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Der Nikolaus hat viele Gesichter

Matthias Lemme6. Dezember 2006

Endlich wieder Nikolaus! Geputzte Schuhe, glänzende Augen und die Sorge, ob Nikolaus auch wirklich kommt. Er kommt - mit einem Sack voll Traditionen auf dem Buckel. Traditionen, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

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Ein Nikolaus im Bischofskostüm mit Hirtenstab und Mitra
Nikolaus im BischofskostümBild: picture-alliance/ dpa

Auf der Nordseeinsel Borkum gibt es einen recht ungewöhnlichen Brauch. Onkel Nikolaus, auf Plattdeutsch Klaasohm, streift in der Nacht zum 6. Dezember über die Insel und versohlt jungen Frauen den Hintern. Das ist nicht symbolisch gemeint. Klaasohm haut richtig zu - mit einem großen geschwungenen Kuhhorn. Um möglichst wenige zu vergessen, gibt es sechs "Klaasen" in dieser Nacht. Sie haben eine riesige Schafspelz-Maske übergestülpt, eine rote Nase und einen Kuhschwanz. Den Kindern schenken sie Süßigkeiten, mit den Männern trinken sie Schnaps und tanzen mit ihnen auf den Kneipentischen.

Diese Nacht muss ein großer Spaß sein. Junge Borkumer verabreden sich im Internet schon Monate vorher zu diesem Highlight des Jahres, bei dem die Insulaner am liebsten unter sich sind. Mit dem klassischen Nikolaus hat dieser alte Walfängerbrauch genau soviel zu tun, wie ein ostfriesischer Walfänger mit einem kleinasiatischen Bischof aus dem vierten Jahrhundert - ziemlich wenig.

Heiliges Schlitzohr

Der heilige Bischof von Myra ist einer der populärsten christlichen Heiligen.
Nikolaus, Bischof von MyraBild: picture-alliance / Godong

Glaubt man den Malereien und Legenden, war Nikolaus, der Bischof der antiken Stadt Myra in der heutigen Türkei, ein hagerer Mann. Mit 19 Jahren wurde er zum Bischof geweiht, sein geerbtes Vermögen schenkte er den Armen. Um seine Demut und seine Großherzigkeit rankten sich die Legenden. Bei einer Hungersnot soll Nikolaus in den Hafen gegangen sein und den Seeleuten Getreide abgeschwatzt haben. Das war eigentlich für den Kaiser bestimmt - aber siehe da, als die Ladung in Byzanz gelöscht wurde, fehlte kein Gramm.

Ein anderes Mal soll er einem verarmten Vater aus der Patsche geholfen haben. Seine Töchter konnten nicht heiraten, weil er keine Mitgift für sie hatte. Nikolaus warf drei Nächte lang jeweils einen Goldklumpen in das Zimmer der jungen Frauen und die Hochzeitsglocken konnten läuten. Aus den Goldklumpen wurden im Lauf der Zeit goldene Äpfel, aus dem kaiserlichen Getreide Knabberzeug und Süßigkeiten. Das sind Legenden, aus denen Heilige gestrickt werden - und Geschichten, die viel über die Sehnsüchte der Zeitgenossen erzählen.

Schwarzer Peter

Ganz so heilig wie beim Nikolaus von Myra geht es in den Niederlanden nicht zu. Der Nikolaus heißt dort Sinterklaas, sein Begleiter ist der Zwarte Piet, der Schwarze Peter. Beide kommen jedes Jahr aus Spanien angefahren, von wo aus sie den Rest des Jahres die holländischen Kinder beobachten. Mitte November legen sie mit einem Schiff in Holland an, die Ankunft wird im Fernsehen übertragen. Dann besuchen sie das ganze Land.

Sinterklaas kommt im Bischofsgewand, der Zwarte Piet ist so etwas wie ein gezähmter Teufel. Bösen Kindern gibt er die Rute, manche soll er auch schon in seinen Sack gesteckt und zurück mit nach Spanien genommen haben. Bischof und Teufel verteilen in Holland also Lob und Tadel. Himmel und Hölle, Gut und Böse, eine recht ganzheitlichen Jahresendabrechnung. Geschenke machen sich die Holländer statt zu Weihnachten in der Nacht zum 6. Dezember - Sinterklaas statt Santa Claus.

Was in Holland der Zwarte Piet ist, ist in Deutschland der Knecht Ruprecht, in der Schweiz der Schmutzli und in Österreich der Krampli. Sie sind das negative Pendant zum Nikolaus und unterscheiden sich allenfalls in ihrem Aussehen und im Gebrauch ihrer Ruten, Peitschen und rasselnden Ketten. Ihren Ursprung haben sie im spätmittelalterlichen Kinderschreck. Flugblätter mit Kinderfressern mahnten zur Frömmigkeit. Die Kinderfresser drohten den ungezogenen Kindern, sie aufzuschlitzen, auszupeitschen oder sie aufzufressen.

Sinterklaas winkt den Menschen zu, der Zwarte Piet führt sein Pferd
Sinterklaas und Zwarte PietBild: picture-alliance/ dpa

Dauergrinsender Weihnachtsonkel

Mit solchen pädagogischen Lichtgestalten hat nun der Weihnachtsmann wiederum wenig zu tun. Santa Claus ist eine ziemlich junge Erfindung. Wörtlich eine Verballhornung von Sinterklaas, trat der gutmütige Weihnachtsonkel mit einer Werbekampagne von Coca-Cola seinen Siegeszug an. Das war in den 1930er Jahren - der Weihnachtsmann bekam sein pummeliges Dauergrinsen und wurde für alle Zeiten in Schokolade konserviert.

Mittlerweile sind der heilige Nikolaus, der teuflische Knecht Ruprecht und der feiste Weihnachtsmann eine lustige Koalition eingegangen. Eine Melange aus Mythen und Symbolen, ein Fall für alle Fälle. An dieser Verschiebung von Nikolausbräuchen auf das christliche Weihnachtsfest waren die mittelalterlichen Reformatoren nicht unbeteiligt. Sie verboten die Anbetung von Heiligen und deren Reliquien, auch die des heiligen Nikolaus'. Die Menschen verschoben ihre traditionellen Riten auf das nahe Weihnachten.

Santa Claus fliegt auf einem Rentierschlitten durch den Himmel.
Santa Claus - kein NikolausBild: AP Graphics

Sack und Rute

In Finnland heißt der Nikolaus Joulupukki. Der ist nicht heilig und nicht teuflisch, sondern ziemlich heidnisch. Er kommt aus Lappland und verteilt am 6. Dezember Geschenke, die an die alte heidnische Zeit erinnern sollen. Ein Nachfahre dieses über 900 Jahre alten Urahns will seit Jahren dessen Existenz nachweisen. In seiner Nikolaus-Version waren in den Joulupukki-Geschenken Sack und Rute als männliche Fruchtbarkeitssymbole zu erkennen.

Wie dem auch sei. Für die wartenden Kinder ist eigentlich nur wichtig, dass der Nikolaus über Nacht gekommen ist und Süßes da gelassen hat. Ob er das nun in die geputzten Schuhe getan, in den Kamin geworfen oder durchs Fenster geschmissen hat, ist ihnen wohl egal. Der Nikolaus soll das machen, wie er will. Ob nun mit Bischofsmütze, Rauschebart oder in Papas Bademantel. Das ist vielleicht das Schöne an Traditionen - sie sind verlässlich, aber unberechenbar.