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Politik

Putin verliert in Syrien gegen die USA

1. Oktober 2020

Als Putin vor fünf Jahren in den Syrienkrieg eingriff, konnte er die USA noch überraschen. Doch der Nahe Osten verändert sich schnell. Was wie ein Erfolg aussah, könnte sich als Fehler erweisen, meint Konstantin Eggert.

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Syrien Ost-Ghouta Putin Assad Wandbilder
Bild: Reuters/O. Sanadiki

Ende September 2015 waren das Korps der Iranischen Revolutionsgarden und seine Verbündeten, die libanesischen Hisbollah-Kämpfer, am Ende ihrer Kräfte. Sie versuchten, das Assad-Regime und seine Streitkräfte zu stützen, die einen zunehmend verlustreichen Kampf gegen Islamisten aller Couleur führten, die wiederum unterstützt wurden von verschiedenen regionalen Akteuren - der Türkei, Saudi-Arabien und Katar - sowie den syrischen Kurden. Der Kreml gab Assad und den Iranern, was ihnen schmerzlich fehlte - massive Hilfe aus der Luft. Den russischen Piloten folgten bald Marinesoldaten, Militärberater und Söldner der sogenannten "Gruppe Wagner", einem privaten Sicherheitsunternehmen aus Russland.

Heute sieht es nicht mehr so aus, als könne jemand Assad von der Macht vertreiben. Wladimir Putin hat die russischen Marinebasen aus der Sowjetära in den Mittelmeerstädten Latakia und Tartus modernisiert und zu Stützpunkten ausgebaut. Doch selbst wenn Russland, das nie eine globale Seemacht war, vor Ort bleibt, ist dies wahrscheinlich nicht sein wichtigster Erfolg. Es ist nicht ganz klar, inwieweit das russische Regime inzwischen an der Ausbeutung der Rohstoffe Syriens beteiligt wird. Aber dass die "Gruppe Wagner" jetzt auch Ölfelder und Raffinerien schützt, spricht Bände.

Putins anti-amerikanische Außenpolitik

Der Hauptgrund für das Engagement des Kremls in Syrien war jedoch derselbe wie immer - die Fortsetzung des globalen Pushbacks gegen die Vereinigten Staaten, den Putin mit seiner kriegerischen Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 eingeleitet hatte. Der wiederkehrende Albtraum der russischen Elite besteht darin, dass die USA mit ihrem missionarischen Eifer zur Demokratisierung der Welt (der zwar durch die Rückzugspolitik zunächst Barack Obamas und später Donald Trumps inzwischen etwas geschwächt wurde) eines Tages den Kreml als die Hauptbedrohung ansehen könnte. Die USA vom postsowjetischen Raum fernzuhalten und antiwestliche Regime rund um den Globus zu unterstützen, sind daher die Hauptstützen dessen, was unter Putin als russische Außen- und Sicherheitspolitik gilt.

von Eggert Konstantin Kommentarbild App
Konstantin Eggert ist russischer Journalist

In dieser Hinsicht steht Syrien seit dem Jahr 2015 in einer Linie mit Georgien im Jahr 2008, der Ukraine im Jahr 2014, Montenegro im Jahr 2016 (wo Moskau versuchte, einen Staatsstreich zu organisieren, um den NATO-Beitritt des Landes zu verhindern) und Venezuela im Jahr 2019 (wo der Kreml Nicolas Maduro nachdrücklich unterstützt). Weißrussland im Jahr 2020, wo sich der Kreml auf die Seite von Präsident Alexander Lukaschenko gegen sein eigenes Volk gestellt hat, gehört nun in dieselbe Kategorie. Putin nimmt seine Rolle als Verteidiger von Diktaturen in der ganzen Welt sehr ernst. Seiner Meinung nach verschafft ihm dies in den USA Respekt, wenn nicht gar Angst vor ihm.

Was hat Russland gewonnen?

Aber für Russlands langfristige nationale Interessen ist die Sicherung von Assads Macht ein fragwürdiger Gewinn. Moskau ist nun fest mit dem Schicksal des syrischen Regimes und, was noch prekärer ist, mit dem Schicksal von Assads iranischen Schirmherren verbunden. Dies zugleich in einer Ära dramatischer Veränderungen in der Region. Die Normalisierung der Beziehungen Israels zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, die unter Vermittlung Washingtons vollzogen wurde, markiert einen historischen Wandel in Nahost. Dies war nicht nur für die Mullahs in Teheran, sondern auch für den Kreml eine äußerst unangenehme Überraschung. Der Glaube an den Rückgang des amerikanischen Einflusses im Nahen Osten und an die Unvermeidbarkeit der iranischen Hegemonie hat beide getrogen.

Wenn der Sudan, Oman und schließlich auch Saudi-Arabien dem Beispiel der Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain folgen, werden dem iranischen Regime harte Zeiten bevorstehen - selbst sein Zusammenbruch könnte dann absehbar sein. Und ohne Unterstützung aus Teheran wird auch Assad sehr verwundbar werden. Unter solchen Umständen könnte bei Assad der Wunsch reifen, Washington und Riad die Hand zu reichen. Russland könnte dies in keiner Weise verhindern, und seine militärische Präsenz in Syrien würde leicht zu einem Druckmittel in Assads politischen Spielen werden.

Strategische Kurzsichtigkeit auch gegenüber der Türkei

Putins strategische Kurzsichtigkeit hat sich auch in den Beziehungen zu einem anderen regionalen Akteur - der Türkei - manifestiert. Die informelle Verständigung über Syrien, die er 2015/2016 mit Präsident Recep Tayyip Erdogan erreicht hat, ist längst untergraben. Vor fünf Jahren dachte der Kreml noch, dass er die NATO an deren Südflanke aufweichen könne, indem er Ankara umwirbt. Heute finanziert Erdogan jedoch einen Teil der Anti-Assad-Truppen in Syrien, hat sich dem Kampf gegen den Kreml-Klienten Feldmarschall Khalifa Haftar in Libyen angeschlossen und unterstützt nun auch Aserbaidschan bei seinen militärischen Operationen gegen Armenien - einen der zuverlässigsten und engsten Verbündeten Moskaus.

Fünf Jahre nach dem Erscheinen der ersten russischen MiGs am Himmel über Syrien ist die Antwort auf die Frage "Was hat der Krieg Putins den Russen gebracht?" einfach: Nichts! Das Volk spürt das und wünscht zunehmend den Rückzug.