Macrons diplomatische Offensive in Moskau
7. Februar 2022Wenn es stimmt, dass nicht geschossen wird, solange die Gegner am Verhandlungstisch sitzen, dann erfüllt der Besuch von Emmanuel Macron in Moskau am Montag jedenfalls den Zweck, angesichts einer potentiellen Kriegsgefahr Zeit zu gewinnen. Frankreich steht in diesem Halbjahr dem Rat der Europäischen Union vor, und damit hat der französische Staatschef eine gewisse Legitimation, eine diplomatische Offensive europäischer Länder anzuführen. Eine Woche später wird der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in die Ukraine und nach Russland reisen, um sein politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen.
Verhandeln, so lange es geht
In den vergangenen Tagen hatte Macron mehrfach mit Wladimir Putin telefoniert und damit mehr Kontakt mit dem russischen Präsidenten als jeder andere europäische Regierungschef. Französische Diplomaten schließen daraus, dass der Kremlchef nicht völlig abgeneigt ist, mit den Verantwortlichen in Paris und anderen EU-Hauptstädten ins Gespräch zu kommen. Und das trotz seiner ursprünglichen Weigerung, mit den Europäern überhaupt zu reden und nur US-Präsident Joe Biden als Verhandlungspartner anzuerkennen.
Was der französische Präsident erreichen will, hat er bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Bundeskanzler Ende Januar deutlich gemacht. Man dürfe nie "den Dialog mit Russland aufgeben". Und er nennt als Partner dieses Dialogs die NATO, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Treffen des sogenannten Normandie-Formats (Frankreich, Deutschland, Russland, Ukraine) und schließlich die Europäische Union. "Wir müssen all diese Formen bis zuletzt ausschöpfen", mahnt Macron, um die Sicherheit der ukrainischen Grenzen und Europas insgesamt zu gewährleisten.
Bereits im Januar hatte es ein Treffen hochrangiger Regierungsberater im Normandie-Format in Paris gegeben. Allein dass es stattfinden konnte, betrachten Paris und Berlin als Zeichen dafür, dass die Wiederbelebung dieser verschütteten Gesprächsrunde nicht ganz unmöglich wäre. Die Kontaktgruppe zu Fragen des Ukraine Konflikts hatte sich auf Präsidentenebene zuletzt 2019 getroffen.
Macron macht auch Wahlkampf
Es gehe um Wege zur Deeskalation, sagt der französische Präsident, wobei der beginnende Wahlkampf in Frankreich eine Rolle spielt: Jeder Spitzenpolitiker zeigt sich gern auf der Weltbühne als Friedensretter. Das Risiko für Macron ist, dass er mit leeren Händen aus Moskau zurückkommen und sein Vorstoß nicht rühmlich, sondern peinlich werden und seinen politischen Gegnern Munition liefern könnte.
Dabei steckt hinter Macrons Bemühen um eine besondere Beziehung zum russischen Präsidenten eine steile Lernkurve. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte er noch versucht, Putin durch eine Einladung ins pompöse Schloss Versailles zu beeindrucken oder in seinem Urlaubsdomizil an der Mittelmeerküste ein persönliches Verhältnis zu ihm aufzubauen. Aber der russische Präsident ignorierte die französischen Avancen und der erhoffte Dialog über eine europäische Sicherheitsarchitektur kam nicht zustande.
Inzwischen, so glaubt die Chefredakteurin der französischen Tageszeitung "Le Monde", seien der Präsident und seine Regierung realistischer geworden. "Zum einen hat die Charmeoffensive Macrons gegenüber dem Kreml einige europäische Partner verärgert. Zum anderen ist der Durchsetzungswille Russlands spektakulär gewachsen - auch zu Ungunsten französischer Interessen", schreibt Sylvie Kauffmann. Die angekündigte Entsendung von russischen Söldnern der sogenannten Wagner-Gruppe nach Mali, wo die französische Militärmission schwer unter Druck steht, habe Paris die Augen geöffnet.
Unumwunden nennt Macron Russland jetzt eine "destabilisierende Macht", die frühere Sowjetrepubliken mit hybriden Angriffen attackiere, was besorgniserregend auch für Sicherheit Europas sei. Und die französische Regierung betont, sie habe als erste schon im November mit "ernsthaften Konsequenzen" gedroht, falls Russland in die Ukraine einmarschieren würde. Paris will sich nicht mehr vorwerfen lassen, zu weich oder gar komplizenhaft gegenüber Moskau aufzutreten oder die EU in dieser Frage zu spalten.
Vor seiner Reise nach Moskau hat Macron darum nicht nur mit Joe Biden gesprochen: Er hat betont den Schulterschluss mit dem deutschen Bundeskanzler gesucht, wobei er entschlossener auftrat als Scholz. Der französische Präsident weist auch darauf hin, dass Polen derzeit den Vorsitz in der OSZE und Berlin die Präsidentschaft der G7-Staaten habe, was beiden Ländern ein Forum biete, ihren jeweiligen Beitrag zur Deeskalation der Krise zu leisten.
Europas Sicherheit steht im Mittelpunkt
Einige osteuropäische Regierungen sind dennoch verärgert, weil sie sich im Vorfeld nicht ausreichend einbezogen fühlten. Die Bundesregierung hat darum die Regierungschefs der baltischen Länder nach Berlin eingeladen, und der Kanzler fährt Mitte Februar zuerst nach Kiew und dann nach Moskau. Französische Diplomaten wiederum weisen darauf hin, dass der Konflikt nur in Moskau gelöst werden könne.
Präsident Macron wolle auf jeden Fall den Eindruck widerlegen, dass die Europäer bei den diplomatischen Versuchen zum Abbau der Spannungen an ihrer östlichen Grenze nichts zu sagen hätten, meint Tara Varma vom European Council on Foreign Relations. Für Frankreich gehe es also im Kern um die europäische Souveränität. Paris wolle die Position der EU stärken und gleichzeitig alles tun, um einen Krieg zu vermeiden.
Dabei stellt der französische Präsident die Sicherheit Europas in den Mittelpunkt. Er droht nicht nur mit Wirtschaftssanktionen, sondern schickt auch ein militärisches Signal nach Moskau: Paris entsendet französische Truppen nach Rumänien, um die NATO-Präsenz dort zu verstärken. Dem russischen Präsidenten die Hand reichen und ihn gleichzeitig in seine Grenzen weisen - wie weit das funktioniert, wird für Europa zur existentiellen Frage.