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Michelle Bachelet: Kampf um Frauenrechte

Oxana Evdokimova | Janina Semenova
1. Mai 2021

Michelle Bachelet war immer Pionierin: Als erste Verteidigungsministerin Chiles und als erste Präsidentin. Jetzt ist sie UN-Menschenrechtskommissarin – und erzählt von ihrem Einsatz für Frauenrechte.

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Als Michelle Bachelet 2006 die erste Präsidentin von Chile wurde, waren Scheidungen in dem lateinamerikanischen Land gerade einmal seit zwei Jahren legal. Abtreibungen waren komplett verboten, selbst im Falle einer Vergewaltigung. Eine alleinerziehende Mutter, Sozialdemokratin und Atheistin an der Spitze – das war eine Sensation in dem sehr konservativen und katholisch geprägten Chile.

Bereits 2002 war Bachelet "die Erste": Chiles erste weibliche Verteidigungsministerin. "Ich war die erste in Chile, in Lateinamerika und die fünfte auf der ganzen Welt. Ich erzähle Ihnen das nicht, um zu sagen, wie stolz ich bin, sondern wie schlimm die Situation für Frauen ist."

Michelle Bachelet, damals Verteidigungsministerin von Chile, lächelt in die Kamera
Michelle Bachelet als Verteidigungsministerin Chiles 2005Bild: Imago/L. Coch

Unrecht der Pinochet-Diktatur

Heute ist Bachelet ein Vorbild für viele junge Frauen - vor allem in dem Land, in dem ihre Familie einst von der Militärdiktatur verfolgt wird. Bachelets Vater, ein General der Luftwaffe, widersetzt sich 1973 dem brutalen Militärputsch von Augusto Pinochet. Er wird inhaftiert und gefoltert. Die Folgen der Folter kosten ihn schließlich das Leben. Auch Bachelet und ihre Mutter werden ins Gefängnis gesteckt und müssen fliehen.

Diese Erfahrungen haben Bachelet geprägt: "Sie haben meine Vorstellung von Menschenrechten, der Bedeutung von Demokratie und Dialog gestärkt." Nach vier Jahren im Exil kehrt Bachelet 1979 zurück nach Chile - noch vor dem Ende der Militärdiktatur. Sie wird Ärztin und behandelt Folteropfer.

Die DW hat mit Michelle Bachelet im Rahmen der Interview-Reihe "Merkel's Era: The Women of Power" gesprochen. Sie habe nie daran gedacht, Präsidentin zu werden, erzählt Bachelet. "Frauen wird beigebracht, dass sie vieles erreichen können, aber dass Ehrgeiz etwas Schlechtes ist."

Doch Bachelet lässt sich von ihrer Mutter inspirieren, die berufstätig ist und später Aktivistin wird. Schon in der Mädchenschule lernt sie, sich zu beweisen. Das prägt ihr Selbstverständnis als Frau: "Unser Platz im Leben ist nicht unbedingt in der Küche, wir können mehr erreichen."

Nach dem Ende der Militärdiktatur 1990 in Chile startet Bachelet zunächst eine Karriere im Gesundheitsministerium. Dann folgen zunächst das Verteidigungsministerium und schließlich die zwei Präsidentschaften - unterbrochen von drei Jahren an der Spitze der "UN Women".

"Tausende von sexistischen Situationen"  

In ihrer politischen Karriere war Michelle Bachelet - wie viele andere Frauen - ständig mit Sexismus konfrontiert. "Ich könnte Ihnen von tausenden sexistischen und frauenfeindlichen Situationen und Einstellungen erzählen." So sei über ihre Kleidung und über ihren Körper gesprochen worden, dass sie dick sei. "Ich habe das nie über Kollegen gehört", sagt Bachelet.

Angela Jeria an der Seite ihrer Tochter Michelle Bachelet in Chile
Für Michelle Bachelet war ihre Mutter Ángela Jeria (r.) ein großes VorbildBild: picture-alliance/AP/L. Hidalgo

Eine Journalistin habe sie mal gefragt, wie sie als geschiedene Frau mit Problemen umgehe, da sie ja keinen Ehemann habe, der ihr helfen könne. "Wie ich es immer gemacht habe: mit guten Beratern, Freunden etc.", sei ihre Antwort gewesen. "Männer stellen immer die Fähigkeiten von Frauen infrage." Dem habe Bachelet immer mit Expertise entgegengewirkt. Doch die von ihr beschriebene Situation zeige: Auch Frauen könnten ohne Absicht sexistisch sein.

Reform des Abtreibungsrechts

Trotz ihrer Vorreiterrolle musste Bachelet auch Rückschläge einstecken. Ihre zweite Amtszeit wurde überschattet von einem Korruptionsskandal in ihrer Familie. Angekündigte Reformen wie die der Verfassung konnte sie nicht realisieren. Ihr Plan, Abtreibungen komplett zu entkriminalisieren, scheiterte. Doch nach jahrelangem Einsatz schaffte Bachelet es 2017 immerhin, Chiles Abtreibungsrecht zu reformieren. Abtreibungen sind nun in drei Fällen erlaubt - unter anderem nach einer Vergewaltigung.

Tausende Frauen protestieren in Santiago de Chile
Tausende Frauen protestieren 2019 in Santiago de Chile gegen GewaltBild: Getty Images/J. Torres

Die 69-Jährige zieht eine positive Bilanz ihres Einsatzes für Frauenrechte. Im Gespräch nennt sie Beispiele aus ihrer Amtszeit, wie den Bau von Frauenhäusern oder Verbesserung der Gesetzgebung zur Gewalt gegen Frauen. Aber sie sagt auch: "Wir müssen immer noch mehr tun." Gerade in Chile ist häusliche Gewalt weit verbreitet und gehört zu den am meisten angezeigten Straftaten im Land.

Ihre Mission verfolgt Bachelet seit 2018 weiter: als UN-Menschenrechtskommissarin. Gerade in der Coronavirus-Pandemie, dievon den UN auch als "Krise der Frauen" bezeichnet wird. Weltweit sei ein "brutaler Anstieg" von häuslicher Gewalt zu beobachten, so Bachelet. "Wir brauchen den politischen Willen, um bessere Gesetze für Gewalt gegen Frauen voranzutreiben." Dazu sei aber auch ein kultureller Wandel nötig und Änderungen im Justizsystem und bei der Polizei. Wenn betroffene Frauen zur Polizei gingen, erzählt Bachelet, sagte die nur: 'Komm, geh' nach Hause, vertrage dich mit deinem Mann.'

Merkel empfängt Bachelet
Angela Merkel und Michelle Bachelet haben sich oft getroffen - wie hier 2006 in BerlinBild: picture-alliance/ dpa

Bachelet und Merkel

Bachelet gehört zur selben Generation wie eine andere Wegbereiterin – Kanzlerin Angela Merkel. Die Frauen scheint einiges zu verbinden: Beide sind Wissenschaftlerinnen, beide waren die erste Frau in ihrem Amt. Außerdem lebte Bachelet mehrere Jahre in Merkels Heimat, der DDR, und spricht ihre Sprache, Deutsch.

Bachelet und Merkel haben sich mehrmals getroffen. "Man versucht immer, andere Frauen in Führungspositionen zu unterstützen, weil alle Frauen an der Macht diese Unterstützung brauchen." Angela Merkel sei ein gutes Vorbild für andere Frauen: "Niemand würde jemals denken, dass Angela Merkel schwach ist. Das ist eine sehr wichtige Errungenschaft für Frauen."

Anders als Angela Merkel, bezeichnet sich Bachelet offen als Feministin und betont, dass ihre Interpretation des Begriffes Männer einschließt: "Wir Frauen wurden so lange ausgeschlossen. Wir wissen, dass es keine Verbesserungen geben kann, indem wir andere ausschließen."

 

Kommentarbild PROVISORISCH DW Autorin Janina Semenova
Janina Semenova DW-Korrespondentin in Riga@janinasem