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Politik

Polen und der Antisemitismus

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec
9. März 2018

Der polnische Präsident Duda entschuldigt sich für die anti-jüdische Kampagne im März 1968. Eine wichtige, längst fällige Geste. Duda will außenpolitisch kitten, was andere zerschlagen, meint Rosalia Romaniec.

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Polen Warschau 50. Jahrestag Studentenproteste
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Keplicz

Zugegeben, ich war überrascht von der Bitte um Verzeihung, die der polnische Präsident Andrzej Duda an die Juden richtete, die 1968 Polen verlassen haben. Die Geste passt nicht zu der aktuellen Rhetorik aus Warschau. Nicht zu dem verunglückten "Holocaust-Gesetz", das Duda selbst unterschrieben hat. Nicht zu den Worten des Regierungschefs Morawiecki, der von "jüdischen Tätern" sprach. Noch vor wenigen Tagen stritt er die Verantwortung für die antijüdische Hetzkampagne 1968 ab, mit dem Hinweis: Damals habe es kein Polen, sondern nur ein kommunistisches Regime gegeben. Ach so! Ich möchte nicht wissen, wohin es führen würde, wenn andere Länder dieser Gedankenlogik folgen.

Späte Entschuldigung

Angesichts der Vorgeschichte aus den Reihen der polnischen Regierung, wirkt Dudas Bitte um Verzeihung wie ein Versuch der Schadensbegrenzung. "Bitte verzeihen Sie", wandte er sich an die Opfer des März 1968, "verzeihen Sie der Republik und den Polen, dem Polen von damals". Endlich!

Damals, 1968, gab es auch in Polen Studentenproteste gegen das kommunistische Regime. Die Regierung instrumentalisierte sie schnell für ihre Zwecke und sprach von "zionistischen Elementen", die die Revolte gelenkt haben sollten. Die Stimmung kippte. Die in Polen lebenden Juden bekamen schnell zu spüren, dass sie nicht mehr willkommen sind. Antisemitische Stimmungen gab es damals auch in anderen Ländern des Ostblocks, doch in Polen ging man weiter: Zwölftausend polnische Bürger verloren ihre Arbeit und später auch ihre Pässe - weil sie Juden waren. Es waren Holocaust-Überlebende und ihre Kinder, die nach dem Krieg in Polen bleiben wollten. Das Regime machte ihnen klar, dass sie das Land nun verlassen sollen. Ihre Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen haben sie nicht aufgehalten. Sie haben ihnen nicht das Gefühl gegeben, dass sie dennoch sicher sind und bleiben sollen. 23 Jahre nach dem Holocaust - eine politische und gesellschaftliche Bankrotterklärung.

Romaniec Rosalia Kommentarbild App
DW-Redakteurin Rosalia Romaniec Bild: DW

Bis zur Wende 1989 blieb es ein Tabuthema. Danach begann vorsichtig eine öffentliche Debatte über das Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Jetzt reklamieren die polnischen Nationalisten das Thema für sich und statt den Dialog zu fördern, predigen sie: "Keine Kultur der Scham mehr." Erschreckend!

Die versöhnlichen Worte von Duda, der die Juden um Verzeihung bittet, waren längst fällig und sind nach außen eine wichtige Botschaft. Gerade, weil zuletzt so viele verletzende Worte an die ehemaligen Opfer und ihre Nachkommen aus Warschau zu hören waren. Noch vor wenigen Tagen meinte Regierungschef Morawiecki, März 1968 sei für die Polen "ein Grund zum Stolz und nicht zur Scham" - er bezog sich dabei auf die antikommunistischen Studentenproteste. Dennoch wirkte der Satz deplatziert und provozierend.

Der Geist ist raus

Worum es hier wirklich geht: In Polen herrscht der Kampf um die Deutungshoheit der eigenen Geschichte. Die regierende PiS-Partei legt die polnische Geschichte in ihrem pseudo-patriotischen Sinne aus und will sicherstellen, was künftige Generationen von Polen in den Geschichtsbüchern lesen. Dabei lassen sie einen gefährlichen Geist aus der Flasche. Man wird viele Jahre brauchen, bis dieser wieder eingefangen ist.

Der Präsident, der jetzt die versöhnlichen Worte an die Opfer von 1968 richtet, wagt einen Spagat. Außenpolitisch will er das polnische Ansehen retten und bittet um Verzeihung. Innenpolitisch bringt ihm das wenig, also mildert er ab: Die Polen seiner Generation sollten sich nicht für die Taten zu entschuldigen. Denn Duda weiß: Wenn er in zwei Jahren wiedergewählt werden will, braucht er die Mehrheit. Und diese biegt gerade scharf nach rechts ab.

Bei dieser "Ja, aber"-Taktik wird spannend zu sehen sein, ob Duda innenpolitisch überlebt. Seine Geste gilt unabhängig davon schon jetzt als historisch. Denn irgendwann, wenn Polen den Scherbenhaufen zusammenkehrt, wird es froh sein, dass es an Dudas Worte anknüpfen kann.

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