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Politik

Die Wahrheit unter Beschuss

Kommentarbild Christina Bergmann PROVISORISCH
Christina Bergmann
25. Dezember 2019

Ehrlichkeit ist ein hohes Gut - aber zurzeit haben Lügen vor allem in den Sozialen Medien Konjunktur. Das ist brandgefährlich, meint Christina Bergmann, und appelliert an uns alle, etwas dagegen zu tun.

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Symbolbild Fake News
Bild: imago/Christian Ohde

Der US-Präsident verbreitet widerlegte Verschwörungstheorien, der britische Premierminister führt die Queen hinters Licht und eine internationale Armee von Trollen hat nur einen Daseinszweck: Desinformation in den Sozialen Netzwerken zu betreiben. Es steht nicht gut um die Wahrheit zum Jahresende 2019.

Joseph Goebbels, der Propagandaminister Hitlers, würde sich die Hände reiben. Musste er noch gezielt Medien gleichschalten und Journalisten verhaften lassen, um die Informationshoheit zu erlangen, haben es die Populisten von heute einfach: Sie twittern und posten einfach unermüdlich Halb- und Unwahrheiten. Ihre Follower teilen den gefährlichen Unsinn zehntausendfach - und wenn nur ein Bruchteil hängen bleibt in den Köpfen der Menschen, dann haben die Demagogen die Nation wieder ein bisschen mehr gespalten, ihre Anhänger ein bisschen fester an sich gebunden. Und der nächste Wahlsieg ist ein Stückchen näher gerückt.

"Wenn du glaubst, was hier steht, solltest Du Deinen Kopf untersuchen lassen"

Wer in den Sozialen Medien wie beispielsweise Facebook etwas über den Rand seines Filterblasentellers hinausschaut, kommt aus dem Staunen nicht heraus. "[US-Demokratin] Nancy Pelosi hat 2,4 Milliarden Dollar aus der Sozialversicherungskasse abgezweigt, um das Amtsenthebungsverfahren [gegen Präsident Trump] zu finanzieren" schreit uns da die Schlagzeile entgegen. Ein Klick reicht, und ich sage der Welt, dass mich das total wütend macht. Ein weiterer Klick, und ich habe die empörende Schlagzeile geteilt. Wie kann die Frau nur den Armen und den Rentnern das Geld wegnehmen!

Kommentarbild Christina Bergmann PROVISORISCH
DW-Redakteurin Christina Bergmann

Dabei reicht ebenfalls nur ein Klick, um auf den Artikel hinter dem Post zu kommen. Und wer hier nur ein bisschen skeptisch ist und genau hinschaut, dem wird schnell klar - das kann nicht nur nicht wahr sein, das IST nicht wahr. Abgelegt ist der Artikel unter der Rubrik "Satire, die dich scharf macht". Und ein Blick aufs Impressum der Webseite offenbart: "Alles auf dieser Webseite ist erfunden. ... Wenn du glaubst, was hier steht, solltest Du Deinen Kopf untersuchen lassen."

Doch es nützt nichts: Der Post wird hemmungslos geteilt und wütend kommentiert, wodurch ihn dank Facebooks Algorithmus nur noch mehr Menschen in ihrem "Nachrichten"feed finden. Es ist zum Verzweifeln. Wie kann jemand solchen Unsinn glauben? 

Weil wir noch nicht gelernt haben, mit einer solchen Flut von Informationen, wie sie in den Sozialen Netzwerken auf uns einprasseln, umzugehen. Weil uns dort niemand sagt, was wichtig ist und was unwichtig, was richtig und was falsch. Alles ist gleich, alles ist in meinem Feed, das Gute und das Schlechte, das Nützliche und das Gefährliche. Und schließlich sind alle Menschen auf Facebook meine "Freunde". Und meinen Freunden vertraue ich.

Medienkompetenz und Gelassenheit für alle

Es wird Zeit, dieses blinde Vertrauen anzuprangern und gegen zu steuern - und zwar mit einer breiten Koalition für die Wahrheit und gegen Desinformation, Fake News und für mehr Medienkompetenz. Erste Anfänge gibt es: Twitter hat in einem ersten Schritt politische Werbung verboten, Facebook und Google zieren sich noch. Doch sie werden nicht umhinkommen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, wenn sie unsere Gesellschaft nicht aus den Angeln heben wollen.

Auch die Deutsche Welle beteiligt sich an einem internationalen Projekt, das den Faktencheck im Internet und den Sozialen Medien zum Ziel hat, zusammen mit der Vermittlung von Medienkompetenz. Und hier sind nicht nur Medienhäuser sondern auch Bildungseinrichtungen gefragt. Das Wissen um Facebooks Algorithmen, manipulierte Bilder und den richtigen Umgang mit den Sozialen Medien gehört in die Schulen und Universitäten, aber auch als Fortbildung an den Arbeitsplatz.

Und letztlich kann jede und jeder einzelne von uns etwas tun. Lasst uns nichts teilen, von dem wir nicht wenigstens kurz gecheckt haben, ob es stimmt. Damit unsere Freunde uns vertrauen können. Und lasst uns die haarsträubenden Geschichten in unseren Feeds ertragen, den Kontakt zu Menschen halten, die der extremen politischen anderen Seite angehören. Schenken wir ihnen Herzchen für ihre harmlosen Witze. Aber weisen wir sie wenigstens ab und zu darauf hin, wenn sie sich gerade wieder einmal über ein modernes Märchen aufregen. Und vor allem: Verzweifeln wir nicht.