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Politik

Corona-Lockdown? Nein, danke!

2. November 2020

Restaurants, Bars, Theater - was Spaß macht, ist jetzt wieder zu. Viele Deutsche reagieren mit Zweifel und Ablehnung. Sie wollen die Gefahr nicht wahrhaben. Dabei ist es höchste Zeit aufzuwachen, meint Sabine Kinkartz.

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Symbolbild Corona-Lockdown für den Stammtisch
Bild: K. Schmidt/Fotostand/picture alliance

Am Wochenende haben es viele nochmal richtig krachen lassen. Die Restaurants waren voll, ebenso die Bars und Fitnessstudios. Ein letztes Mal vor dem partiellen Lockdown wurde geschlemmt, genossen und geturnt. Ohne Rücksicht darauf, dass es natürlich auch schon am Samstag und Sonntag so wichtig gewesen wäre, alle Kontakte massiv einzuschränken. Das Virus wird es gefreut haben.

Viele Deutsche stecken den Kopf in den Sand. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Pandemie uns wieder eingeholt hat und die zweite Welle mit großer Wucht alles hinwegfegt, was in den vergangenen Monaten erreicht wurde. Sie tragen Masken, halten Abstand, lüften, waschen sich die Hände und beruhigen sich damit, dass auf den Intensivstationen doch noch Platz und die Todesrate unter den an COVID-19 Erkrankten in Deutschland nach wie vor niedrig ist. Wer so denkt und handelt, tanzt auf einem brodelnden Vulkan.

Die bisherigen Regeln reichen nicht mehr

Die Infektionszahlen steigen exponentiell an und die Gesundheitsämter können die Ketten schon zu lange nicht mehr unterbrechen. Zu viele Infizierte sind ohne Symptome und wissen gar nicht, dass sie andere anstecken können. Auch die 24 Millionen Menschen in Deutschland, die älter als 60 Jahre sind. Oder die 2,5 Millionen Schwerbehinderten. Von denjenigen, die an Vorerkrankungen und Übergewicht leiden, gar nicht zu reden. Würde die Politik dem Infektionsgeschehen tatenlos zuschauen, würde das deutsche Gesundheitssystem in 20 bis 30 Tagen kollabieren.

Kinkartz Sabine Kommentarbild App
DW-Korrespondentin Sabine Kinkartz

Da hilft keine kleine oder große Variante der Corona-Regeln mehr, da hilft nur noch ein harter Schnitt. Deshalb geht Deutschland im November in einen partiellen Lockdown. Allerdings fragen sich viele Bürger, nach welcher Logik die Schließungen beschlossen wurden. Warum trifft es unter anderem ausgerechnet diejenigen, die in den vergangenen Monaten mit kostspieligen Umbauten und Hygienekonzepten so viel dafür getan haben, ihre Geschäfte so sicher wie möglich zu machen? Das finden viele ungerecht und unlogisch.

Vieles ist nicht nachvollziehbar

Wie kann es sein, dass Restaurants und Theater schließen müssen, während sich Lehrer und Schüler weiterhin viele Stunden lang in Klassenzimmern drängen und Fahrgäste in überfüllten Bussen, U-Bahnen und Zügen sitzen? Warum müssen Nagelstudios schließen, während Friseure weiterarbeiten dürfen? Warum wurden Gottesdienste nicht verboten, wohl aber Musikschulen geschlossen?

In den Ohren mancher Politiker mögen solche Fragen kleinlich klingen, die Bürger finden sie wichtig. Das scheint inzwischen auch der Kanzlerin aufgegangen zu sein, die am Montag nach der Sitzung des sogenannten Corona-Kabinetts nicht ihren Pressesprecher vorschickte, sondern sich persönlich lange und ausführlich von Journalisten befragen ließ. Ihre Botschaft: Es geht nicht um ein Hygienekonzept für dieses Restaurant oder ein anderes, sondern um ein Konzept, mit dem 75 Prozent aller Kontakte reduziert werden können.

Vereinzeln und zuhause bleiben

75 Prozent! Diese Zahl muss ein Weckruf für alle sein. Auch und gerade für diejenigen, die den Ernst der Lage noch nicht wahrhaben wollen. Muss es denn erst wieder Bilder von überfüllten Notaufnahmen und Intensivstationen geben, bevor auch dem Letzten klar wird, dass Corona kein Problem ist, das sich mit normalen Maßstäben messen und regeln lässt? Dass wir so etwas wie eine Naturkatastrophe erleben, die man nicht wegdiskutieren kann?

75 Prozent weniger Kontakte sind nicht zu erreichen, wenn nicht jeder Einzelne sein Verhalten überdenkt und gegebenenfalls ändert. Ja, der partielle Lockdown mag ungerecht sein, aber er folgt einer einfachen, verständlichen Logik: Es wird geschlossen, was das Leben schön macht, damit viele zu Hause bleiben. Es bleibt offen, was essenziell wichtig und notwendig ist.

Wie wollen wir in der Pandemie leben?

Zu den wichtigen Einrichtungen gehören Schulen und Kindergärten. Eltern können nicht gleichzeitig arbeiten und ihre Kinder betreuen - das haben wir im Frühjahr gelernt. Allerdings muss darüber diskutiert werden, ob Schulen auf Biegen und Brechen so weitermachen müssen, wie bisher. Mehr als zehn Millionen Kinder und Jugendliche gehen in Deutschland zur Schule. Das Risiko ist sehr groß, dass sie das Virus verbreiten. Es wäre sinnvoll, in kleineren Gruppen zu unterrichten und ältere Jahrgänge in digitale Klassenräume zu verlegen. So funktioniert es schließlich auch an den Universitäten. Da ist noch viel Luft nach oben.

Vor uns liegen mindestens vier - wenn der Frühling auf sich warten lässt - vielleicht auch fünf harte Monate. Die werden wir nur mit sehr viel Eigenverantwortung bewältigen und die ist nur zu erreichen, wenn wir viel ausführlicher darüber sprechen und diskutieren, wie wir in und mit der Corona-Pandemie weiter leben wollen. Das sollte, nein das muss auch in den Parlamenten geschehen. Die Bürger müssen eingebunden und mit ins Boot genommen werden. Mit schlecht kommunizierten Verordnungen von oben wird nichts erreicht werden. Das hat das Wochenende gezeigt, an dem sich zu viele nochmal schnell vergnügt haben. Mit Eigenverantwortung hatte das nun wirklich nichts zu tun.