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Literatur

Fragwürdig, aber richtig

Stefan Dege19. Februar 2016

Der Lyriker Adonis hat den Remarque-Friedenspreis erhalten. Hat einer, der schon vielfach provoziert hat, diesen Preis verdient? Nicht unbedingt, meint Stefan Dege, aber richtig ist die Entscheidung dennoch.

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Deutschland Osnabrück Preisverleihung Adonis
Preisträger Adonis (re.) gemeinsam mit dem Oberbürgermeister von OsnabrückBild: DW/L. Hoffmann

Als Autor schockierender Antikriegs-Romane hat sich Erich Maria Remarque in unser kulturelles Gedächtnis eingeschrieben. So ist die Auszeichnung von Osnabrück weniger eine literarische, als vielmehr eine friedenspolitische. Sie würdigt eine pazifistische Haltung im Sinne Remarques. Hat Adonis also den Remarque-Friedenspreis verdient? Die Antwort lautet: Eher nicht. Dennoch hat die Jury richtig entschieden. Denn die Debatte wirft wichtige Fragen auf.

Zahlreiche anfechtbare Positionen

Worin liegt Adonis' Verdienst um den Frieden? Unbestreitbar ist er der prominenteste Lyriker im arabischen Raum. Umstritten sind seine politischen Haltungen. Diese sind selten friedensstiftend, sondern widersprüchlich und provozierend. Mit Interviews, Essays und offenen Briefen hat sich der 86-Jährige Feinde unter den kritischen Intellektuellen der arabischen Welt gemacht. Immer wieder vertrat er anfechtbare Positionen, die er später als Irrtümer abtat.

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DW-Redakteur Stefan Dege

Mal war er Parteigänger eines faschistischen syrischen Nationalistenführers. Mal lobte er Muhammad al-Wahhab, den Gründer des saudischen Steinzeit-Islamismus, als großen Erneuerer. Mal legitimierte er Bashar al-Assad als den gewählten Präsidenten von Syrien. Mal schrieb er ein Huldigungsgedicht auf Ayatollah Khomeini. Mal musste er sich vorwerfen lassen, zur Fatwa über seinen Schriftstellerkollegen Salman Rushdie geschwiegen zu haben. In diesen Tagen werfen ihm Gegner mangelnde Distanz zum syrischen Regime von Machthaber Assad vor.

Immer wollte Adonis es später nicht so gemeint haben. Er selbst sieht sich als leidenschaftlichen Pazifisten. Auf Kritik reagiert er empört und sieht sich zum Sündenbock gestempelt. Nur die Trennung von Staat und Religion könne die Konflikte der arabischen Welt lösen, sagt Adonis, der alle Parteien im syrischen Bürgerkrieg für gleichermaßen kriminell hält.

Schlaglicht auf die Zerrissenheit der arabischen Welt

Nicht Adonis' ist preiswürdig. Aber die Wahl des Preisträgers und die damit ausgelöste Debatte wirft ein Schlaglicht auf die Zerrissenheit der arabischen Welt - zerissen zwischen Religion und Politik, zwischen Theokratie und Freiheit, zwischen eigener Identität und Abhängigkeit. Es geht auch um die - ökonomisch motivierte - Einflussnahme des Westens im Nahen Osten. Der Pakt der westlichen Demokratien mit autokratischen Machthabern wie zum Beispiel in Saudi-Arabien stinkt zum Himmel. Adonis wird nicht müde, dies anzuprangern. Er positioniert sich massiv gegen alle Parteien im innersyrischen Konflikt - dem Regime von Machthaber Assad ebenso wie mit der religiös unterschiedlich stark vereinnahmten Rebellenszene.

So ist Adonis zwar nicht der richtige Preisträger. Doch der Disput über ihn und die Preisvergabe rechtfertigt die Entscheidung der Jury, macht sie nachvollziehbar und zeitgemäß. Die Jury hat den Finger in die arabische Wunde gelegt, hat sich nicht von ihrem Votum abbringen lassen und allen Vereinnahmungsversuchen widerstanden. Und das ist gut so.

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