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Politik

Die Medien verlieren an Vertrauen

Kommentarbild Muno Martin
Martin Muno
19. Juni 2022

Eine neue Reuters-Studie warnt: Immer mehr Menschen meiden Medieninhalte. Und in vielen Ländern schwindet das Vertrauen in Journalismus weiter. Das ist gefährlich für die Demokratie, meint Martin Muno.

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Menschen blicken auf Zeitungen an einem Zeitungsstand in Bagdad
Informationen vor allem auf bedrucktem Papier, das war einmal: Die heutige Realität sieht anders ausBild: SABAH ARAR/AFP

Wenn akademische Studien über Medien erscheinen, erregt das normalerweise nur unter Journalistinnen und Journalisten Aufsehen. Doch die Zeiten sind alles andere als normal. Und deshalb sind die Inhalte des jetzt erschienenen Digital News Report der Reuters Institute for the Study of Journalism geeignet, deutlich mehr Menschen zu alarmieren als nur Medienschaffende. Die jährlich erscheinende Studie erfasst die jeweils aktuellen Trends der Mediennutzung in 46 Ländern. Sie lassen sich in drei Aussagen bündeln.

Erstens: Immer mehr Menschen vermeiden es bewusst, Nachrichten zu schauen, zu hören oder zu lesen. In Brasilien sind es 54, in Großbritannien 46 Prozent. Auch in den USA, Irland und Australien gaben mehr als 40 Prozent der Befragten an, auf Nachrichten zu verzichten. Eine junge Britin brachte die Haltung auf den Punkt: "Ich meide Nachrichten über Politik. Ich fühle mich sonst so klein. Außerdem spielen meine Ansichten sowieso keine Rolle." Viele, gerade junge Menschen sagen zudem, dass sie die Nachrichteninhalte nicht verstehen.

Drei Viertel der US-Amerikaner misstrauen den Medien

Zweitens: In vielen Ländern verlieren die nationalen Medien weiter an Vertrauen. Das größte Misstrauen gibt es in den USA - lediglich 23 Prozent sagen, sie trauten den Medien. Unter Konservativen sind es sogar nur 14 Prozent. Aber es gibt auch ermunternde Beispiele: In Dänemark etwa vertrauen 69 Prozent ihren Medien - ein Plus von vier Prozent.

Porträtfoto von Martin Muno
DW-Redakteur Martin Muno

Drittens: Die Bedeutung traditioneller Medien sinkt. Vor allem junge Menschen beziehen ihre Informationen überwiegend aus Sozialen Netzwerken und über Suchmaschinen. Vor allem in Thailand, den Philippinen und Kenia sind Soziale Medien Hauptinformationsquelle. Und hier werden TikTok und Instagram immer wichtiger, Facebook ist längst auf dem absteigenden Ast.

Gerade die Mischung aus Nachrichtenvermeidung und Misstrauen ist ein Grund zur Sorge - auch wenn so manche Begründung einleuchtend ist. Wer von uns hat nach zwei Jahren Pandemie nicht schon mal gesagt, "ich kann den ganzen Corona-Mist nicht mehr hören"? 

Demokratische Teilhabe setzt Wissen voraus

Es gibt aber zwei gute Gründe, sich nach wie vor über seriöse Informationsanbieter zu informieren - zumindest solange man ein Interesse an demokratischer Teilhabe hat. Denn die beruht auf dem Austausch rationaler Argumente und dem konstruktiven Streit darüber, was der richtige Weg ist. Teilhabe setzt Wissen voraus. Eine autoritäre Einschränkung dieser Teilhabe geht nicht umsonst mit einer Einschränkung der Informationsfreiheit einher.

Nicht umsonst ist Wladimir Putins Angriffskrieg mit einer radikalen Zensur verbunden. Stimmen, die diesen Krieg als unsinnig und schädlich für Russland bezeichnen, werden im Keim erstickt, Demonstrationen niedergeknüppelt. Zensur und zunehmende Einschränkung der Freiheit gehen Hand in Hand. Sei es in Hongkong, in Ungarn oder Polen.    

Denn meistens sind es Medien, die die Lügen der Herrschenden offenlegen. Jüngstes Beispiel sind die Falschaussagen des britischen Premiers Boris Johnson, es habe in seinem Amtssitz keine ausschweifenden Partys während des Lockdowns gegeben. (Was sich allerdings geändert hat, ist der Umstand, dass jeder Regierungschef, jede Premierministerin vor ihm deswegen zurückgetreten wäre.)

Auch wir Journalist*innen haben eine Verantwortung

Wer den Nachrichtenkonsum vermeidet, dem oder der muss eines klar sein: Der Lauf der Welt setzt sich fort, auch ohne dass man es bemerkt - seien es Kriege oder Hungersnöte, der Klimawandel oder die Inflation. Nur wer weiß, kann etwas bewirken. Wer wegsieht, steckt den Kopf in den Sand. Übt quasi Selbstzensur aus. Und ist damit blind für das, was kommt.

Aber auch wir Journalisten sind an dieser Entwicklung nicht schuldlos. Unsere Berichterstattung darf sich nicht darauf beschränken, die negativen Dinge zu beschreiben. Sie muss mehr und mehr darauf ausgelegt sein, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir unsere Welt zu einer besseren machen können. Diese Art eines "konstruktiven Journalismus" wird immer wichtiger - und findet dankenswerterweise immer mehr Anhängerinnen und Anhänger in den Redaktionen.

Und wir müssen die zunehmend komplexer werdende Welt besser verständlich machen. Dass sich zunehmend junge Menschen von den Medieninhalten abwenden, weil sie sie nicht verstehen, ist ein Alarmzeichen. Wir brauchen mehr Formate, in denen die Zusammenhänge einfach und eingängig erklärt werden.

Wenn wir es schaffen, mehr und mehr lösungsorientierte und erklärende, dabei durchaus auch unterhaltsame Artikel, Videos oder Podcasts zu produzieren, dann könnte der Reuters Digital News Report 2023 wieder etwas optimistischer ausfallen. Wenn die Entwicklung allerdings so weiter geht, ist die Demokratie auf lange Sicht ernsthaft bedroht.

Faktencheck: Wie erkenne ich Fake News?

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Martin Muno Digitaler Immigrant mit Interesse an Machtfragen und Populismus