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Politik

Der Kampf um die Freiheit ist nie vorbei

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Ines Pohl
9. November 2019

Weltweit ist der Fall der Mauer in Berlin eines DER Symbole für Freiheit. Doch ausgelassene Freude kommt am 30. Jahrestag nicht auf. Das vereinigte Deutschland ringt weiter um eine gemeinsame Identität, meint Ines Pohl.

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Montagsdemonstrationen Leipzig 1989
Durch Demonstrationen vor allem in Leipzig (hier am 10. Oktober 1989) kam das DDR-Regime immer stärker unter DruckBild: picture alliance/Lehtikuva Oy

Wer dachte, dass mit dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung des Eisernen Vorhanges die Zeit von Todesstreifen und befestigten Grenzanlagen vorbei sei, irrte gewaltig. Im Gegenteil: 30 Jahre später erleben Mauern ein weltweites Comeback. Nicht nur an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, an der Grenze zwischen Israel und Palästina, zwischen den Koreas - selbst innerhalb der Europäischen Union werden eilig Zäune errichtet und Grenzkontrollen wiedereingeführt. Umso schöner, so erfreulicher der Blick nach Deutschland.

Großer Vertrauensvorschuss

Getragen von Glasnost und Perestroika, bestärkt vom Mut der Polen und Ungarn, gelang es den Ostdeutschen in einer wahrlich friedlichen Revolution die Mauer, die das Land in Ost und West trennte, einzureißen. Kein einziger Schuss fiel dabei. Kein einziger Mensch wurde verletzt in diesen dramatischen Tagen und Stunden vor und am 9. November 1989. Nur durch den großen Vertrauensvorschuss der internationalen Völkergemeinschaft, angeführt von den USA und unterstützt von Gorbatschows Sowjetunion - nach anfänglichem Zögern dann auch durch Frankreich und Großbritannien - war es innerhalb von nur elf Monaten möglich, das Land auch völkerrechtlich zusammen zu führen. Damit wurde der Grundstein dafür gelegt, dass Deutschland auch als Sozialstaat geeinigt sowie eine gemeinsame Infrastruktur aufgebaut wurde und vieles mehr, was gebraucht wird, um aus zwei sehr unterschiedlichen Teilen einen funktionierenden Staat zu machen.

Die Sehnsucht nach Hoffnung

Kein Wunder also, dass an diesem 30. Jahrestag die Welt wieder einmal auf Deutschland schaut. Vielleicht auch, um sich ein wenig Hoffnung schenken zu lassen in diesen Zeiten, die geprägt sind von Gefühlen der Bedrohung und Unsicherheit, der Auflösung von gewohnten Strukturen.

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DW-Chefredakteurin Ines PohlBild: DW/P. Böll

Dabei ist in Deutschland selbst von Freude oder gar Stolz auf das Geleistete kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil führt das Ringen des Landes mit sich selbst zu politischen Verwerfungen, die das gesamte politische Gefüge der zurückliegenden 30 Jahre aus den Angeln heben. Vor allen in den ostdeutschen Bundesländern ist mit der rechtspopulistischen AfD eine Partei erstarkt, welche die Grundfesten des vereinigten Deutschlands in Frage stellt. Das reicht von der Rolle Europas bis hin zur Einwanderungspolitik und wird dominiert von einem nationalistischen, rassistischen und völkischem Welt- und Menschenbild. Die bisher großen Volksparteien verlieren an Bedeutung, Regierungsbildungen werden immer schwieriger, die viel gepriesene Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit ist - zumindest für den Moment - vorbei.

Nun ist das Erstarken von Rechtspopulisten beileibe kein Phänomen, das auf Deutschland beschränkt ist. Und doch hat es hier spezifische Gründe, die auch etwas mit der Teilung des Landes zu tun haben.

Bis heute wird die Lebensleistung vieler Ost-Deutscher, die erst das Ende der DDR mutig herbeigeführt, dann aber auch zu verkraften hatten und im vereinigten Deutschland völlig neu ankommen mussten, nicht angemessen anerkannt. Diese Ignoranz rächt sich jetzt.

Überwältigende Herausforderungen

Angesichts der allgemeinen Verunsicherung und den enormen Herausforderungen der globalisierten Welt ist Deutschland im 30. Jahr seiner Einheit nun zu einer ganz grundsätzlichen Auseinandersetzung mit sich selbst gezwungen:

Welches Land möchte Deutschland sein?

Ein Land, in dem Juden Angst haben müssen, wenn sie sich in einer Synagoge versammeln, um zu beten?

Ein Land, in dem Politiker, die sich klar gegen rechtsnationales Gedankengut und eine Politik der Ausgrenzung positionieren, Angst um ihr Leben haben müssen?

Will Deutschland ein Land sein, in dem die Zugehörigkeit an der Herkunft oder am Farbton der Haut bemessen wird?

Eine unbelastete, ausgelassene Freude wird an diesem Jahrestag nicht aufkommen unter der Last dieser existenziellen Fragen. Ich wünsche mir für mein Heimatland aber genau deshalb, dass die Tage des Erinnerns Mut machen. Ich wünsche mir, dass wir uns in diesen Tagen des festlichen Gedenkens darauf besinnen, wie unser Land in der Mitte dieses Jahrhunderts sein sollte: durchaus mutig und nicht verzagt. Und fest verankert auf dem Boden unseres Grundgesetzes. In dem Wissen, dass vieles, was dort als unverrückbar festgeschrieben ist, gerade in Zweifel gezogen wird. In diesen Tagen feiern wir den Mut der Vergangenheit. Ich hoffe, wir schöpfen daraus die Kraft für den Kampf um eine gute Zukunft in Freiheit und Gerechtigkeit.

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Ines Pohl Büroleiterin DW Studio Washington@inespohl