1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wir müssen reden!

Boehme Henrik Kommentarbild App
Henrik Böhme
4. Januar 2020

Wohl nie zuvor wurde ein ganzes Jahr lang derart intensiv über den Klimawandel gesprochen. Allerdings nicht miteinander, und vor allem: laut. Das muss sich dringend ändern, mahnt Henrik Böhme.

https://p.dw.com/p/3Ugy5
Symbolbild Protest Demonstration Megafon Megaphon
Bild: Fotolia/satori

Die Sache ist verfahren. Die Kontrahenten haben sich ineinander verhakt. Eine kultivierte Debatte ist nicht mehr möglich. Es gibt nur dafür oder dagegen. Gerecht oder ungerecht. Gut oder böse. Dazwischen nichts. Das Ende der Welt ist nah - klar, da ist einfach keine Zeit mehr zum Reden. Da muss gehandelt werden. Allerorten wird der Notstand ausgerufen.

Keine Frage: Das Klima ist wichtig, es geht um schmelzende Gletscher, verdorrte Landstriche, steigende Meeresspiegel, darbende Eisbären. Worum es nie geht: um viele Dinge, die längst passieren, damit eben weniger CO2 in die Luft gepustet wird. Damit Industrieanlagen die Umwelt weniger belasten, Autos weniger Schadstoffe ausstoßen oder gar elektrisch fahren. Das wird allenfalls als "Greenwashing" abgetan, als grünes Feigenblatt.

Was heute schon passiert

Ein paar Beispiele nur, zufällig ausgewählt: Schon vor gut zehn Jahren gab es beim Flachstahlhersteller Salzgitter ein Projekt namens EnergieEffizienz. Seither wurden dadurch eine Million Tonnen CO eingespart und pro Jahr 3300 Terrajoule weniger Energie verbraucht - eine Menge, mit der man 55.000 Haushalte versorgen könnte.

Oder Washington State Ferries: Der zweitgrößte Fährbetreiber der Welt ist dabei, seine Flotte - die bislang jährlich 75 Millionen Liter Diesel verbraucht - auf Batterieantrieb umzustellen. Warum? Weil der Gouverneur des Bundesstaates Washington ein entsprechendes Gesetz erlassen hat. Aber der Chef des Fährbetreibers sagt auch: Man mache das nicht nur, weil es der Gouverneur angeordnet habe. Es sei einfach ein gute Idee, auch wenn man kein Umweltschützer ist. Weniger Lärm, weniger Schmutz und irgendwann spart es Geld.

Immer mehr Unternehmen werden grün

Gerade eben erst, während der jüngsten Klimakonferenz in Madrid, haben sich weitere fast 180 Unternehmen zu anspruchsvollen Zielen verpflichtet, ihre Emissionen zu mindern und bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden. Und das sind beileibe keine kleinen Klitschen, sondern namhafte Konzerne wie der Konsumgüterhersteller Beiersdorf, der weltgrößte Bierbrauer Ambev und die International Airline Group (British Airways, Iberia), der drittgrößte europäische Luftfahrtanbieter. Damit hat sich die Zahl der Firmen, die sich dem Bündnis namens Business Ambition for 1,5˚C - Our Only Future angeschlossen haben, seit seiner Gründung im September praktisch verdoppelt. 

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion
Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Freilich geschehen auch seltsame Dinge, die nicht nur Aktivisten, sondern auch Realisten verzweifeln lassen: Man sehe sich nur das Desaster der deutschen Energiewende an. Zwar hat sich der Anteil neuer Energie an der Stromerzeugung deutlich erhöht, das hat aber auch (nach Zahlen des Bundesrechnungshofes) bislang 160 Milliarden Euro verschlungen. Trotzdem gibt es in Deutschland praktisch keine Solarindustrie mehr und bei der Windkraftbranche sieht es ähnlich düster aus. Deutschland streitet lieber über den Mindestabstand von Windrädern zur nächstgelegen Siedlung, unsere französischen Nachbarn hingegen denken über den Bau von sechs neuen Atomkraftwerken nach.

Was die Klimaaktivisten wirklich wollen

So oder so: Passiert wirklich nichts, wie die Klima-Aktivisten nicht müde werden zu behaupten? Oder ist es nicht doch so, dass Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit längst in vielen Unternehmen angekommen sind? Weil es auch - richtig! - Verkaufsargumente sind? Muss man nicht mal genauer hinschauen, was die Köpfe der Klimabewegung wirklich wollen? Luisa Neubauer zum Beispiel, hierzulande bekannt geworden als eine Art deutsche Greta Thunberg, wenn auch ein paar Jahre älter; oder Carola Rackete, international bekannt geworden als Flüchtlinge aus Seenot rettende Kapitänin der Sea Watch 3, aber eigentlich doch lieber Klima-Aktivisten der Bewegung Extinction Rebellion. Beide Frauen haben Bücher geschrieben, die eine - Rackete - nennt es "Aufruf an die letzte Generation", Luisa Neubauer überschreibt das ihre "Vom Ende der Klimakrise".

In den Büchern geht es zur Sache. Verbote und Strafen regieren. Naturzerstörung soll als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden können. Von der Freiheit des Einzelnen findet sich hingegen nichts. Schließlich könne es man nicht jedem Einzelnen überlassen, für oder gegen Klimaschutz zu sein. Und Carloa Rackete legt per Interview nach: Mit allem, "was wir tun und mit allem, was wir nicht tun, unterstützen wir das aktuelle System". Daher sei ziviler Ungehorsam "sehr notwendig". 

Klar wird, hier geht es um etwas viel Größeres: Es ist der Kampf gegen das bestehende Wirtschaftssystem, es ist der Kampf gegen freie Märkte, gegen den Kapitalismus. Wer immer sich dem entgegenstellt, womöglich anderer Meinung ist, der kann überhaupt nicht im Recht sein. Nur wer für einen radikalen Klimaschutz eintritt, hat die Wahrheit gepachtet und ist einer von den Guten. Wer so vehement für ein Öko-Planwirtschaft plädiert, dem sei ein Blick in die jüngere Geschichte empfohlen. Der desaströse Zustand der Umwelt in der früheren DDR mag als Beispiel genügen, um die Unfähigkeit planwirtschaftlicher Systeme in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu belegen. 

Und was nun?

In diesem - pardon - aufgeheizten Klima ist keine sachliche Debatte mehr möglich. Aber wir müssen darüber reden - offenbar vor allem zwischen den Generationen - wie wir diesen Konflikt lösen können. Die einen mit ihrer Lebenserfahrung, die anderen mit ihrer Ungeduld. Mit Untergangsszenarien, mit dem Gerede vom Ende der Welt, wird das nicht gelingen; es wird auf der anderen Seite die Ablehnung noch verstärken. Dabei brauchen wir die Ideen der jungen Generation, ihre Unbekümmertheit, ihre Offenheit, ihre Neugier. Zeigt uns, dass ihr es besser könnt als wir. Aber bitte nehmt uns auf diese Reise noch ein Stück weit mit.

Boehme Henrik Kommentarbild App
Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58