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Nicht die WM, die die arabische Welt verdient

DW Korrespondentin - Dana Sumlaji
Dana Sumlaji
20. November 2022

Wenn sie an die Fußball-WM in Katar denkt, empfindet die in Syrien aufgewachsene DW-Reporterin Dana Sumlaji Stolz, aber auch Scham. Trotzdem will sie die erste Fußball-Weltmeisterschaft in einem arabischen Land genießen.

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Blick ins Stadion vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-WM in Katar zwischen Katar und Ecuador
Begeisterung und Kritik - die WM in Katar sorgt auch in der arabischen Welt für gemischte GefühleBild: AMR ABDALLAH DALSH/REUTERS

Ich war in Dubai, als die FIFA bekannt gab, dass Katar die Fußballweltmeisterschaft 2022 ausrichten wird. Die Ankündigung löste bei mir ein überwältigendes Gefühl der Freude und des Stolzes aus. Meine Kollegen in der Redaktion begannen zu jubeln, weil wir alle dies als einen lange ersehnten Sieg für die arabische Welt betrachteten.

Aber meine Freude währte nicht lange: Drei Monate nach der Bekanntgabe brach in meiner Heimat Syrien ein Krieg aus, der mein Leben, wie das vieler Menschen im Land, auf den Kopf stellte. Jetzt, da die Fußballweltmeisterschaft in Katar beginnt, bin ich mit gemischten Gefühlen zurück. So stolz ich auch darauf bin, dass eine Weltmeisterschaft in einem arabischen Land stattfindet, sehe ich der WM gleichzeitig mit gemischten Gefühlen entgegen.

Die arabischen Fußballfans haben es schon lange verdient, Gastgeber einer WM zu sein. Trotz aller geopolitischen Differenzen und widersprüchlicher Gefühle gegenüber Katar eint die arabische Welt die Freude darüber, dass endlich die größten Fußballstars bei ihnen im Nahen Osten um die wichtigste Trophäe spielen werden.

Immer noch ein Traum, der wahr wird

Selbstverständlich sind nicht alle Araberinnen und Araber von dieser Weltmeisterschaft begeistert. Die LGBTQ-Szene zum Beispiel muss ihre Identität verleugnen, um existieren zu können. Zu meinem Stolz über die WM gesellen sich daher Verbitterung und Scham - Scham auch wegen der Ungleichheit zwischen den Schichten der katarischen Gesellschaft, wegen der Ungleichheit, mit der die Arbeiter tagtäglich konfrontiert sind, wegen der Unterdrückung der Meinungsfreiheit.

DW Korrespondentin - Dana Sumlaji
DW-Autorin Dana SumlajiBild: Privat

Als Journalistin, die im Nahen Osten aufgewachsen ist, habe ich die weit verbreitete Ungleichheit selbst erlebt. Dass ich eine Frau und Syrerin bin, reichte aus, um Opfer der Willkür zu werden, die in diesem Teil der Welt herrscht. Deshalb habe ich mich entschieden, das Land zu verlassen - ein Privileg, das nicht alle Menschen in meiner Lage haben. Aber ich stehe vor einer Entscheidung: Lasse ich zu, dass die hässliche Wahrheit mir die Freude raubt? Oder erlaube ich mir, die Weltmeisterschaft in einem arabischen Land zu genießen?

Die Freude am Fußball wurde mir bereits gestohlen. Ich bin neben dem Abbasiyyin-Stadion aufgewachsen, dem größten Fußballstadion in Damaskus, wo ich später auch als Reporterin arbeiten sollte. Dort wurde meine Leidenschaft für den Fußball geboren. Ich träumte davon, berühmte Mannschaften und Fußballstars in meiner Heimatstadt spielen zu sehen. Als ich nach einem Jahrzehnt des Krieges in dieses Stadion zurückkehrte, brach es mir das Herz zu sehen, dass es sich in eine verlassene Ruine verwandelt hatte, in dem in absehbarer Zukunft wohl kein Fußball mehr gespielt wird.

Für viele arabische Fußballfans wie mich hat der Krieg unsere Träume zunichte gemacht, so wie viele andere Dinge auch. Aber mit dieser Fußballweltmeisterschaft in einem arabischen Land wird am Ende doch noch ein Traum wahr.

Eine willkommene Ablenkung

Dass die Menschen in der arabischen Welt stolz auf diese WM sind, bedeutet nicht, dass sie Katar oder seine Regierung billigen. Wenn man von ihnen keine Kritik an den Ereignissen in Katar oder auch in anderen arabischen Ländern hört, liegt das nicht daran, dass sie mit den Menschenrechtsverletzungen einverstanden sind. Vielmehr haben sie einfach nicht die Freiheit, eine abweichende Meinung zu äußern. Das Turnier hätte auch in einem anderen arabischen Land stattfinden können - wie Ägypten oder Marokko, Nationen mit mehr Geschichte und Leidenschaft für den Fußball als Katar. Aber kein arabisches Land achtet in vollem Umfang die Redefreiheit oder andere Menschenrechte, insbesondere von Frauen und der LGBTQ-Szene.

Zudem hat die FIFA in der Vergangenheit Weltmeisterschaften auch in vielen nicht-arabischen Ländern zugelassen, in den Menschenrechte verletzt wurden - sei es in Italien 1934 während der faschistischen Herrschaft Benito Mussolinis, in Argentinien 1978 zwei Jahre nach einem Militärputsch oder in Russland 2018. Und Korruption hat es innerhalb der FIFA auch schon gegeben, bevor Katar den Zuschlag für die WM 2022 bekam.

Die Weltmeisterschaft gehört der ganzen Welt und sollte daher auch an neuen Orten ausgetragen werden. Ich hoffe nur, dass die Arbeiter, die Menschen, denen ihre Menschenrechte in Katar genommen wurden, nach dieser WM nicht vergessen werden.

Letztendlich ist der Fußball in meinem Leben wie in dem vieler Araberinnen und Araber immer eine willkommene Ablenkung gewesen. Zweifellos fällt es mir schwer, weiter stolz auf diese WM zu sein. Aber das Feiern von Fußball-Weltmeisterschaften betäubt unseren Schmerz, lenkt von hässlicher Politik und Krieg ab und lässt uns vorübergehend die Enttäuschung vergessen, die wir gegenüber unseren Regierungen empfinden. Wenn die WM beginnt, werden die Menschen in der arabischen Welt von allem anderen abschalten und den Fußball genießen - sie haben es verdient.

Dieser Kommentar wurde aus dem Englischen adaptiert.