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Kunst

Die Geschichte des Plakats

Suzanne Cords
9. April 2022

Schon in der Antike listeten Händler ihre Waren auf steinernen Tafeln auf, um Kunden anzulocken. Jahrhunderte später übernahmen Plakate diese Aufgabe. Eine Ausstellung im Museum Folkwang in Essen zeigt ihren Siegeszug.

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Ein Mann steht vor dem Rekrutierungs-Plakat mit Uncle Sam: I Want You" (1940)
US-Plakat "I Want You" 1940 in Benton Harbor, MichiganBild: Glasshouse Images/Circa Images/picture alliance

Man kann sich Uncle Sams eindringlichem Blick kaum entziehen. Dazu der ausgestreckte Zeigefinger, der die klare Botschaft vermittelt: DU bist gemeint. "I want you for U.S. Army" (Ich will Dich für die US-Armee). Das Plakat aus dem Jahr 1917 sollte junge Männer an ihre patriotische Pflicht erinnern, für ihr Vaterland in den Ersten Weltkrieg zu ziehen.

Plakat "Uncle Sam wirbt für die Armee" (USA 1917)
Uncle Sam wirbt für die Armee (USA 1917)Bild: Museum Folkwang Essen

Das Werk stammt aus der Zeichenfeder des New Yorkers James Montgomery Flagg, der Uncle Sam seine eigenen Züge verliehen haben soll. Auch im Zweiten Weltkrieg warb die US-Armee mit diesem Plakat - und tut es bis heute. Es ist weltbekannt und hat längst Kultstatus.

So kommt es nicht von ungefähr, dass das Essener Museum Folkwang seine Ausstellung zur Geschichte des Plakats unter dem Titel "We Want You!" präsentiert. Die Zeitreise beginnt  im 18. Jahrhundert mit Anschlagszetteln, Karikaturen, Illustrationen und historischen Fotografien, zeigt Wahlplakate und endet in der Gegenwart mit einem Ausblick auf die Zukunft.

Denn Plakate, so Kurator René Grohnert, werde es auch dann noch geben - wenn auch in anderer Form. Klar ist für ihn, dass der Spruch "Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte" heute mehr denn je gilt. "Allerdings muss das Bild idealerweise bewegt sein, um die Leute anzusprechen", also ein Video, sagt Grohnert.

Wie alles begann

Vorläufer des Plakats waren Steintafeln, auf denen einst die alten Ägypter Botschaften einritzten. Die Römer stellten an belebten Plätzen Holztafeln mit öffentlichen Bekanntmachungen auf. Und im Mittelalter gab es plakatähnliche Anschläge auf Markplätzen oder vor Kirchen.

Doch die eigentliche Geburtsstunde des Plakats schlug Mitte des 15. Jahrhunderts mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg. Im Jahr 1798 entwickelte der Musiker und Schriftsteller Alois Senefelder dann die Lithografie. Inspiriert dazu wurde er an einem Regentag, an dem er beobachtete, wie sich ein Blatt auf einem Kalkstein abzeichnete.

Berlins neue Anschlag-Säulen: Lithografie, um 1855. Herren mit Zylinder betrachten eine Litfasssäule
Die Litfasssäule wurde 1854 erfunden - und ein Jahr später in Berlin mit dieser Lithografie gewürdigt Bild: akg-images/picture-alliance

Bei seinem Verfahren wird ein Motiv auf eine Steinplatte gezeichnet und mittels Presskraft auf Papier übertragen. "Ein Stückchen äußerst schlecht gedruckter Musiknoten aus einem alten Gesangbuch weckten sogleich die Idee, dass ich mit meiner neuen Druckart auch Musikalien weit schöner als bleierne Lettern liefern könnte", schrieb Senefelder später in seinem "Lehrbuch der Steindruckerey".

Plakatkünstler en vogue

Senefelders Erfindung ermöglichte fortan die Massenreproduktion von Plakaten. Zunächst lag diese Aufgabe in der Hand von Druckern und Lithografen. Doch die wurden den wachsenden Qualitätsansprüchen der Kundschaft an die Motive nicht gerecht. Man engagierte zunehmend Künstler. Als Pionier der Plakatkunst gilt der Franzose Jules Chéret, der 1866 seine eigene Lithografie-Werkstatt gründete und in 40 Jahren rund 1200 Plakate schuf. Die Bevölkerung verlieh ihm dafür den Spitznamen "Schöpfer einer Galerie der Straße".

Toulouse Lautrec steht mit Tremolada, dem Assistent des Direktors, neben seinem Plakat für das Moulin Rouge (um 1890)
Henri de Toulouse-Lautrec (links) mit dem Assistenten des Varieté-Direktors vor seinem PlakatBild: Ken Welsh/Design Pics/picture alliance

Ebenso bekannt wurde Chérets Landsmann Henri de Toulouse-Lautrec, der mit seinen Kunstwerken für das berühmte Pariser Varieté Moulin Rouge Plakatgeschichte schrieb. Fast jeden Abend fing er das ausschweifende Nachtleben rund um den Montmartre in seinen Zeichnungen ein.

In Deutschland dominierten um die Jahrhundertwende Jugendstil-Motive. Das Veranstaltungsplakat für das Theaterstück "Gismonda", das die damals weltberühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt zeigt, stammt von Alfons Mucha. Alle öffentlich aufgehängten Exemplare des Plakats wurden innerhalb von kurzer Zeit von Kunstfreunden gestohlen.

Über einer Zigarettenschachtel steht "Manoli"
Schnörkellose Werbung (Deutschland 1910)Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Aufwendig gestaltete Künstlerplakate gibt es heute höchstens noch in Museen oder Theatern, sagt Kurator René Grohnert, denn mit wachsender Konsumlaune seit den 1920er-Jahren wuchs das Angebot an Markenartikeln und damit an kommerziellen Plakaten, die Zigaretten, Parfüm oder Miederwaren bewarben. Statt mit üppigen Jugendstil-Ornamenten wurde jetzt mit Funktionalität geworben: Produkt, Name: fertig.

Angepasst an den Zeitgeist

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wandelte sich das Plakat dann immer wieder: Die Werbung der Zeit wurde stark von Kunstbewegungen und dem Zeitgeist beeinflusst. Mal reduzierter Bauhaus-Stil, mal Eleganz à la Art Déco; mal mit amerikanischem Lebensgefühl mit Petticoat und Elvis-Tolle-Motiven in den 1950ern, mal psychedelisch an die Hippie-Ära angepasst oder provokativ in den 80er-Jahren: Damals wurden Produkte auch schon mal mit Aidskranken oder ölverschmierten Enten beworben.

Doch nicht nur Konsumgüter wurden angepriesen, Plakate hatten auch immer politische Botschaften: Die Nazis nutzen sie ebenso zu Propagandazwecken wie das kommunistische Regime im Ostblock. Die Jugend der 1960er-Jahre (und spätere Generationen) hängte sich Plakate vom Revolutionär Che Guevara an die Wand, es gab Plakate gegen Atomwaffen, den Vietnamkrieg, Umweltverschmutzung und Überbevölkerung.

70er Jahre WG-Zimmer: Matratzen mit Bettzeug auf dem Boden, an den Wanden Plakate von Che Guevara, gegen den Vietnam-Krieg und für das Musical-Hair
Das Lebensgefühl der Jugend in den 1970ern: Che Guevara und Anti-Kriegsplakate waren immer mit von der Partie Bild: Helmut Meyer zur Capellen/imageBROKER/picture alliance

Durch die zunehmende Verbreitung der Massenmedien geriet zwar der gesamte Werbemarkt in Bewegung, vor allem, als das Fernsehen die Produktwerbung direkt ins heimische Wohnzimmer brachte: Das Plakat aber blieb. "Allerdings weniger als Informationsträger denn als Erinnerung an etwas, das man schon mal gesehen hat", sagt Grohnert. "Durch die Wiederholung prägt es sich uns ein."

Plakate wurden und werden bis heute wild in die Gegend geklebt - oder an Litfaßsäulen, die schon 1854 erfunden wurden. Das Fossil unter den Werbeträgern kann sich im 21. Jahrhundert sogar drehen, die Plakate werden von hinten angestrahlt. Doch die Zukunft sehe anders aus, so René Grohnert. "Das Plakat integriert sich in ein Gesamtkonzept: Zum Beispiel wird an einer Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs ein beleuchtetes Werbeplakat, Information und Dachbegrünung in einem Stadtmöbel  zusammengeführt." Im Zeitalter der Digitalisierung gehört das Plakat also längt noch nicht zum alten Eisen.

Die Plakatausstellung "We Want You!" ist bis zum 28. August 2022 im Folkwang Museum Essen zu sehen.

Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur