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Mein Stück Heimat: Remon Musas Kreuz-Anhänger

Sarah Judith Hofmann 16. Oktober 2015

Die Terroristen des IS greifen seine Heimat an, den Irak. Und Remon Musa ist ihnen nicht nur einmal knapp entkommen. Er steht im Visier der Islamisten, weil er Christ ist.

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Der irakische Flüchtling Remon Musa (Foto: DW/Sarah Judith Hofmann)
Bild: Sarah Hofmnan/ DW

Tausende Flüchtlinge kommen derzeit in Deutschland an. Menschen, die Freunde und Familie, Arbeit und Wohnung, die ihre Heimat vielleicht für immer verlassen mussten. In unserer neuen DW-Reihe "Mein Stück Heimat" stellen wir Flüchtlinge und deren Geschichten aus ihrer Sicht vor: subjektiv und ohne zu werten. Und wir zeigen, welches Kulturgut ihnen so sehr am Herzen lag, dass sie es trotz lebensgefährlicher Flucht mitgenommen haben: ihr "Stück Heimat".

Es ist 19.40 Uhr, als der Sonderzug mit Flüchtlingen am Gleis 1 am Bahnhof des Köln-Bonner Flughafens einrollt. Freitagabend. Insgesamt 444 Menschen haben den Zug in Passau bestiegen: Die Reise aber, die hinter ihnen liegt, ist viel länger als die acht Stunden Zugfahrt. Sie kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak – so wie Remon Musa und sein Freund Maher Sabah. Gepäck haben sie so gut wie keines dabei. Remon schultert immerhin einen kleinen Rucksack. Seinen wichtigsten Besitz aber trägt er um den Hals: zwei Ketten mit einem Kreuz-Anhänger – * sein Stück Heimat. Remon trägt sie unter dem grauen Kapuzenpulli, so nah wie möglich am Herzen und für niemanden sichtbar, den er nicht kennt.

Die eine Kette ist aus Holz, seine Mutter hat sie ihm geschenkt. Die andere ist aus schwarzem Garn geflochten. Eine christliche Ordensschwester hat sie ihm noch im Irak für die gefährliche Reise nach Europa mitgegeben. Sie solle ihn beschützen.

Infografik: Steckbrief von Remon Musa aus dem Irak (Copyright: DW)
Bild: DW

Jetzt ist Remon tatsächlich in Deutschland angekommen, dem "Land seiner Träume", wie er sagt. Aber wo genau er ist, das weiß Remon nicht. Zielstrebig läuft er mit Maher auf eine der Helferinnen am Gleis zu, die eine grüne Weste trägt – das Zeichen für Dolmetscher. Auf der Rückseite der Weste steht auch, welche Sprache die Frau spricht. Die beiden Freunde haben das nicht gesehen, aber sofort erkannt: Sie könnte uns helfen. Nach beinahe einem Jahr auf der Flucht sind sie Profis geworden.

Im November 2014 sind sie in Erbil aufgebrochen. Eigentlich aber kommen sie aus Karakosh, rund 32 Kilometer südöstlich von Iraks zweitgrößter Stadt Mosul. Es ist eine alte assyrische Stadt, ein Großteil der Bewohner sind Christen, auch Remon und Maher. Als die Terrormiliz des selbsternannten "Islamischen Staats" (IS) im Juni 2014 Karakosh mit Artillerie beschoss, flohen die meisten Einwohner nach Mosul. Mahers Vater hatte die IS-Kämpfer kommen sehen, erzählen sie. Die beiden Freunde konnten rechtzeitig mit ihren Familien nach Erbil fliehen, wo sie einige Monate blieben.

Doch Remon fühlte sich nicht mehr sicher. Der Angriff auf Karakosh war nicht das erste Mal, dass er zur Zielscheibe des IS geworden war. Bereits im Oktober 2010 hatten islamistische Terroristen die Sayidat-al-Nejat-Kathedrale in Bagdad angegriffen und die rund 120 Teilnehmer der Abendmesse als Geiseln genommen. Remon war eine von ihnen. Als die Terroristen anfingen, Geiseln zu erschießen, weil die irakische Regierung nicht auf ihre Forderungen einging, stürmten irakische Spezialkräfte mit US-Unterstützung die Kathedrale. Insgesamt 68 Menschen starben. Die Bilder gingen um die Welt.

"Ich habe damals viele Interviews gegeben", sagt Remon. Einige habe er auf DVD gesichert, um zu beweisen, dass er ein Anrecht auf Asyl hat. So schnell wie möglich will er dieses Material nun den deutschen Behörden zeigen.

"Wo sind wir? Wohin kommen wir jetzt?", fragt er aufgeregt die Dolmetscherin. Lamia Ahmad antwortet ganz ruhig: "Ihr seid in Köln – herzlich willkommen" und erklärt, dass alle bitte die Treppe hochgehen sollen. In Zelten vor dem Flughafengelände würden sie ein warmes Essen und Kleidung bekommen und dann in Bussen zu verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge in ganz Nordrhein-Westfalen weitergebracht.

Remon ist es egal, wohin er gebracht wird. Hauptsache, er ist in Sicherheit und kann schnell erklären, dass er ein Recht hat zu bleiben. Dann will er so schnell wie möglich seine Frau und seine kleine Tochter nachholen. "Im Irak", sagt er, "sind sie nicht sicher."

Die irakischen Flüchtlinge Remon Musa und Maher Sabah (v.r.n.l.) am Bahngleis des Köln-Bonner Flughafens (Foto: DW/Sarah Judith Hofmann)
Remon Musa und Maher Sabah (v.r.n.l.) wollen ebenso wie viele andere Flüchtlinge mit der Dolmetscherin sprechenBild: DW/S. Hofmann