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Kornkammer Ukraine: Landwirte in Not

23. Dezember 2022

Die Ukraine war vor dem Angriff Russlands die Kornkammer Europas und vor allem auch für Afrika und Asien. Jetzt brauchen die Landwirte in der Ukraine selbst Unterstützung.

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Deutschland Landwirtschaft l abgeernteten Weizenfeld in Nordrhein-Westfalen
Abgeerntetes Weizenfeld: Der Krieg in der Ukraine belastet die ErnährungssicherheitBild: Martin Gerten/dpa/picture alliance

Als die Ukraine - mitten im Krieg und trotz heftigster Entbehrungen - im November dieses Jahres rund 25.000 Tonnen Weizen an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen spendete, da zögerte der deutsche Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nicht lange und Deutschland übernahm die Transportkosten in Höhe von rund 13,5 Millionen Euro. Özdemir sagte dazu: "Die Ukraine zeigt, dass sie selbst in Zeiten größter Not Verantwortung für die hungernden Menschen auf dieser Welt übernimmt." Der Grünen-Politiker fügte hinzu, mit der Spende könnten rund 1,6 Millionen Menschen allein in Äthiopien einen ganzen Monat lang ernährt werden. 

Deutschland hilft der Ukraine – und sich selbst 

Das war nur eine von vielen Unterstützungsleistungen Deutschlands für die Landwirtschaft in der Ukraine. Zudem stellte Deutschland rund 430 Millionen Euro für die globale Ernährungssicherung zur Verfügung, um Folgen des Krieges, vor allem in den besonders gefährdeten Ländern Afrikas, insbesondere Nordafrika, des Nahen Ostens und in Teilen Asiens, abzufedern. 

Ukraine Weizen l Erster internationaler Gipfel zur Ernährungssicherheit in Kiew l Präsident Selenskyi
Der ukrainische Präsident Selenskj auf dem ersten internationalen Gipfel zur Ernährungssicherheit in Kiew im November 2022Bild: Ukrainian Presidency via ABACA/picture alliance

Abgesehen davon beginnt die deutsche Bundesregierung vorzusorgen und auch den Folgen für die Ernährungssicherheit in Deutschland zu begegnen. Für die Landwirte in Deutschland wurden rund 180 Millionen Euro bereitgestellt, rund 60 Millionen Euro kommen dabei von der Europäischen Union, die für alle Mitgliedsstaaten etwa 500 Millionen Euro aufgelegt hat. Und: Die eigentlich vorgesehene Regelung zum Fruchtwechsel für deutsche Landwirte wird einmalig im kommenden Jahr ausgesetzt. Damit könnten Landwirte in Deutschland auch im Jahr 2023 Weizen nach Weizen anbauen.

Nach wissenschaftlichen Berechnungen könnten damit bis zu 3,4 Millionen Tonnen mehr Weizen erzeugt werden. Und die erstmalig verpflichtende Flächenstilllegung von vier Prozent der Ackerflächen eines Betriebes soll im kommenden Jahr ebenfalls ausgesetzt werden. Stattdessen soll weiterhin eine landwirtschaftliche Erzeugung möglich sein, allerdings nur von Getreide (ohne Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Sojabohnen). Damit könnten etwa 600.000 bis eine Million Tonnen Getreide zusätzlich produziert werden. 

Ukraine: Die Kornkammer Europas 

Im Westen Europas war das vor dem Krieg so kaum bekannt: Die Ukraine ist die Kornkammer des Kontinents, oder war es vielmehr, vor dem Angriff Russland auf das Land im Februar 2022. Bei Weizen, Mais und Gerste zählte die Ukraine zu den Hauptexporteuren. Grund dafür sind die ertragreichen Schwarzerde-Böden in dem osteuropäischen Land, die zu den fruchtbarsten weltweit gehören. So sagt etwa Stefan Meister, Osteuropa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), seit rund zehn Jahren werde der Weltmarktpreis für Getreide im Wesentlichen in der Schwarzmeerregion ausgehandelt: "Was dort exportiert wird, bestimmt maßgeblich den Weltmarktpreis, denn es sind insgesamt mehr als 20 Prozent."

Weizen als Waffe

32 Millionen Hektar umfasst das gesamte Ackerland dort, das entspricht rund 70 Prozent der ukrainischen Fläche oder anders gerechnet einem Drittel der Ackerfläche in der gesamten Europäischen Union. Mit Schiffen über das Schwarze Meer wurden Länder in Asien und Afrika beliefert, aber auch Europa zählte zu den Hauptabnehmern ukrainischer Grundlebensmittel. 2021, also vor Kriegsbeginn, exportierte das Land allein Getreide im Wert von 55,68 Milliarden Euro. 

20 Millionen Tonnen Getreide  

Aber seitdem ist viel geschehen, lange Zeit blockierte der Aggressor Russland den Transport von Grundnahrungsmitteln über das Schwarze Meer. Seit dem 1. August gibt es ein Abkommen, das den Getreideexport wieder ermöglicht, so dass rund zehn Millionen Tonnen exportiert werden konnten. Aber Kritiker bemängeln, dass ein Großteil davon nach Europa geht und die ärmsten Länder etwa in Afrika kaum beliefert werden. 

Und der mittelständischen Landwirtschaft in der Ukraine geht es schlecht, nicht nur wegen der Exportprobleme, sondern natürlich vor allem wegen der Kriegsschäden. Die Angriffe auf die Häfen des Landes führten dazu, dass rund 20 Millionen Tonnen Getreide über Monate nicht verschifft werden konnten.

Ukraine Weizen l Weizenernte bei Kiew
Vor dem Krieg war die Ukraine sehr wichtig für die weltweite WeizenproduktionBild: picture alliance / NurPhoto

Und auch der Versuch, den Export über das Schienennetz nach Westeuropa zu leiten, scheiterte aufgrund der unterschiedlichen Spurweiten. Das hatte extreme Auswirkungen vor allem für kleine und mittlere Landwirtschaftsbetriebe, wie die Hilfsorganisation Help auf ihrer Online-Seite berichtet: Die Ernte von 2021 hatte keine Abnehmer gefunden, wie Help schreibt, und blockierte die Getreidespeicher. Die Folge: kein Einkommen – und somit kein Geld, um die dringend notwendige Sommersaat finanzieren zu können. Durch den Krieg und auch durch mangelndes Futter seien zudem 50.000 Kühe verendet. 

Abkommen verschafft Linderung 

Linderung brachte erst das erwähnte Abkommen zwischen Russland und der Ukraine, das auf türkische Vermittlung Im Juli zustande kam und nach schwierigen Verhandlungen im November um 120 Tage verlängert wurde. Damit wurde der Export über das Schwarze Meer wieder wenigstens teilweise möglich.

Bis Mitte September hatten bereits 167 Getreidefrachter mit rund 3,7 Millionen Tonnen Agrarerzeugnissen das Land verlassen. Davon profitieren in erster Linie jedoch die großen Getreidehändler. Für viele kleine und mittelgroße Landwirtschaftsbetriebe der Ukraine kommt das Abkommen mit Russland aber wohl zu spät: Die Erntebestände, die sie ohne den Krieg schon längst verkauft hätten, drohen bald zu verfaulen.