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Politik

Kommentar: Todeszone Syrien

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
18. August 2019

Der Krieg in Syrien geht offenbar zu Ende. Doch das Land bleibt Herrschaftsgebiet eines von potenten Partnern unterstützten Despoten, meint Kersten Knipp. Das heißt, die Flüchtlingskrise ist noch längst nicht zu Ende.

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Menschenrechteverletzung in der arabischen Welt Symbolbild
Syrisches Folteropfer (2012)Bild: Getty Images/AFP/J. Lawler

13 tote Zivilisten am Freitag, sieben am Samstag: Die Rückeroberung der Provinz Idlib durch syrische Regierungstruppen und ihre Verbündeten schreitet voran, weiterhin unter hohem Blutzoll unbeteiligter, nicht bewaffneter Bürger. Nach UN-Schätzungen sind dort seit Beginn der Offensive im April über 500 Zivilisten getötet worden, rund 300.000 Menschen seien aus der Region geflohen.

Wird Idlib absehbar gefallen sein, hat das Regime von Baschar al-Assad die Macht über die allermeisten Landesteile zurückerobert. Der Krieg wäre zu Ende - die Krise hingegen wird für sehr viele Syrer bleiben. Von einem Regime, das für insgesamt rund eine halbe Millionen Tote verantwortlich ist, in dessen Gefängnissen weiterhin Tausende Menschen gefoltert und ermordet werden, ist eine Staatsordnung nicht zu erwarten, die nur minimalen menschenrechtlichen Anforderungen entspricht. Und auch Assads Verbündete Russland und Iran, beide im eigenen Land die Menschenrechte ebenfalls mit Füßen tretend, lassen für die Zukunft des Landes weiterhin das Schlimmste befürchten.

Wie es in Syrien weitergehen könnte, darauf deutete bereits das neue Immobiliengesetz vom Frühjahr 2018 hin, de facto ein Immobilien-Enteignungsgesetz: Eigentum, auch vor der Gewalt ins Ausland Geflüchtete, mussten innerhalb von 30 Tagen den rechtmäßigen Besitz ihrer Immobilien nachweisen, ansonsten ging ihr Besitz an den Staat. Zugleich mussten sie eine persönliche Sicherheitsprüfung hinnehmen - mit dem Risiko, umgehend verhaftet und eingekerkert zu werden. In zahllosen Fällen brachte der Staat die eigenen Bürger auf diese Weise um ihren Besitz.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
DW-Autor Kersten KnippBild: W. Knipp

Ein Staat verfolgt seine Bürger

Und doch setzt das Immobiliengesetz nur jene Politik fort, die das Assad-Regime im Grundsatz seit seiner Entstehung in den frühen 1970er Jahren praktizierte und deren Brutalität es seit Beginn des Aufstandes von 2011 noch einmal steigerte. Sie richtet sich gegen Regimegegner und alle, die sich nicht ausdrücklich zur Führung in Damaskus bekennen. Laut Lagebericht des deutschen Auswärtigen Amtes (AA) vom November 2018 gelten 1,5 Millionen Syrer in ihrer Heimat offiziell als gesucht - bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 21 Millionen im Jahr 2010. Sie alle müssen damit rechnen, willkürlich verhaftet, gefoltert und ermordet zu werden.

Dies gilt derzeit noch mehr als in den vorhergehenden Jahren, vermag sich Assads Staatsapparat nun, nach Ende der Kämpfe, wieder zu reorganisieren. "Durch den langsamen Rückgang der Kampfhandlungen steigt auch der Einfluss und Zugriff der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste wieder", heißt es in dem AA-Bericht.

Auch die sogenannten zwischen Staat und Aufständischen in mehreren Regionen abgeschlossenen Versöhnungsabkommen bieten keinen Schutz. Bislang retteten sie einigen der ehemaligen Assad-Gegner zwar das Leben, allerdings um den Preis, dass diese ihre Wohnorte verlassen und zusichern mussten, sich dem Regime ohne Vorbehalt zu unterwerfen. Allen Versöhnungsabkommen zum Trotz bleiben die Bürger Syriens Assads Willkür unterworfen.

Versäumnis des Westens

Die westlichen Staaten haben Syrien aufgegeben. Sie haben wenig - zumindest zu wenig - getan, um die Rückkehr eines staatsterroristischen Regimes zu verhindern. Auch haben sie sich dessen Verbündeten nicht entgegengestellt.

Sicher: Von dem Moment an, in dem Assad Russland auf seine Seite zog, konnte Europa in Syrien kaum mehr etwas ausrichten, zumal auch die USA ihr Engagement von Anfang an überschaubar hielten. Doch das ändert nichts daran, dass diese Ohnmacht ihren Preis hat: Die europäischen Staaten werden weiterhin mit syrischen Flüchtlingen zu rechnen haben. Darüber wird die EU noch tiefer in die Krise geraten, ein Umstand, den man in Moskau als willkommenen Nebeneffekt verbucht.  

Eine wirksame Schutzmacht der Menschenrechte ist die westliche Welt nicht einmal mehr auf dem Papier. Despoten, so die bittere Einsicht, hat sie nichts mehr entgegenzusetzen. Syrien bleibt für Millionen seiner Bürger eine Todeszone.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika