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PolitikMexiko

Mexiko: Deutsche besorgt Flüchtlingen Jobs

28. April 2021

Viele Flüchtlinge aus Zentralamerika oder Venezuela versuchen ihr Glück jetzt in Mexiko. Ein ambitioniertes Projekt bietet ihnen eine Perspektive.

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Hannah Töpler
Hannah Töpler, Gründerin von "Intrare"Bild: Privat

Dass die Geschichte von Leydis Mirelis Delgado, 41 Jahre, zwei Kinder und stolze Venezolanerin, in Mexiko ein Happy-End gefunden hat, hat viel mit einer jungen Deutschen zu tun. Und damit, dass sie einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Als Delgado vor einem Jahr per Zufall in der Warteschlange vor der Flüchtlingsbehördemitbekommt, dass es da eine Organisation gibt, die jobsuchende Flüchtlinge an Unternehmen vermittelt, wird sie hellhörig.

Sie hat jahrelang in ihrem Heimatort Maracay ein Cyber-Café betrieben, weiß, wie man auf Menschen zugeht und sie an ihr Geschäft bindet. Delgado hat damit das perfekte Anforderungsprofil für ein mexikanisches Unternehmen, das Personal für die Kundenbetreuung sucht.

Die erste Venezolanerin in der Firma kann sich heute mit ihrem Job nicht nur ein neues Leben in Mexiko aufbauen, sondern sogar ein wenig zurücklegen, um ihrer Familie in Venezuela einmal im Monat Geld zu schicken.

Leydis Delgado
"Ich fühle mich jetzt schon ein Drittel als Mexikanerin, die Tortilla gehört jetzt zu unserem Speiseplan" - Leydis DelgadoBild: Hannah Töpler

Leydis Mirelis Delgado sagt: "Hannah Töpler und das Team von 'Intrare' haben mir unglaublich viel geholfen. Sie waren für mich das Licht am Ende eines langen Tunnels."

Junge Deutsche gründet Firma mit besonderem Integrationsansatz

"Intrare" steht für "Incubadora de trabajo para Refugiados y Retornados", übersetzt "Brutkasten für Arbeit für Flüchtlinge und Rückkehrer", ein Name, den die 28-Jährige am Frühstückstisch mit Freundinnen und Freunden ausgebrütet hat. Und wahrscheinlich beschreiben diese Töplers Hartnäckigkeit am besten, wenn sie sagen: "Viele fanden es absolut verrückt, wie viele Nächte und Wochenenden ich damit verbracht habe, 'Intrare' aufzubauen. Ich war für sie der Super-Nerd und Workaholic."

Die Deutsche hat in London ihren Master in Politikwissenschaften gemacht, fing dann bei der Nichtregierungsorganisation Oxfam in Mexiko an.Immer allgegenwärtig: das Thema Flucht, Täglich machen sich Hunderte auf den Weg von Venezuela, Honduras oder El Salvador auf Richtung "El Norte", über das Transitland Mexiko in die USA. Die meisten schaffen es nicht, allein im März nahmen die US-Behörden 171.000 Flüchtlinge fest und schickten sie zurück nach Mexiko.

USA: Flüchtlings-Drama an der Südgrenze

"Viel zu viel konzentriert sich beim Thema Integration auf die Geflüchteten. Kaum jemand überlegt sich, wie man die Gesellschaft aktiv darin unterstützen kann, offener zu sein, Akzeptanz zu entwickeln", sagt Töpler, die für die Gründung ihrer Organisation wochenlang mexikanische Gesetze und Verordnungen wälzte, "und da habe ich mir gesagt, okay, zumindest will ich versuchen, das zu lösen."

Erfolgsmodell Duales System

Aus dem Versuch ist ein kleines, aber feines Erfolgsmodell geworden. Seit "Intrare" seit zwei Jahren Flüchtlinge mit mexikanischen Arbeitgebern vernetzt, haben 47 von ihnen wie Leydis Mireles Delgado einen Job gefunden. Eine Win-win-Situation, die sich langsam herumspricht. "Während viele Menschen glauben, dass Flüchtlinge den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen und kriminell sind, wollen immer mehr Unternehmen mit uns zusammenarbeiten."

"Intrare" setzt dabei ganz auf das duale System aus Deutschland, die Flüchtlinge werden mit einem speziellen Trainingsprogramm auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Ganz oben auf der Agenda: Teamwork, Kommunikation, die Kompetenz, Probleme zu lösen und ein Entwicklungsplan für die persönliche und berufliche Zukunft.

Intrare
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Qualifizierungsprogramms für Flüchtlinge "Intrare" in MexikoBild: Hannah Töpler

Mentorinnen und Mentoren stehen täglich mit Rat und Tat zur Seite. "Intrare", das von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ und der Internationalen Organisation für Migration IOM unterstützt wird, leitet schließlich die Bewerbungen an die Unternehmen weiter.

Immer mehr mexikanische Unternehmen machen mit

Melina Cruz hat es noch keinen Moment bedauert, mit Töpler zusammenzuarbeiten. Kein Wunder, ticken die beiden doch ähnlich, auch die Mexikanerin hat sich mit der Gründung eines Unternehmens einen Lebenstraum erfüllt. Gerade konnte ihre Reinigungsfirma "Homely" den fünften Geburtstag feiern, für Cruz etwas ganz Besonderes: denn zwei von drei Firmen in Mexiko geben auf, noch ehe sie fünf Jahre am Start sind.

"Bei uns spielt es keine Rolle, wie alt Du bist, welches Geschlecht Du hast oder ob Du ein Flüchtling bist. Wichtig ist uns, dass unser Personal wirtschaftlich unabhängig werden kann", sagt sie, "und es machte einfach Sinn, mit einem Start-Up wie 'Intrare' zusammenzuarbeiten, weil sie wie wir einen sozialen Schwerpunkt haben."

Homely  Zentralamerikanische Flüchtlinge bekommen Jobs in Mexiko.
"Eine der Firmen zu sein, die das Thema Flüchtlinge sichtbar machen, ist eine Herausforderung für uns" - Melina CruzBild: Melina Cruz

Bei Cruz können Privatkunden oder Unternehmen mit einem Mausklick Reinigungspersonal anfordern, mittlerweile sorgen 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in fünf Städten in Wohnungen und Büros für Hochglanz. Neu im Team: zwei Flüchtlinge von "Intrare". "Homely" lockt in Pandemie-Zeiten mit getestetem Personal, die Reinigungskräfte selbst werden über Tarif bezahlt und sind krankenversichert.

Die Firmenchefin hofft, dass ihrem Beispiel, Flüchtlingen einen Job zu geben, viele folgen werden: "Es ist schon sehr seltsam, dass ausgerechnet wir Mexikaner, die in anderen Ländern diskriminiert werden, Flüchtlinge nicht akzeptieren, die genauso wie wir einfach ein besseres Leben für sich und ihre Familien suchen."

Digitale Plattform soll Geflüchtete und Firmen noch besser vernetzen

Es ist genau diese Denke, die auch Hannah Töpler darin bestätigt, das Richtige zu tun: "Wenn mir Geflüchtete erzählen, dass sie unter Vertrag genommen wurden und wie wohl sie sich in ihrem Team fühlen, sind das die besonderen Momente. Sie haben oft so viel durchgemacht, da bedeutet es mir viel zu wissen, dass sie das Gefühl haben, endlich angekommen zu sein."

"Intrare" arbeitet jetzt an einer digitalen und automatisierten Plattform, die Flüchtlinge und Unternehmen noch schneller zusammenbringen will. So wie bei einer Dating-Plattform soll ein Matching-Algorithmus dafür sorgen, in kürzester Zeit den Traumpartner, also den idealen Arbeitnehmer bzw. -geber zu finden.

Hannah Töpler hat also noch viel vor: "Ich möchte, dass wir nicht nur mit Dutzenden Geflüchteten und Unternehmen pro Jahr zusammenarbeiten, sondern mit Tausenden. Um wirklich dazu beizutragen, in Mexiko eine offenere Gesellschaft zu schaffen."