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PolitikUkraine

Klitschko: "Wahlen im Krieg würden der Ukraine schaden"

5. März 2024

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ist überzeugt, dass in der Ukraine während des Krieges keine Wahlen stattfinden können. Dennoch kritisiert er im DW-Interview offen die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj.

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Portrait von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko während des Interviews mit der DW
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko im Interview mit der DWBild: DW

Vitali Klitschko, ehemaliger Boxer mit zahlreichen Meistertiteln und einer der führenden Politiker der Ukraine, ist seit zehn Jahren Bürgermeister der Hauptstadt des Landes. Die DW hat mit ihm über seinen Konflikt mit der ukrainischen Regierung, insbesondere mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, über die Gefahr einer Zentralisierung der Staatsmacht und die Zweckmäßigkeit von Wahlen während des Krieges gesprochen.

DW: Herr Klitschko, Anfang Dezember 2023 haben Sie dem deutschen Magazin Spiegel gesagt, Sie würden die Ukraine auf dem Weg in den Autoritarismus sehen. Irgendwann würde sich die Ukraine dann nicht mehr von Russland unterscheiden, wo alles von der Laune eines einzelnen Mannes abhängt. Wer wäre dieser Mann?

Vitali Klitschko: Wir kämpfen dafür, dass die Ukraine ein europäischer Staat wird. Es ist sehr wichtig, die demokratischen Errungenschaften in der Ukraine auch unter Kriegsbedingungen zu bewahren. Man darf auf keinen Fall den Weg der Zentralisierung aller Institutionen beschreiten, dass alle Institutionen der Staatsmacht in denselben Händen sind. Es gibt viele Bereiche, wo es Fragen gibt. Ich möchte, dass meine Worte nicht als Kritik, sondern von allen als guter Rat wahrgenommen werden.

Ist diese Person, der Sie guten Rat erteilen, der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj?

Heute ist die gesamte Staatsmacht zentralisiert und alle Entscheidungen werden von einer Person getroffen.

Das ukrainische Parlament hat einen vorübergehenden Sonderausschuss eingesetzt, um die Wirksamkeit der Behörden in der Stadt Kiew zu untersuchen. Was bedeutet das im Allgemeinen und für Sie als Bürgermeister persönlich?

Dies bedeutet die Fortsetzung des politischen Kampfes im Land. Irgendjemandem missfällt Klitschko, der für Kiew verantwortlich ist, und man will alles Mögliche finden, um... Das ist kurz gesagt ein Mittel des politischen Kampfes.

Irgendjemand - meinen Sie damit das Büro des Präsidenten?

Ohne Abstimmung mit dem Präsidialamt geschieht bei uns leider nichts. Davon bin ich überzeugt. Da gibt es ganz klar eine Aufgabenstellung.

Gleichzeitig sprechen Sie sich dagegen aus, während des Krieges Wahlen in der Ukraine abzuhalten. Parlamentswahlen sollten in der Ukraine im Oktober 2023 und Präsidentschaftswahlen im März 2024 stattfinden. Wie lange kann man in der Ukraine Ihrer Meinung nach Wahlen aufschieben?

Ich bin überzeugt, dass Wahlen nicht abgehalten werden können. Mittlerweile sind neun Millionen Ukrainer im Ausland, ungefähr die gleiche Anzahl an Binnenvertriebenen gibt es in der Ukraine. Mehr als eine Million Ukrainer tragen inzwischen Militäruniformen und verteidigen unser Land. Wie soll man diese Stimmen zählen? Und jetzt, wo wir mit einer externen Herausforderung konfrontiert sind, kann ein interner politischer Kampf das ganze Land zum Einsturz bringen.

Manche mögen Selenskyj, andere nicht. Aber ich finde, dass er eine sehr wichtige Funktion als Präsident der Ukraine ausübt. Als solcher sollte er bis zum Kriegsende diese Funktion ausüben. Erst danach können wir in der Ukraine Parlaments-, Präsidentschafts- und alle anderen Wahlen abhalten.

Wollen Sie für das Amt des Präsidenten kandidieren, wenn sich die Möglichkeit dazu bieten wird?

Es ist ein großer Fehler, jetzt irgendwelche Pläne für die Zukunft zu schmieden. Über Positionen nachzudenken, über irgendwelche politischen Projekte in einem Land nachzudenken, das heute ums Überleben kämpft, ist großer Unsinn. Verzeihen Sie daher bitte, aber Ihre Frage werde ich in dem Moment, wo der Krieg zu Ende ist, mit großer Freude beantworten können.

Sie haben kürzlich in Deutschland an der Münchner Sicherheitskonferenz teilgenommen. Einige Länder haben sich in ihrer Haltung gegenüber der Ukraine in den letzten zwei Jahren kaum verändert. Was man über Deutschland nicht sagen kann. Von 5000 Helmen bis hin zur größten Unterstützung in Europa, zu Plänen zum Bau von Fabriken zur Herstellung von Waffen und so weiter. Wie kam es Ihrer Meinung nach dazu?

Seit Beginn des Krieges habe ich vielen unserer Partner erklärt, was passiert, denn es war ihnen nicht klar. Aber die schrecklichen Bilder aus Butscha, Irpin, Hostomel und aus Mariupol mit Getöteten haben deutlich gezeigt, dass dies nicht nur einfach Krieg, keine Spezialoperation, sondern Völkermord und Terrorismus ist. Es ist wichtig, alles zu tun, um die Russen aufzuhalten. Es geht um Sanktionen, es geht um politische Unterstützung, es geht um wirtschaftliche Hilfe für die Ukraine. Ich möchte nochmals betonen, und das ist sehr wichtig, dass wir heute nicht nur unser Land verteidigen, sondern die demokratische Welt. Wir brauchen Unterstützung, denn in der Ukraine wird über die Zukunft der ganzen Welt entschieden. Heute ist die Welt schwarz und weiß. Ist man für oder gegen den Krieg? Ist man für Demokratie oder Diktatur? Jeder von uns muss diese Frage beantworten.

Das Gespräch führte Roman Huba