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Kubiš: "Von Haltung der Taliban enttäuscht"

Gabriel Dominguez4. April 2014

Die UN werden sich in Afghanistan engagieren, "solange die Afghanen es wünschen". Das sagt Ján Kubiš, Chef der Unterstützungsmission der UN in Afghanistan (UNAMA), im Interview mit der Deutschen Welle.

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Jan Kubis (Foto: UNAMA)
Bild: UNAMA

DW: Welches sind die wichtigsten Faktoren für die weitere Entwicklung Afghanistans?

Ján Kubiš: Zunächst ist die erfolgreiche Durchführung der Wahlen am 5. April entscheidend für die Stärkung der politischen und institutionellen Stabilität des Landes. Sodann muss die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung unter Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen vorangetrieben werden. Andernfalls kann Afghanistan keine Selbständigkeit erlangen. Konkret müssen Armutsbekämpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen angepackt werden. Der informelle Wirtschaftssektor muss in reguläre Formen überführt werden, sodass die Privatwirtschaft die Entwicklungshilfe der internationalen Gemeinschaft sinnvoll ergänzen kann.

Welche zukünftige Rolle sehen Sie für die Taliban?

Die Ankündigung der Taliban, dass sie den Wahlprozess sabotieren und die daran Beteiligten angreifen werden, hat mich bitter enttäuscht. Der Ankündigung haben sie bereits mörderische Attentate folgen lassen. Was immer die Extremisten über die Wahlen denken mögen: Es handelt sich dabei um einen zivilgesellschaftlichen Prozess. Die Sabotage der Wahlen steht im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht und untergräbt den Anspruch politischer Legitimität, den die Extremisten für sich geltend machen.

Dabei sind die Wahlen eigentlich im Interesse der Taliban. Denn mit einer neugewählten politischen Führung und neuen Ansprechpartnern an der Spitze des Staates kann der Versöhnungsprozess auf breiter Basis vorangetrieben werden. Ein Durchbruch bei direkten Friedensgesprächen, die zwischen Afghanen alleine stattfinden müssen, ist zwar kurzfristig nicht zu erwarten. Dennoch muss man weiter versuchen, günstige Bedingungen für Verhandlungen zu schaffen.

Für wie wichtig halten Sie es, dass das bilaterale Sicherheitsabkommen mit den USA unterzeichnet wird?

Das Abkommen ist Bestandteil eines strategischen Abkommens, das bereits von Kabul und Washington unterzeichnet wurde, und insofern eine Angelegenheit der beiden Länder. Die Zustimmung, welche die Loja Dschirga im vergangenen November dem Sicherheitsabkommen erteilt hat, zeigt immerhin, dass die Afghanen verstehen, dass sie auch in den kommenden Jahren auf internationale Unterstützung angewiesen sein werden. Die Verzögerung der Unterzeichnung hat die Ungewissheit über den weiteren Weg Afghanistans verstärkt, aber ich bin zuversichtlich, dass es zu einem für beide Seiten zufriedenstellenden Ergebnis kommen wird.

Ist die Truppenstärke von 10.000 Soldaten, die die USA nach 2014 in Afghanistan belassen wollen, ausreichend, um die Stabilisierung des Landes zu gewährleisten?

Das können Militärexperten besser beantworten. Aus meiner Sicht verläuft die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen allen Schwierigkeiten zum Trotz planmäßig. Die örtlichen Sicherheitskräfte haben die Verantwortung im vergangenen Juni übernommen und Armee und Polizei haben die Herausforderung angenommen.

Der von manchen Pessimisten vorhergesagte Zusammenbruch der für die Sicherheit zuständigen Institutionen ist nicht eingetreten. Dennoch wäre weitere westliche Truppenpräsenz in Afghanistan ein starkes vertrauenbildendes Signal, dass die internationale Gemeinschaft sich mittelfristig weiter in Afghanistan engagieren will.

Wie wird die internationale Gemeinschaft konkret die afghanische Regierung und Zivilgesellschaft nach 2014 unterstützen?

Was die Vereinten Nationen betrifft, so sind sie in Afghanistan schon seit Jahrzehnten auf verschiedenen Gebieten aktiv. Auf dieses langfristige Engagement können die Afghanen auch weiterhin zählen, solange sie es wünschen.

Auch die internationale Gemeinschaft in einem weiteren Sinne engagiert sich für ein friedliches und gedeihendes Afghanistan, das zeigt sich schon an den außergewöhnlich hohen Entwicklungshilfezusagen. Gleichzeitig ist dieses Engagement abhängig von einem erfolgreichen politischen Wechsel in Afghanistan und von ernsthaften Bemühungen der Regierung in Kabul um Fortschritte bei guter Regierungsführung, Reformen, wirtschaftlicher Nachhaltigkeit und Bürgerrechten.

Das Rahmenabkommen von Tokio stellt weiterhin die Grundlage für die zivile Entwicklungshilfe dar. Hinzu kommen die auf dem NATO-Gipfel von Chicago im Mai 2012 gemachten Zusagen. Die beiden Vereinbarungen zusammen gewährleisten das internationale Engagement in Afghanistan für die kommenden Jahre.

Hätte die internationale Gemeinschaft Dinge anders angehen können, um bessere Ergebnisse in Afghanistan zu erzielen?

Schuldzuweisungen nützen jetzt nichts. Die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung müssen Lehren aus den vergangenen zwölf Jahren ziehen. Wir müssen uns auf die Zukunft konzentrieren, die die Afghanen nach jahrzehntelangen Konflikten verdient haben. Die UN und die internationale Gemeinschaft sind sich der Notwendigkeit größerer Kohärenz bei ihren Aktivitäten zur Unterstützung Afghanistans bewusst. Innerhalb der UN-Familie versuche ich dafür zu sorgen, dass wir unsere Aktivitäten stärker fokussieren und bündeln. Die Expertise unserer zuständigen Abteilungen muss ins Spiel kommen, um nationale Prioritäten und regionale Initiativen zur Unterstützung Afghanistans besser zu koordinieren.

Der 64-jährige Ján Kubiš ist slowakischer Spitzendiplomat mit großer internationaler Erfahrung. Von 1999 bis 2005 war er Generalsekretär der OSZE, im Anschluss ernannte ihn die EU zu ihrem Sonderbeauftragten für Zentralasien. Nach zweieinhalb Jahren im Amt des slowakischen Außenministers ging Kubiš schließlich nach Afghanistan und leitet dort die UN-Unterstützungsmission.

Das Interview führte Gabriel Dominguez.