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"Schadensfall Afghanistan"

Sabine Kinkartz19. September 2012

Die Bundesregierung hat neue Leitlinien zum Umgang mit Krisenstaaten beschlossen. Den Export westlicher Demokratievorstellungen in fragile Staaten soll es demnach nicht mehr geben.

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Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP, v.l.), Verteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU) und Aussenminister Guido Westerwelle (FDP) am Mittwoch (19.09.12) in Berlin auf einer Pressekonferenz zur Vorstellung der "Leitlinien zur Politik gegenueber fragilen Staaten". Foto: Adam Berry/dapd
Bild: dapd

Somalia, Kongo, Sudan, Tschad, Simbabwe, Afghanistan, Haiti, Jemen, Irak - die Liste der sogenannten fragilen Staaten wird immer länger. Als fragil gilt ein Land dann, wenn seine staatlichen Institutionen nur rudimentär funktionieren, wenn Sicherheit, Wohlfahrt und Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet sind. Die Folge sind politische Spannungen, Armut und gewaltsame Konflikte.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle spricht von "einer bedrohlichen Schwächung von Staaten bis zum Zerfall". Das habe erhebliche Konsequenzen nicht nur für die jeweiligen Länder und ihre Regionen, sondern auch für die internationale Sicherheit. "Wenn zum Beispiel Terrorismus und Kriminalität oder Piraterie daraus entstehen, dann ist das kein außenpolitisch fernes, akademisches Thema, sondern ein Thema, das auch uns in Deutschland unmittelbar betrifft und berührt."

Weltweit gibt es immer mehr Krisenregionen

Ungefähr die Hälfte aller Länder, in denen die Bundesregierung Entwicklungshilfe leistet, gilt als fragil oder von Konflikten betroffen. Das sagt Dirk Niebel, der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Und es werden immer mehr. Mit Sorge, so Niebel, betrachte er insbesondere einen "Gürtel der Fragilität", der sich von Guinea-Bissau in West-Afrika über die Sahelzone bis nach Somalia in Ostafrika ziehe. Dieser Gürtel breite sich immer weiter nach Süden aus und biete Terroristen und Extremisten einen wachsenden Nährboden.

Doch wie kann diese Entwicklung gestoppt werden? Die Bundesregierung versucht es mit einem ressortübergreifenden politischen Ansatz und neuen Leitlinien, die an diesem Mittwoch (19.08.2012) im Kabinett beschlossen wurden. Das Auswärtige Amt, das Verteidigungsministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sollen in Zukunft enger kooperieren.

Berlin: Neue Leitlinien für Problemstaaten

Nur durch die Kombination verschiedener Politikbereiche gelinge es, Krisen vorzubeugen, sie zu bewältigen und Länder langfristig zu stabilisieren, betont Außenminister Westerwelle. Für Afghanistan und Somalia gibt es schon länger ressortübergreifende Task Forces, also Arbeitsstäbe. Für Syrien, den Sudan und Sahel sind inzwischen ebenfalls solche eingerichtet worden.

Mehr Bescheidenheit und Realismus

Neu ist die Erkenntnis nicht, dass weder das Militär, noch die klassische Diplomatie oder die Entwicklungshilfe alleine ausreicht, um Konflikte zu bekämpfen. Entwicklungspolitik sei zwar die schärfste Waffe gegen Extremismus, da es die beste Möglichkeit biete, den Extremisten den Nährboden zu entziehen, betont Entwicklungsminister Niebel. "Aber wir werden mit noch so vielen Geldern keine Sicherheit schaffen können." Entwicklungshelfer bräuchten einen auch militärisch gesicherten Rahmen, um überhaupt arbeitsfähig sein zu können.

Somali government soldiers patrol the scene of an explosion in the capital of Mogadishu September 12, 2012. REUTERS/Omar Faruk
Somalia: Paradebeispiel für einen fragilen StaatBild: Reuters

Die deutsche Politik gegenüber fragilen Staaten soll sich aber auch inhaltlich ändern. Von einer Neuausrichtung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik will Außenminister Westerwelle zwar nicht sprechen, es gebe vielmehr ein zusätzliches "praktisches Handlungswerkzeug". In Krisengebieten müsse realistischer und pragmatischer vorgegangen werden und mehr auf lokale Befindlichkeiten geachtet werden. "Man kann in fragilen Staaten nicht für Stabilität sorgen, indem man alles mit unserer Brille betrachtet", so Westerwelle.

Erwartungen in Afghanistan zu hoch

"Wir fahren immer dann gut, wenn wir die Legitimationsvorstellungen der Region kulturell, politisch, historisch vor Ort zugrunde legen", ergänzt Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere. Das gehe natürlich nicht grenzenlos. "Wir müssen auf der grundlegenden Achtung universeller Menschenrechte bestehen, es geht aber nicht um den Export unseres Demokratiesystems." Viel zu lange sei die Stabilität von Staaten mit der Stabilität von Regierungen verwechselt worden.

Mit dem neuen Konzept im Umgang mit fragilen Staaten zieht die Bundesregierung auch Konsequenzen aus dem bereits seit mehr als zehn Jahren dauernden Afghanistan-Einsatz. "Der Einsatz in Afghanistan war aus meiner Sicht kein Fehler, aber die Erwartungen waren zu hoch", so Minister de Maiziere. Entwicklungsminister Niebel wird noch konkreter: "Afghanistan ist der Schadensfall und nicht das Paradebeispiel für vernetzte Sicherheit".