1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Und täglich grüßt das (Corona-) Murmeltier

5. November 2021

Es gibt einen Film, in dem jemand in einer Zeitschleife festsitzt und einen schrecklichen Tag immer wieder erlebt, weil alles falsch läuft. Im zweiten Corona-Herbst fühlt sich Sabine Kinkartz genau daran erinnert.

https://p.dw.com/p/42don
Murmeltiertag auf dem Arm eines bärtigen Mannes im schwarzen Gehrock bei Schneefall
Immer am 2. Februar dient ein Murmeltier in Punxsutawney (Pennsylvania) als Omen, wie schnell der Frühling kommtBild: Alan Freed/REUTERS

Neulich am Flughafen Köln/Bonn: Abflug in den Türkei-Urlaub. Am Check-in-Schalter fragt eine Angestellte der Fluggesellschaft, ob wir geimpft seien. Die mündliche Zusicherung reicht ihr aus, den Griff nach den Smartphones mit den Impfzertifikaten stoppt sie: "Das glaube ich ihnen auch so."

Schlimm ist das. Vor allem auch, weil es kein Einzelfall ist. Der laxe Umgang mit allem, was wir uns in der Pandemie bislang mühsam erarbeitet haben, was uns ein Stück mehr Sicherheit bringen könnte, zieht sich quer durch die gesamte Gesellschaft. Impfzertifikate bleiben auch in Restaurants, Bars oder am Eingang zu Veranstaltungen zu oft unkontrolliert. Dass eigentlich der QR-Code gescannt und mit dem Personalausweis abgeglichen werden müsste, um Fälschungen zu erkennen - geschenkt.

Konzeptlos in den Winter

Ob in Geschäften, in U-Bahnen, Bussen, auf Rolltreppen: An zahllosen gut besuchten Orten wird kein Abstand mehr gehalten. Masken hängen unter der Nase oder dem Kinn. "Ich bin doch geimpft", sagen die einen und die anderen wollen von der Gefahr entweder nichts wissen oder sie nehmen sie einfach in Kauf.

Wo waren in den vergangenen Wochen die Politiker, die Orientierung geben, die klare Konzepte und Fahrpläne aufstellen, die Vorgaben machen und dafür sorgen, dass Regeln auch durchgesetzt werden? Deutschland im Herbst 2021, das ist ein Land, dessen Regierung planlos in die vierte Welle der Pandemie getrudelt ist. Ein Land, in dem die Infektionszahlen wieder einmal exponentiell steigen und schon höher liegen als im Herbst 2020. In dem die Krankenhäuser Alarm schlagen und in dessen Alten- und Pflegeheimen schon wieder reihenweise Menschen an COVID-19 erkranken und sterben.

Alles erinnert an den Herbst 2020

Anfang der 1990er-Jahre gab es den Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". Darin wacht ein Mann morgens auf und muss denselben Tag immer wieder neu durchleben, weil er viele Fehler macht und nichts daraus lernen will. Die aktuelle Situation in Deutschland erinnert an den Film, ist aber leider nicht fiktiv, sondern erschreckend real.

Kinkartz Sabine Kommentarbild App
DW-Redakteurin Sabine Kinkartz

Zu glauben, dass die Impfung es schon richten werde, war trügerisch und ein großer Fehler. Zumal in Israel frühzeitig zu beobachten war, dass es eben nicht reicht, wenn nur zwei Drittel der Bevölkerung vollständig geimpft sind. Eine Botschaft, die in Deutschland zwar gehört wurde, aber keine Konsequenzen hatte. Wohl auch, weil bis Ende September alle im Wahlkampf waren und Corona politisch kein Thema war.

Wer regiert gerade in Deutschland?

Bei der Bundestagswahl Ende September wurden CDU und CSU abgewählt. Angela Merkel und ihr Kabinett sind nur noch geschäftsführend im Amt und die mutmaßlich zukünftigen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP mit Koalitionsverhandlungen beschäftigt. Inzwischen warnt Merkel zwar und schlägt Alarm angesichts der dramatisch gestiegenen Infektionszahlen - aber wer hört noch auf sie?

Seit Tagen wird ergebnislos darüber diskutiert, ob sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Bundesländer zu einem Corona-Gipfel treffen sollten. Nach einer zweitägigen Konferenz mit den Landesgesundheitsministern drängt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn darauf, dass Regeln und Kontrollen besser eingehalten werden sollen und macht Werbung für die Booster-Impfung. Doch das alles kommt viel zu spät. Rein rechnerisch hätten schon im Juli auf breiter Front Auffrischimpfungen für Alte und Vorerkrankte beginnen müssen. Stattdessen wurden im September alle Impfzentren geschlossen.

Demnächst entscheiden wieder die Bundesländer

Bis vor kurzem erweckte Spahn den Eindruck, als rechne er gar nicht damit, dass sich die Lage wieder verschärft. Er initiierte sogar, dass Ende November die sogenannte epidemische Lage mit nationaler Tragweite auslaufen wird - ein rechtliches Konstrukt, das dem Bund mehr Mitspracherecht bei der Bekämpfung der Pandemie gab.

Auch die künftigen Regierungsparteien haben zugestimmt. Entscheiden wird dann wieder jedes der 16 Bundesländer in Eigenregie. Es droht das gleiche Chaos wie im Herbst 2020. Auch hier: Nichts gelernt! Kostproben der Uneinheitlichkeit kann man schon jetzt sehen. Während in Sachsen ab Montag nur noch Geimpfte und Genesene überall Zutritt haben, hat Nordrhein-Westfalen diese Woche die Maskenpflicht in den Schulen abgeschafft.

Inkonsequenz, wohin man schaut

Geimpfte will man nicht einschränken, weil die Politik ihnen versprochen hat, dass das nicht passieren würde. An eine Impfpflicht trauen sich die Regierenden aber auch nicht heran. Nicht einmal im Gesundheitswesen sowie in Alten- und Pflegeheimen. Zumindest dort sollen jetzt wieder alle Beschäftigten und Besucher kostenlos getestet werden - ansonsten bleibt es dabei, dass Corona-Tests weiter aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Was heißt, dass sich viele gar nicht mehr testen lassen.

Augen zu und durch? Man stehe vor sehr schweren Wochen, sagt der Bundesgesundheitsminister. Wohl wahr. Dass wir einen zweiten, möglicherweise noch verheerenderen Corona-Winter erleben, wäre allerdings zu verhindern gewesen.