Handschlag oder kein Handschlag - das war die große Frage der Medienvertreter, als die Air Force One auf ihrem historischen ersten Direktflug zwischen Tel Aviv und der saudischen Hafenstadt Dschidda zum Landeanflug ansetzte. Statt eines Handschlags gab es einen Faustgruß, und das Bild verbreitete sich in Windeseile in die ganze Welt.
Innerhalb dieser drei Sekunden, die jener Fauststoß gedauert hatte, hatte Saudi-Arabien sein wichtigstes Ziel im Grunde schon erreicht. Es war die ultimative Rehabilitierung des saudischen Kronprinzen durch den US-Präsidenten. Ausgerechnet Biden, der selbst noch im Wahlkampf vor zwei Jahren gesagt hatte, er wolle Saudi-Arabien zu einem Pariastaat erklären - damals eine Reaktion auf die Erkenntnisse von US-Geheimdiensten, dass Mohammed bin Salman höchstpersönlich die Order gegeben hatte, den Oppositionellen Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat ermorden zu lassen. Die Ermordung des Journalisten und Schriftstellers habe er “gleich zu Anfang angesprochen” als Biden auf bin Salman traf. Der streite allerdings weiterhin eine Verstrickung in den Mord vehement ab. Statt der einst angekündigten Isolation jetzt also ein Familienfoto mit dem Kronprinzen.
Allerdings: Biden konnte bei dem Treffen mit "MBS", wie der Kronprinz aufgrund seiner Initialen auch genannt wird, durchaus einige Erfolge verbuchen - die Waffenruhe im Jemen wurde verlängert und die direkte Flugverbindung zwischen Israel und Saudi-Arabien eingeweiht. Außerdem ist der Golf-Kooperationsrat gemeinsam mit Ägypten, Jordanien und dem Irak jetzt dazu bereit, eine ganze Reihe Verpflichtungen zur Stabilität der Region zu übernehmen. Last, but not least: Für die Lebensmittelversorgung hat Biden eine Milliarde US-Dollar an Hilfen versprochen. Das alles seien Schritte, die zeigten , dass "die USA im Nahen Osten noch immer relevant sind", so Biden - konkrete Ergebnisse, wie zum Beispiel eine Erhöhung der Ölproduktion, die zuhause in Amerika die Preise fallen lassen könnte, gab es allerdings nicht. Sie erwartet Biden allenfalls "in den kommenden Wochen".
Vieles von dem, was Biden auf der Reise gelungen ist, ist eher strategischer Natur und wird langfristig Früchte tragen, womöglich zu spät um seinem angekratzten Image zu Hause rechtzeitig vor den Wahlen im November zu helfen.
Schon während seiner ersten Station in Israel hatte Biden zum Beispiel klargemacht, dass er auf jeden Fall das Entstehen eines "Vakuums" verhindern wolle, das durch "China und Russland gefüllt" werden könnte. Dass er die Beziehungen zu Saudi-Arabien neu kalibriert, statt sie einfach zu beenden, ist also aus der Not geboren, einen weiteren Verlust an Einfluss in der Region verhindern zu müssen. Zumal die USA fürchten müssen, dass der Iran der Entwicklung eigener Nuklearwaffen schon gefährlich nahe gekommen ist.
Die Angst vor der iranischen Bombe
Den Iran in Schach zu halten - das ist eines der wenigen gemeinsamen Interessen Israels, Saudi-Arabiens und der USA. Doch das verlangt Biden einiges diplomatisches Geschick ab. In Israel machte Biden klar, dass er "alle" Möglichkeiten, die die USA haben, ausnutzen wird, damit Teheran keine Atombombe bekommt. Allerdings denkt er dabei weiterhin zuerst einmal an eine rein auf diplomatischem Parkett zu erreichende Wiederbelebung des Atom-Deals, was Israel missfällt.
Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, war hingegen enttäuscht von Bidens Besuch. Der US-Präsident versprach zwar 300 Millionen US-Dollar an Hilfen für die palästinensischen Gebiete, aus der vieldiskutierten Wiedereröffnung eines US-amerikanischen Konsulats in Ost-Jerusalem wurde aber erstmal nichts.
Klar ist aber auch: Vieles von dem, was diskutiert wurde, ist von der Lebensrealität vieler Amerikaner weit weg. In den USA kämpfen die Menschen mit steigenden Preisen. Und das könnte für Biden gefährlich werden, gerade weil er so viel auf der internationalen Bühne unterwegs ist. Denn viele in den USA finden, Biden solle lieber mal zuhause etwas gegen die hohen Benzinpreise tun statt Geld dafür auszugeben, Amerika bei den Muskelspielen der globalen Mächte im Spiel zu halten. In einem Kommentar, den Biden vor seiner Abreise geschrieben hatte, sah er es offenbar als notwendig an, seine Nahost-Politik zu rechtfertigen: Die Sicherheit in dieser Region würde nicht zuletzt "den Amerikanern zu gute kommen", sich also zuhause auszahlen.
Ausverkauf US-amerikanischer Werte?
Führende Abgeordnete aus Bidens Demokratischer Partei waren vorab besorgt, dass es durch das Treffen mit dem saudischen Prinzen zu einem Ausverkauf US-amerikanischer Werte kommen könnte. Ausdruck dessen war ein Brief, in dem sie Biden aufriefen, US-Interessen in den Vordergrund zu rücken, wenn er mit Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten verhandele. An der Spitze der Initiative stand niemand Geringeres als der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Adam Schiff. Er wies auch darauf hin, dass es Beweise gebe, dass Saudi-Arabien bei seiner Verteidigung auch mit China zusammenarbeite. In Reaktion auf den Faustgruss mit dem Kronprinzen twitterte Schiff, dies sei eine "sichtbare Erinnerung daran, wie reiche Öl-Autokraten die US-Nahostpolitik im Griff" hätten.
Bidens größte Herausforderung wird sein, den Wählern zuhause klar zu machen, welche ganz alltäglichen Profite sie denn nun von der Nahostreise zu erwarten haben. Doch das wird wohl eher mittelfristig deutlich werden. Zu spät vielleicht für einen Präsidenten, der mit der höchsten Inflation seit 40 Jahren und mit Benzinpreisen, die innerhalb eines Jahres um 60 Prozent gestiegen sind, zu kämpfen hat - und dessen Umfragewerte gleichzeitig in den Keller gerasselt sind.
Bidens Deadline ist der 8. November - dann stehen die Midterms an, die Zwischenwahlen zum US-Kongress. Dann wird sich zeigen, ob Biden die nötige politische Kontrolle behält, um wichtige Gesetzesvorhaben auch in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit durchzusetzen.