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Politik

Mein Europa: Was Davos und die Europa-Wahlen verbindet

Radu Magdin
25. Januar 2019

Die europäische Politik muss sich auf die Folgen der Vierten Industriellen Revolution vorbereiten, meint der rumänische Politik-Analyst Radu Magdin. Wenn nicht, könnten die schlimmsten Befürchtungen wahr werden.

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Europa-Gastkolumnist Radu Magdin
Bild: Privat

In dieser Zeit der Verunsicherung steht die Welt (und besonders der Westen) vor der schwierigen Aufgabe, eine entschlossene Antwort auf dreiste Anti-Demokraten und Vertreter der "illiberalen Demokratie" zu finden. Man muss das verteidigen, was wertvoll ist, und das verändern, was die Wähler als defekt empfinden. Die Umrisse eines neuen Gesellschaftsvertrags - als offensichtlicher Versuch der Anpassung an die neue Realität der Vierten Industriellen Revolution - sollte ein zentrales Thema der Europa-Wahlen im Mai sein.       

Wegen der angespannten Lage im Heimatland waren weder US-Präsident Donald Trump noch der französische Staatschef Emmanuel Macron auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Doch die USA und Frankreich sollten unbedingt mit an Bord sein, wenn es darum geht, globale Lösungen für die Folgen der Vierten Industriellen Revolution zu finden. Wenn sich Regierungen nicht genug für die Vorbereitung auf die Zukunft interessieren, könnten unsere schlimmsten Befürchtungen in Sachen Demokratie wahr werden.       

Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag 

In der Welt der Wirtschaft werden jene besonders bewundert, die Innovationen vorantreiben und gängige Muster durchbrechen. In der Politik sieht die Realität anders aus: Wer den Status Quo in Frage stellt, stößt eher auf Misstrauen, vor allem weil Mainstream-Politiker Probleme damit haben, inspirierende Ansätze mit dem prosaischen Akt des Regierens zu verbinden. Ein Beispiel für dieses Dilemma ist das jüngste politische Wunderkind Europas, Emmanuel Macron. Auf der anderen Seite steht die ständige Bedrohung durch Populisten, die unermüdlich versuchen, sich neu zu erfinden und ihre Botschaften zu erweitern. Es ist wie beim "Russischen Roulette": Unsere demokratischen Staaten werden mit jeder Wahl schwächer, bei der der Gesellschaftsvertrag nicht überarbeitet wird. Langsam aber sicher verlieren wir die Antikörper, die im 20. Jahrhundert so viele Fortschritte ermöglicht haben.

Die dunklen Mächte suchen aktiv nach einem Durchbruch. Im Moment sind ihre Erfolgschancen noch ziemlich gering, doch sie steigen konstant. Es ist eine Herkules-Aufgabe, Umbrüche und Inklusion zu verbinden - beides sollte den Mittelpunkt eines neuen Gesellschaftsvertrags bilden. Es wurde zu wenig getan, um diese Grundlage unserer demokratischen Ordnung wieder aufzubauen.  

Selbstgefällige Gleichgültigkeit ist nicht mehr genug. Alle Akteure, die in Davos waren, und jene Politiker, die sich auf eine Kandidatur bei den Europa-Wahlen im Mai vorbereiten, sollten dieselben Grundprinzipien berücksichtigen.

Von Industrie 1.0 zu Industrie 4.0

Die Wirtschaft soll im Dienste der Gesellschaft stehen 

Globalisierung 4.0 funktioniert nicht für jeden. Obwohl die Gesamtzahlen auf ein positives Ergebnis deuten könnten, zeigt sich beim genaueren Hinschauen ein hoher Grad an Heterogenität. Wir sprechen so viel von Ungleichheit, aber unsere konzeptionellen Werkzeuge sind immer noch von dem Prinzip des Durchschnitts geblendet: Das ist paradox.

Es ist entscheidend, das Störpotenzial der sogenannten "Verlierer der Globalisierung" zu verstehen. Die Wirtschaft funktioniert nicht unabhängig von der Politik - egal, ob auf nationaler oder globaler Ebene. Der Gedanke, dass Eliten die Bürger dazu bringen können, Szenarien zu akzeptieren, die eigentlich gegen ihre eigenen Interessen sind, wurde von der Realität widerlegt. Die Wirtschaft muss im Dienste unserer Gesellschaft stehen: Das wird ein zentrales Thema unserer Demokratien sein.   

Noch immer herrscht eine besorgniserregende Ignoranz gegenüber der Zukunft der Arbeit und der Verbindung zwischen Arbeit und Lebenssinn. Vor dem Hintergrund der Automatisierung müssen wir uns fragen: Welche Alternativen gibt es für all jene, deren Jobs mit hoher Wahrscheinlichkeit diesen neuen technologischen Entwicklungen zum Opfer fallen werden? Wie können wir dafür sorgen, dass es immer noch einen Platz für sie gibt in unserer zunehmend vereinzelten Gesellschaft, in der hart über andere geurteilt wird?

Echte soziale Sicherheitsnetze bringen mehr Risikofreude und Innovationen

Wir sollten damit aufhören, Menschen auf die Jobs von gestern vorzubereiten. Es geht hier nicht um die eine oder andere Qualifikation - in 20 Jahren könnte jede von ihnen sowieso völlig veraltet sein - sondern vielmehr um Resilienz und Anpassung. Durch den Aufbau von echten Sicherheitsnetzen sollten wir Menschen dazu ermutigen, Risiken einzugehen und ihre Innovationskraft wieder aufleben zu lassen.

Es ist höchste Zeit für eine faire und integrative Debatte über die Finanzierung eines neuen Gesellschaftsvertrags. Ungleichheit und finanzpolitische Optimierungsprogramme sind zu einer Bürde der Demokratie geworden. Das wurde in Foren bestätigt, die nationale und lokale Regierungen zusammenbringen, sowie Konzerne, Bürger und Vertreter des "dritten Sektors",  also der NGOs und Non-Profit-Organisationen. Ein Wechsel in den Nachkriegs-Modus wäre hilfreich: hin zu jenem Verständnis der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Dynamiken, die letztendlich sogar die Hohepriester des freien Marktes dazu bewegt haben, die Pille eines robusten Sozialsystems zu schlucken. Andernfalls werden die internen Probleme unserer demokratischen Gesellschaften den globalen Wettbewerb nur weiter verschärfen - und damit die beängstigende Unsicherheit, die uns umgibt.

Radu Magdin ist ein rumänischer Analyst und Politik-Berater. Unter anderem hat er den Premier Rumäniens (2014-2015) und den Premier der Republik Moldau (2016-2017) beraten. Von 2007 bis 2012 arbeitete er in Brüssel für das Europäische Parlament, EurActiv und Google. Er gehört zur Arbeitsgruppe der NATO Emerging Leaders des Atlantic Council der USA.