Klassik-Weltmeister Deutschland
6. Januar 2020Große Klassiker wie Goethe, Schiller, Kant und Schopenhauer haben dazu beigetragen, dass Deutschland weltweit als Land der Dichter und Denker gilt. Komponisten wie Bach, Haydn, Beethoven und Brahms prägten den Ruf ihrer Heimat als Land der Musikgenies. Dabei gilt Ludwig van Beethoven weltweit als der berühmteste klassische Komponist. Zu seinem 250. Geburtstag 2020 spielen Orchester auf der ganzen Welt seine Werke, vor allem aber in Deutschland.
Die einmalige Dichte der Orchester-, Theater- und Chor-Landschaft und die starke finanzielle Kulturförderung aus öffentlicher Hand machen Deutschland zu einem Mekka der klassischen Musik. "Je weiter ich von Deutschland weg bin, desto mehr steigt die Bewunderung", sagt Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates. "In Brasilien zum Beispiel wird Deutschland als 'Land der Musik' viel stärker wahrgenommen als von unseren direkten Nachbarländern". Der Deutsche Musikrat vertritt als Dachverband für das Musikleben in Deutschland die Interessen von rund 14 Millionen Musizierenden.
Flächendeckende Orchesterlandschaft
Nach Angaben der Deutschen Orchestervereinigung (Stand 2018) gab es landesweit 129 öffentlich finanzierte Orchester, die sich mit ihren rund 10.000 Mitgliedern über die ganze Republik verteilen. Orchester wie etwa die Berliner Philharmoniker, die Sächsische Staatskapelle Dresden oder das Gewandhausorchester Leipzig gehören zu den besten der Welt.
Dabei sind die zahlreichen renommierten Kammerorchester und Spezialensembles für Alte und Neue Musik, wie etwa die Kammerphilharmonie Bremen, Concerto Köln oder das Ensemble Modern noch gar nicht inbegriffen. Ebenso nicht die Nachwuchsensembles wie das Bundesjugendorchester (siehe Artikelbild), die Landesjugendorchester oder die Junge Deutsche Philharmonie.
Braucht man so viele Musiktheater?
Auch in Bezug auf Musiktheater ist Deutschland einsame Spitze: Das Land hat mehr als 80 feste Opernensembles - fast so viele wie im Rest der Welt zusammengenommen. Die meisten der rund 560 Opernhäuser weltweit funktionieren nach dem sogenannten Stagione-Prinzip, das heißt, sie haben keine eigenen festen Ensembles, sondern engagieren ihre Sänger oder ganze Produktionen für eine bestimmte Zeit.
Kritiker fragen immer wieder, ob man denn so viele subventionierte Orchester und Opernhäuser in Deutschland überhaupt brauche. "Es kann gar nicht genug geben", antwortet Christian Höppner vom Deutschen Musikrat. Er plädiert für die kulturelle Vielfalt, bei der jedes Orchester und jedes Theater unverwechselbar sei.
Eine Transparenz, was die Auslastung der Häuser anbelange, müsste es zwar geben, dennoch hält Höppner nichts davon, Programme ausschließlich nach Verkaufszahlen und der Nachfrage des Publikums zu konzipieren. "Wir wollen auch Nachfrage erzeugen und Neugierde für Unbekanntes wecken, auch das halte ich für eine wichtige Aufgabe von Kultureinrichtungen", sagt Höppner im Gespräch mit der DW.
Deutschlands Kulturförderung ist staatlich geregelt
Für diese kulturelle Vielfalt braucht es eine entsprechende finanzielle Förderung. In keinem Land der Welt wird Kultur so stark von der öffentlichen Hand subventioniert wie in Deutschland: Über zehn Milliarden Euro flossen 2019 unter anderem in die Unterstützung von Kulturinstitutionen, darunter über drei Milliarden Euro allein in Musik und Musiktheater.
Der Kulturetat des Bundes betrug 2019 nach eigenen Angaben 1,8 Milliarden Euro, doch im föderalistischen deutschen System tragen auch die Kommunen und Bundesländer in erheblichem Maße zur Kulturfinanzierung bei. Der Anteil des Bundes liegt bei rund 15 Prozent. Fast 50 Prozent der öffentlichen Zuschüsse übernehmen die Kommunen. Hinzu kommen Gelder aus der EU, der Wirtschaft, von Privatpersonen und Stiftungen.
In den USA ist die Kulturförderung dagegen fast gänzlich privat finanziert. In Großbritannien gibt es eine staatliche Grundversorgung, die ungefähr 30 bis 50 Prozent des Bedarfs abdeckt. "Bildung und Kultur sind bei uns öffentliche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung und damit überwiegend öffentlich finanziert", erläutert Christian Höppner. "Private Gelder sind immer mit Interessen verbunden", sagt er. Das könne man zum Beispiel in den USA sehen, wo sich reiche Geldgeber auch bestimmte Programme wünschten. In Deutschland haben die Parlamente zwar die Kontrolle über die Finanzierung, nicht aber über die Inhalte.
Musikfestivals: von Bayreuth bis Donaueschingen
Eine weitere Besonderheit der deutschen Musiklandschaft sind die vielen Festivals. Die Entwicklung ist enorm: Die Zahl der Musikfestivals und Musikfestspiele hat sich in nur drei Jahrzehnten, von 1980 bis 2010 nach Angaben des Deutschen Musikinformationszentrums (MIZ) in Bonn fast vervierfacht und liegt zurzeit bei über 500 Festivals.
Bei fast einem Drittel aller Musikfestivals steht die "E-Musik" ("Ernste Musik") im Mittelpunkt. Die Bandbreite ist dabei immens und reicht von Festivals für zeitgenössische Musik, wie etwa die 1921 gegründeten "Donaueschinger Musiktage", über die Alte Musik bis hin zu Kammermusik-Festivals und solchen, die eine einzelne instrumentale Gattungen in den Mittelpunkt stellen. So etwa das renommierte Klavier-Festival Ruhr oder das Kammermusik-Festival "Spannungen" in Heimbach in der Eifel.
40 Veranstaltungen widmen sich deutschlandweit dem Musiktheater – von den groß angelegten Münchner Opern-Festspielen oder der Ruhrtriennale bis hin zum exotischen Rossini-Festival, das sich im schwarzwälderischen Bad Wildbad dem Belcanto-Fach widmet.
Besucherandrang aus aller Welt
Traditionelle wie neue Festivals erfreuen sich einer steigenden Popularität: 73.000 Besucher aus Europa und Übersee kamen 2019 zum Bachfest nach Leipzig, um die Musik des barocken Meisters an Original-Schauplätzen zu erleben. Die legendärenRichard-Wagner-Festspiele in Bayreuth besuchen über 62.000 Menschen pro Saison. Viele Wagnerianer müssen dabei jahrelang auf eine Eintrittskarte warten, damit sie auf den Grünen Hügel pilgern können. Zu den bedeutendsten und besucherstärksten Klassik-Festivals des Landes zählen auch das Rheingau Musik Festival und das Schleswig-Holstein Musik Festival.
Das Bonner Beethovenfest unter Intendantin Nike Wagner wird anlässlich des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven in diesem Jahr gleich zweimal in Frühjahr und im Herbst stattfinden. Die eigens gegründete Beethoven Jubiläumsgesellschaft BTHVN unterstützt 250 Projekte im ganzen Land und hat dafür 30 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Deutschen, eine musikliebende Nation?
Die Deutschen lieben klassische Musik, glaubt man den Statistiken. Von den knapp 83 Millionen Einwohnern spielen rund 14 Millionen Menschen ein Instrument oder singen in einem Chor. In jedem sechsten deutschen Haushalt werden ein oder mehrere Instrumente gespielt.
Die Warteschlangen bei Musikschulen und Kindertagesstätten mit musikalischem Schwerpunkt seien lang, sagt Christian Höppner. "Es fehlt in der Förderung die Balance zwischen innovativen Projekten und dem Selbstverständnis der musikalischen Bildung." Landesweit gibt es fast 1000 öffentliche Musikschulen, die nach Angaben des Verbandes deutscher Musikschulen von fast 1,5 Millionen Kindern und Jugendlichen besucht werden.
Doch Musikerziehung ist nicht nur Aufgabe von Musikschulen, sondern auch von Kindergärten und allgemeinen Schulen. "Allein in Grundschulen fallen allerdings bereits bis zu 80 Prozent des Musikunterrichts aus", bemängelt Höppner. "Musikalische Bildung muss zum Unterricht genauso selbstverständlich dazu gehören, wie andere Fächer", fordert er. Schließlich sei es wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Beschäftigung mit Musik auch andere kognitive Fähigkeiten fördere.
Der neue Trend: Mitsingkonzerte
Auch wenn nicht alle Deutschen eine musikalische Ausbildung genießen, so hören sie doch gerne Musik. Nach Angaben des Deutschen Musikrats mögen immerhin 33 Prozent der Deutschen gerne klassische Musik. Umfragen in den USA sprechen von 10 bis 17 Prozent, in Großbritannien von rund 15 Prozent. Nur Russland und Japan haben vergleichbar hohe Klassik-Liebhaber-Zahlen vorzuweisen.
Immer beliebter sind in Deutschland sogenannte Mitsingkonzerte, die kleine Restaurants bis hin zu ganzen Fußballstadien füllen. Hier kann jeder mitsingen, egal ob Popsongs, Weihnachtslieder oder Klassik. Im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 wird sicherlich Friedrich Schillers "Ode an die Freude" ganz oben auf den Programmlisten stehen. Ludwig van Beethoven vertonte sie im letzten Satz seiner 9. Sinfonie. Als Instrumentalfassung ist sie seit 1971 Europahymne. Erste Ankündigungen zu entsprechenden Mitsingkonzerten gibt es bereits im Internet.