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PolitikEuropa

Metropolit Vladimir: "Ich habe nie für Putin gebetet!"

Vitalie Călugăreanu Chisinau
20. Januar 2023

Der Krieg in der Ukraine zeigt die Unsicherheit des moldauischen Geistlichen. Obwohl er versucht, sie mit der Erfahrung eines Offiziers in Bibelzitaten zu verbergen, wird sein Bedürfnis erkennbar, sich zu rechtfertigen.

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Republik Moldau Metropolit Vladimir
Metropolit VladimirBild: Vitalie Calugareanu gemacht/DW

Er wurde 1952 in Czernowitz geboren. Sein Vater war Rumäne aus einem Dorf bei Czernowitz, seine Urgroßeltern waren alle Ukrainer. Er diente in der sowjetischen Marine in Sewastopol auf dem Kriegsschiff "Moskau". Sein weltlicher Name ist Nicolae Cantarean. Die moldauische Presse verdächtigt ihn, ein Produkt des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB zu sein. Bevor er vom russischen Patriarchat in die Republik Moldau (damals sowjetisch) geschickt wurde, hatte Nicolae Cantarean den Rang eines sowjetischen Hauptmanns. Allmählich stieg er auf. Als Metropolit der Republik Moldau erhielt er auf Anordnung des Verteidigungsministeriums der Republik Moldau 1998 den militärischen Rang eines "Obersts", was angesichts seiner Berufung als hoher orthodoxer Geistlicher eher unüblich ist. Demnach ist Vladimir - so sein geistlicher Name - Oberst d. R. und seit 1989 Metropolit der Republik Moldau. Jetzt, während russische Raketen Städte in der Ukraine zerstören und Tausende Zivilisten töten, betet er für den russischen Patriarchen Kyrill, der Putins Krieg gegen die Ukraine rechtfertigt. Die Erklärung des Metropoliten Vladimir: Er bete, um dem Patriarchen Weisheit zu geben, nicht die Macht, das zu tun, was er tut.

Früh am Morgen ist das Vorzimmer des Metropoliten voller Menschen in geistlichen Gewändern. Niemand bewegt sich wirklich, so als hätten sie Angst, auf den Teppich zu treten. Und alle schweigen. Sie stehen wie schwarz gekleidete Soldaten da und warten. Mir wird ein weicher Sessel angeboten. Ich setze mich hin, schlage die Beine übereinander und fange an, auf meinem Handy nach etwas zu suchen. Irgendwann wird mir klar, dass alle Augen in diesem Raum auf mich gerichtet sind. Der Metropolit tritt ein. Fröhlich und energisch schüttelt er mir die Hand und wendet sich dann den Männern in Soutane zu. Er nimmt eine Mappe vom Tisch. Sofort erscheint ein junger Priester vor ihm. Er berührt mit der Hand den Boden, macht das Kreuzzeichen vor dem Metropoliten, der ihm etwas zuflüstert, der junge Mann dreht sich um und geht fort. Die ganze Szene hat ungefähr zehn Sekunden gedauert.

Republik Moldau Metropolit Vladimir
Metropolit Vladimir an seinem Schreibtisch mit dem "grünen Büro-Set"Bild: Vitalie Calugareanu gemacht/DW

Wir betreten das Büro des Metropoliten. Auf dem Schreibtisch - das berühmte grüne Büroset, identisch mit dem Set auf Putins Schreibtisch. Ich wusste, dass er es hatte, aber ich war neugierig, ob es sich auch jetzt immer noch auf dem Tisch befand. Vor einigen Jahren wurde über dieses Set geschrieben, als der pro-russische moldauische Ex-Präsident Igor Dodon ein gleiches Set auf seinem Tisch hatte, um wie Putin zu sein. Damals erfuhren die Journalisten, dass der Wert dieses Bürosets ungefähr 100.000 moldauische Lei (umgerechnet 5.000 Euro) betrug.

Obwohl der Metropolit etwa eine Minute vor mir in sein Büro gegangen war, ist er nicht da. Ich setze mich an den Tisch, an dem das Interview stattfinden soll, und warte darauf, dass er erscheint. Plötzlich tut sich eine Schranktür auf, die offenbar den Eingang zu einem Nebenraum verdeckt  - und der Metropolit tritt ein. Das Interview kann beginnen.

DW: Wir erleben unruhige Zeiten und es sieht so aus, als warteten wir auf Friedensaufrufe seitens der Kirche. Ermahnungen der Geistlichen zum Frieden sollten unaufhörlich fließen, weil die Menschen in Panik geraten, sie haben Angst vor Krieg. Aber wir hören sie nicht. Warum nicht? 

Metropolit Vladimir: Nach 1989, als ich an die Spitze der orthodoxen Kirche in die Moldau (damals noch in der UdSSR) kam, hatte ich viele Jahre hintereinander sehr gute Beziehungen zur Staatsführung. Wir haben uns oft getroffen. Entweder in den Ferien oder einfach nur zu Gesprächen über kirchliche Belange oder Gesetze. Es ist unsere Pflicht, für diejenigen zu beten, die an der Spitze des Landes stehen. Auch in der Zeit der UdSSR haben wir gebetet. Das haben wir die ganze Zeit getan - wir beten für das Land und für den Patriarchen. Aber jetzt hat sich etwas geändert.

Was genau hat sich geändert?

Die Beziehungen zwischen der Staatsführung und der Kirche. Bis vor kurzem war alles in Ordnung. Die Gottesdienste in der Kathedrale wurden live im Fernsehen übertragen. Aber in letzter Zeit ist etwas passiert. Wir wurden beiseite geschoben, als wären wir keine Mitglieder dieser Gesellschaft. Und das aus dem einfachen Grund, weil wir uns kanonisch dem Patriarchat von Moskau unterordnen.

Vielleicht ist die Zurückhaltung berechtigt, wenn wir sehen, was der Patriarch tut?

Ich habe kein Recht, die Taten des Patriarchen zu beurteilen. Meine Pflicht als Metropolit ist es, zu beten, dass Gott auch ihm Weisheit gibt, zu beten für die Führung unseres Staates und für diejenigen, die mich umgeben. Unser Ziel ist es, den guten Gott zu zähmen, damit er uns mit Ruhe und Frieden segnen kann.

Sie haben von der komplizierten Beziehung gesprochen, die Sie zur derzeitigen Führung der Republik Moldau haben. Aber es klingt irgendwie ungewöhnlich. Ich habe vorhin die Tatsache erwähnt, dass die Menschen auf Friedensgebete warten, auf öffentliche Appelle der Kirche zum Frieden. Aus dem, was Sie sagen, entnehme ich aber, dass Sie wütend auf die Führung des Landes sind und als Antwort darauf Menschen bestrafen, indem Sie ihnen die geistliche Nahrung, die sie in Kriegszeiten brauchen, verweigern.

Die Kirche ist offen für jeden Dialog. Manchmal kommen wir selbst mit Vorschlägen, auch zu einigen Gesetzen. Früher wurden wir zu Beratungsgesprächen eingeladen. Jetzt sind diese Verbindungen mit der Führung gekappt.

Aber Sie hatten doch Treffen mit der Präsidentin Maia Sandu und dem Parlamentspräsidenten Igor Grosu. Haben Sie das damals nicht besprochen?

Wir haben andere Themen besprochen. Wir haben darüber gesprochen, was wir zum Wohle des Landes und der Kirche tun können. Wir wollen dem Land helfen. Bei dem Treffen mit Igor Grosu habe ich Vorschläge gemacht. Von den ersten Kriegstagen an haben wir die Aggression Russlands verurteilt und uns engagiert, um den Flüchtlingen zu helfen. Wir haben ein "Haus der Güte". Von den ersten Tagen an haben wir Flüchtlingen geholfen. Drei Monate lang haben wir ihnen jeden Tag Mittagessen zubereitet - 1500 bis 3000 Portionen. Mit Hilfe der Zollbeamten haben wir die Grenze zur Ukraine überquert und den Menschen Lebensmittel gebracht. Unsere Priester in Italien schickten uns zwei Lastwagen – einen mit Kleidung und einen anderen mit Lebensmitteln, die wir an die ukrainischen Flüchtlinge verteilten. Wir haben auch über 100 Flüchtlinge in unseren Klöstern untergebracht. Auch hier in der Metropolie hatten wir drei Familien. Wir haben uns um sie gekümmert. Über diese Tatsachen will niemand schreiben, aber alle schreiben sofort über das Schlechte. Jeden Tag verteilen wir auf dem Platz in der Nähe des "Eternitate"-Denkmals in Chisinau Essen für die Obdachlosen – 100 bis 180 Portionen täglich. Weiteren 40 kranken alten Menschen bringen wir das Essen nach Hause. Das sieht keiner.

Mir ist aufgefallen, dass Sie das, was in der Ukraine passiert, "Krieg und Aggression" genannt haben, nicht "militärische Spezialoperation", wie es der russische Patriarch nennt. 

Ja. Ich wurde beschuldigt, für den Patriarchen gebetet zu haben. Bei jeder heiligen Liturgie lese ich ein besonderes Gebet, in dem ich um Gnade für die Kirche bitte und für das Ende des Krieges in der Ukraine bete. Und ich scheue mich nicht, in diesem Gebet klar vom "Krieg in der Ukraine" zu sprechen.

Aber Sie wissen, dass in Russland jeder es vermeidet, das als Krieg zu bezeichnen, was in der Ukraine passiert. 

Ja. Wir haben eine eigene Kirche in Russland. Wir haben die Führung der Patriarchie gebeten, uns eine Kirche zu geben, und wir haben sie 2015 bekommen. Ich war dort und habe das Gebet während der Liturgie für die Kranken gelesen. In Chisinau wurde ich beschuldigt, für Putin gebetet zu haben. Ich habe nie für Putin gebetet! Das sage ich Ihnen ehrlich, hier, mit der Muttergottes auf meiner Brust.

Aber was geschah dann im Oktober 2022 in jenem Kloster bei Moskau, als Sie die festliche Liturgie leiteten?

Das war im Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit in Sergijew-Possad. 

Genau. In den Nachrichten erschien, dass Sie für Putins Gesundheit gebetet haben und Patriarch Kyrill Sie am 14. Oktober 2022 mit einer der höchsten Auszeichnungen des Moskauer Patriarchats ausgezeichnet hat - dem Patriarchalischen Orden "Heiliger Seraphim von Sarow", erster Klasse.

Diese Auszeichnung hat mir der Patriarch vor einem Jahr zu meinem 70. Geburtstag verliehen, aber er hat sie mir nur zu diesem Anlass verliehen. Ich habe dort studiert, im theologischen Seminar, an der theologischen Akademie - damals hieß die Stadt Zagorsk - jetzt heißt sie Sergijew-Possad. Ich bin in diesem Kloster aufgewachsen. Als ich Oberhaupt der Kirche wurde, ging ich dorthin, um dem frommen Sergijew dafür zu danken, dass er mir geholfen hatte, gesund zu bleiben, um dem Herren dienen zu können. Laut Kirchenordnung bin ich als Mitglied der Synode der Russisch-Orthodoxen Kirche der erste Mann nach dem Patriarchen. Und in Abwesenheit des Patriarchen leite ich den Gottesdienst. So geschah es damals, im Oktober 2022. Für Russland gilt die Regel - das Fest des frommen Sergijew am 8. Oktober fällt mit Putins Geburtstag am 7. Oktober zusammen -,  dass in den russischen Diözesen für Putin gebetet wird. Die Gottesdienste fielen also zusammen, ich leitete diesen Gottesdienst, aber ich habe Putins Namen nicht genannt. Niemand kann mir vorwerfen, dass ich für Putin gebetet habe. Ich wiederhole! Ich habe nicht für Putin gebetet! Es gibt eine Videoaufzeichnung. Ich stehe mit erhobenen Händen da während des Gebets, als der Protodiakon Putins Namen ausspricht. Also betete er für Putin, nicht ich.

Ich habe ein Interview gesehen, in dem Sie sagen, dass Sie für den Patriarchen und die Armee beten. Für welche Armee beten Sie?

Republik Moldau: Der Eremit

Für die Nationalarmee der Republik Moldau. Wir beten für die Führung des Landes und unser Militär. Der Patriarch ist das Oberhaupt der ganzen Kirche, und die Sitten verpflichten mich, ihn beim Gottesdienst zu erwähnen. Und ich sage nicht: "Gott, gib ihm die Kraft, das zu tun, was er tut", sondern ich bete, dass Gott Weisheit gibt.

Aber Sie können nicht umhin, die Haltung des russischen Patriarchen zum Krieg zu erkennen. Er rechtfertigt diesen Krieg, wofür er mehrmals öffentlich kritisiert wurde. Belastet es Sie wirklich nicht seelisch, für jemanden zu beten, der den Krieg rechtfertigt? Einen Krieg, in dem Zivilisten sterben, Kinder... 

Es belastet mich seelisch. Aber ich schaue auf meine Sünden und bete für unsere Führung und Armee. Und für den Fall, Gott behüte, dass der Krieg auf uns übergreift - ich bin dazu verpflichtet, unsere Armee zu segnen, um unser Land zu verteidigen.

In meinem Kopf braut sich jetzt eine Dystopie zusammen.

Ich weiß. Ich verstehe. 

Auf der einen Seite sagen Sie, dass Sie für die moldauische Armee beten würden, wenn wir in Gefahr wären, aber jetzt beten Sie für den Patriarchen von Russland, der die Aggression gegen die Ukraine rechtfertigt. Aber wenn Russland uns angreifen würde, würden Sie immer noch für Patriarch Kyrill beten? 

Der Patriarch wäre mit seinem Land - ich mit meinem Land. Auch ich würde für mein Land und die Führung meines Landes beten.

Sie wurden in der Ukraine, in Czernowitz geboren. Sie haben Ihren Militärdienst in der Marine der UdSSR in Sewastopol auf dem Kreuzer "Moskau" geleistet. Geht es um das von den Ukrainern versenkte Schiff?  

Nein. Es war ein anderes Schiff, das "Moskau" hieß.

In Ihren Adern fließt auch ukrainisches Blut. Welche Gefühle haben Sie in diesen bereits elf Monaten seit Kriegsausbruch? 

Mein Vater wurde bei Czernowitz in einem rumänischen Dorf geboren. Er war bis zu seinem letzten Atemzug Rumäne. Meine Mutter wurde in einem Dorf im Bezirk Hotin geboren. Meine Urgroßeltern waren alle Ukrainer. Klar, dass meine Seele Schmerz empfindet für das eine und das andere Land. Bei Gefahr müssen wir uns entscheiden. Ich kann die Ukraine nicht außen vor lassen. Ich bin auch ukrainischer Staatsbürger. In der Ukraine steht mein Elternhaus. 

Aber Sie sind auch ein Bürger Russlands. 

Ja, ich bin auch russischer Staatsbürger. 

Und Sie haben einen russischen Diplomatenpass. Ich habe Putins Dekret gesehen. 

Ja, den habe ich. 

Sie haben aber auch einen moldauischen Diplomatenpass. Und Ihre staatlichen Autokennzeichen wurden Ihnen erst kürzlich entzogen. 

Ja. Es ist gut, dass sie mir diese entzogen haben. Ich fühle mich freier.

Aber wozu brauchen Sie einen Diplomatenpass

Für Geschäftsreisen. Ich habe in meinem Leben viele Länder besucht. Ich war auch auf verschiedenen Konferenzen auf dem Berg Athos, im Heiligen Land, in Amerika, in China und in Japan. Und ich brauche diesen Diplomatenpass, um besser durch den Zoll zu kommen, um nicht in der Schlange zu stehen. 

Das Vertrauen in die Kirche sinkt, das sehen wir in den Umfragen. Glauben Sie nicht, dass gerade das politische Lavieren der Kirchenvertreter dieses Vertrauen zerstört?

Wir arbeiten nicht für Prozente in den Umfragen, sondern aus unserer christlichen Pflicht heraus. Wir wollten, dass Religion in der Schule unterrichtet wird. Es hat nicht funktioniert. Sie haben uns von der Schule ferngehalten. Gingen Staat und Kirche Hand in Hand, sähen die Umfrageergebnisse anders aus. Aber leider erlauben sich einige Politiker sogar, die Kirche zu demütigen.

Glauben Sie nicht, dass es vor dem Hintergrund dieses von Patriarch Kyrill gerechtfertigten Krieges besser wäre, dem russischen Patriarchat den Rücken zuzukehren? 

Wir sind in all unseren Handlungen frei - in der Ernennung von Diakonen, Äbten, Priestern usw. Alles, was uns mit Moskau verbindet, ist die Tatsache, dass wir dem russischen Patriarchat untergeordnet sind. Daher stört uns dieser Gedanke in diesem Moment nicht. Die Kirche darf nicht unter Druck gesetzt werden. Für einen Priester, der sich geirrt hat, gibt es ein kirchliches Gericht. Der Staat sollte sich nicht in diese Angelegenheiten einmischen. Was haben die Ukrainer durch die Loslösung vom russischen Patriarchat gewonnen? Gar nichts. Sie haben begonnen, geistliche Würdenträger zu vertreiben.

Das Moskauer Patriarchat betrachtet die seit 1991 von der Sowjetunion unabhängige Republik Moldau kirchenpolitisch als Teil seines kanonischen Territoriums. 1992 kam es zu einer Abspaltung eines Teils der Geistlichen von der Moldauischen Orthodoxen Kirche und zur Wiedergründung der bis 1944 bestehenden rumänienorientierten Orthodoxen Kirche Bessarabiens.

Adaption aus dem Rumänischen: Robert Schwartz