genehmigung

Finale der Filmfestspiele von Cannes

Und worum geht es in "The Seed of the Sacred Fig"?  Der Film erzählt von Iman, einem Ermittler des iranischen Revolutionsgerichts. Er ist zwar dem Regime treu ergeben. Doch die Willkür und Schnelligkeit der Todesurteile, die er unterzeichnen muss, lässt ihn immer mehr zweifeln. Hinzu kommt, dass seine Frau und seine kleinen Töchter in die Proteste der Bewegung "Frauen, Leben, Freiheit" hineingezogen werden, ausgelöst durch den Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini im Jahr 2022.

Amini wurde verhaftet, weil sie angeblich ihren Hijab nicht richtig trug. Deswegen soll sie von der Polizei geschlagen worden sein. Sie starb im Gefängnis. Ein Aufschrei der Entrüstung ging durch das Land. 

Wie schon Rasoulofs letzter Film "There Is No Evil", der bei der Berlinale 2020 den Goldenen Bären für den besten Film gewann, wurde auch "The Seed of the Sacred Fig" heimlich und ohne offizielle Genehmigung der Regierung gedreht. Rasoulof hat seit 2017 im Iran Berufsverbot. Doch er arbeitet weiter und finanziert seine Filme mit Geld aus dem Ausland, vorwiegend aus Europa. Er hat ein ausgeklügeltes System entwickelt, um Entdeckung und staatliche Zensur zu umgehen.

Das führt dazu, dass auch "The Seed of the Sacred Fig" Szenen zeigt, die in einem offiziell genehmigten iranischen Film niemals vorkommen würden. Wir sehen Frauen ohne Kopftuch, ein absolutes Tabu. Rasoulof verwendet häufig Handyaufnahmen, die in iranischen sozialen Medien veröffentlicht wurden. Sie zeigen, wie die Polizei gegen die Demonstrantin von "Women Life Freedom" vorgeht. Solche Bilder lassen die iranischen Behörden nicht zu.

Die Perspektive der Täter 

Der Regisseur will sich auf die Täter konzentrieren, auf diejenigen, die die staatliche Unterdrückung im Iran durchsetzen, und nicht nur auf die Opfer. Zuvor hatte er im Gefängnis einen Regierungsbeamten getroffen, der sich seiner Komplizenschaft mit dem autoritären Regime schuldig bekannte.

Dieser habe ihm gesagt: "Glaubt nicht, dass wir glücklich sind. Jeden Tag, wenn ich dieses Gefängnis betrete, schaue ich auf das Tor und denke: Wann werde ich mich vor dieser Tür aufhängen? Jeden Tag fragen mich meine Kinder: Was machst du da?" Das sei der Keim dieser Geschichte gewesen, sagt Rasoulof. "Früher habe ich das iranische Regime als System gesehen und nicht wirklich darauf geachtet, wie es funktioniert", sagt der Regisseur. "Aber mit meinen letzten beiden Filmen, 'A Man of Integrity' und 'There Is No Evil', und noch mehr mit diesem Film, komme ich den Elementen, die diese Maschine am Laufen halten, immer näher: Wer sind die Menschen, die das Regime unterstützen? Was sind ihre Motive?" Er habe versucht, sich ihnen zu nähern, um ihre Psychologie zu verstehen, ihre Beziehung zu dem System, das sie nähren, sagt Rasoulof.

Bei der iranischen Regierung hat sich der Filmemacher damit keine Freunde gemacht. Dass er in absehbarer Zeit in seine Heimat zurückkehren kann, hält Rasoulof für unwahrscheinlich. Dennoch kann er sich mit dem Gedanken anfreunden, ein Künstler im Exil zu sein, ein Teil der riesigen Diaspora von Iranern, die das Land verlassen mussten, "weil sie ihr Leben nicht so weiterführen konnten, wie sie es wollten. Jetzt bin ich einer von ihnen.

Kein sicherer Ort vor Irans Regime

Doch auch in Europa, sagt Rasoulof, könne er nie ganz sicher sein vor der Gewalt des iranischen Staates. "Sie können mich kriegen, wenn sie wollen", sagt er. "Ich werde nie vergessen, dass die Islamische Republik terroristisch ist. Das ist etwas, das ich immer in mir trage. Ich vergesse nicht, wer der Feind ist."

Doch wo auch immer er ist, Mohammad Rasoulof hat sich geschworen, weiterhin seine Wahrheit über den Iran zu erzählen. Die Arbeit im Exil werde wahrscheinlich neue Einschränkungen mit sich bringen, aber daran sei er gewöhnt. "Ich werde meine Geschichten weiter erzählen", verspricht der Regisseur, "und wenn ich dafür Puppen oder Knetfiguren benutzen muss, ich werde nicht aufhören.

Adaption aus dem Englischen: Stefan Dege. Dieser Artikel wurde nach der Preisverleihung in Cannes aktualisiert.