1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftAfrika

Kanada: Visumskandal um Welt-AIDS-Konferenz

Alexander Matthews
29. Juli 2022

In Kanada findet die diesjährige Welt-AIDS-Konferenz statt. Sie soll der Welt die Chance bieten, "zusammenzukommen". Doch Visumsprobleme halten viele afrikanische Delegierte von einer Teilnahme ab.

https://p.dw.com/p/4Eqz0
AIDS-Aufklärungskampagnen zum Welt-AIDS-Tag
Seit Beginn der HIV/AIDS-Pandemie in den 80ern wurden viele Fortschritte gemachtBild: Saikat Paul/Pacific Press/picture alliance

Philomena Gori hat viel auf sich genommen, um an der 24. Welt-AIDS-Konferenz teilzunehmen, die am Freitag im kanadischen Montreal beginnt. Die alle zwei Jahre stattfindende Veranstaltung versammelt Tausende von Wissenschaftlern, Politikern, Aktivisten und Sozialarbeitern aus der ganzen Welt auf der Suche nach Lösungen für die HIV-Epidemie

Die 32-Jährige arbeitet in Kamerun als Sozialarbeiterin für Menschen, die vom Virus betroffen sind. Sie hat sich Urlaub genommen und bislang etwa 2000 US-Dollar ausgegeben, um sich für die Konferenz anzumelden, eine Unterkunft zu buchen und die für einen Visumsantrag erforderlichen Dokumente zu beschaffen.

Auf der Konferenz hoffte sie, das Wissen zu erwerben und die Beziehungen zu knüpfen, die ihr dabei helfen würden, in ihrem Heimatland Kenia eine HIV-Hilfsorganisation zu gründen. Doch am 22. Juli, 88 Tage, nachdem sie ein Visum beantragt hatte, flatterte die Ablehnung ins Haus. Die Einreise wurde ihr verwehrt und es war nicht mehr genügend Zeit, um Einspruch zu erheben.

Philomena Gori
Philomena Gori hat viel Geld ausgegeben, um an der Konferenz teilzunehmenBild: privat

"Ich bin gerade so enttäuscht und wütend", klagt sie in einem Videotelefonat mit der Deutschen Welle. "Ich habe viel dafür aufgegeben, ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, um teilzunehmen und meiner Gemeinschaft etwas zurückgeben zu können. Hier in Afrika sind die Menschen, die am meisten von diesen Krankheiten betroffen sind, und ich hätte erwartet, dass sie uns mehr Möglichkeiten geben. Ich habe das Gefühl, es liegt daran, dass wir aus afrikanischen Ländern kommen."

Kanadische Behörden unter Druck

Gori ist nicht die Einzige. Die Organisatoren befürchten, dass Hunderte weitere Delegierte aus Afrika, Asien und Südamerika noch immer auf Besuchervisa warten oder ihre Anträge bereits abgelehnt wurden.

Langsam entwickelt sich die Situation zum Skandal. Die AIDS-Konferenz 2022 wird von der International AIDS Society (IAS) organisiert und als Chance angekündigt "die Welt zusammenzubringen, um die Wissenschaft neu zu beleben und anzuwenden". Doch am Tag vor dem offiziellen Beginn der Konferenz veröffentlichte die International AIDS Society eine Erklärung, in der sie sich "tief besorgt wegen der hohen Zahl der durch die kanadischen Behörden abgelehnten Visumsanträge und ausstehenden Entscheidungen" zeigte. "Viele Menschen aus einigen der Länder, die am stärksten von HIV betroffen sind, werden dadurch daran gehindert, nach Kanada einzureisen und an der AIDS 2022 teilzunehmen, darunter auch Mitarbeiter und Führungskräfte der IAS."

Afrikanische Stimmen müssen gehört werden

Laut Weltgesundheitsorganisation leben mehr als zwei Drittel der Menschen, die weltweit mit HIV leben, dem Virus, der AIDS verursachen kann, in Afrika. Wie viele andere ist Sam W. Pionlay besorgt, dass auf einer globalen AIDS-Konferenz so viele Stimmen aus Afrika fehlen.

Sam Pionlay
Sam W. Pionlay gehört zu den eingeladenen Delegierten, denen ein Visum verweigert wurdeBild: privat

Der 26-Jährige stammt ursprünglich aus Liberia, studiert jedoch in Marokko IT. In seiner Heimat setzt er sich noch immer für junge Menschen, auch solche mit HIV und AIDS, ein. Dank einer Einladung von der IAS und mit finanzieller Unterstützung einer Kirche im US-Bundesstaat Delaware, hoffte er, zur Konferenz reisen zu können und einen Vortrag über Gewalt und HIV-Prävention für junge Menschen und Sexarbeiter zu halten.

Am 19. Juli erhielt er den abschlägigen Bescheid seines Visumsantrags. In einem Brief begründeten die kanadischen Behörden ihre Entscheidung damit, dass sie nicht überzeugt seien, dass er Kanada am Ende seines Besuchs wieder verlassen und nach Marokko zurückreisen würde.

"Es macht einfach keinen Sinn", sagt Pionlay zur Deutschen Welle. "Meine Arbeit hilft jungen Menschen hier in Afrika. Nächstes Jahr schließe ich mein Studium ab. Warum sollte ich in Kanada bleiben?" Und er fügt hinzu: "Die Konferenz dieses Jahr hätte eine Gelegenheit für die Afrikaner sein sollen, teilzunehmen. Ich bin wirklich von Kanada enttäuscht. Ich bin frustriert."

Kanada "eine schwierige Wahl"

Die Probleme mit den Visa haben dazu geführt, dass die Wahl von Kanada als Veranstaltungsort kritisiert wird. David Ndikumana, geschäftsführender Direktor der WEKA Organisation, die LGBTQ-Minderheiten und Menschen mit AIDS in der Demokratischen Republik Kongo unterstützt, ist der Meinung, dass solche Konferenzen in Ländern stattfinden sollten, in denen die Hürden für die Einreise niedriger sind.

David Ndikumana
David Ndikumana ist unzufrieden mit der Wahl von Kanada als VeranstaltungsortBild: privat

Seine Organisation erhielt zwei Einladungen für die Konferenz, hat jedoch noch keine Rückmeldungen zu den Visumsanträgen erhalten. "Für mich ist das, was Kanada tut, eine Form der Diskriminierung", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Seine Gruppe schrieb einen Brief, in dem sie fragten, warum diese internationale Konferenz nur in Kanada abgehalten wird. "Warum sind nicht auch andere Länder möglich?", fragt er. 

Ken Monteith ist Generaldirektor der AIDS-Hilfsorganisation COCQ-SIDA in Quebec. Auch er sieht Probleme mit dem Veranstaltungsort: "Kanada scheint in dieser Frage wirklich eine schwierige Wahl zu sein", bestätigt er in einer E-Mail. "Wir müssen uns bewusst sein, dass es Gruppen gibt, für die es schwierig ist, Visa für viele Länder des Nordens und Südens zu erhalten."

IAS-Präsidentin Adeeba Kamarulzaman erläutert, dass die Wahl auf Kanada fiel, nachdem Verhandlungen mit einem Land mit "mittlerem Einkommen" abgebrochen wurden, weil versucht worden war, Einfluss auf das Programm der Konferenz zu nehmen. "Verzögerungen bei der Visumszusage oder abgelehnte Anträge machen es schwierig für uns, eine inklusive Konferenz abzuhalten, die die Gemeinschaften, die am meisten von HIV betroffen sind, angemessen repräsentiert. Das Organisationskomitee der Konferenz hat seine Bedenken an die höchsten Ebenen kommuniziert, so dass möglichst viele der Menschen, die an AIDS 2022 teilnehmen wollen, dies auch tun können", schreibt sie der Deutschen Welle. 

Kanada hat Verständnis für "Enttäuschung"

In einer E-Mail an die Deutsche Welle versichert die Pressesprecherin des kanadischen Ministeriums für Einwanderung, Flüchtlinge und Staatsangehörigkeit (IRCC), Aidan Strickland, dass Anträge aus der ganzen Welt "gleich und nach den gleichen Kriterien" bewertet würden, und fügt hinzu: "Wir verstehen die Enttäuschung, die manche Antragssteller fühlen, wenn sie ihr Visum nicht rechtzeitig für die Welt-AIDS-Konferenz erhalten. Das IRCC hat alle erforderlichen Schritte unternommen, um die Bearbeitung der Anträge zu beschleunigen und Reisen zu dieser Veranstaltung zu ermöglichen."

Strickland weist außerdem darauf hin, dass das IRCC 91 Prozent aller eingegangenen Einträge bearbeitet habe. Unabhängig davon, ob diesen Anträgen stattgegeben wurde oder sie abgelehnt wurden. Die Bearbeitungszeit für einen Antrag könne außerdem unterschiedlich lang ausfallen.

"Wenn es in Afrika stattfindet, werde ich da sein"

Trotz der Aufregung um die Visaerteilung sind die Hoffnungen groß, dass die Konferenz zu verbesserten Lösungen im Kampf gegen HIV und AIDS führen wird - insbesondere in Anbetracht der durch die Corona-Pandemie verursachten Unterbrechung. Delegierte, die nicht persönlich vor Ort sind, haben die Gelegenheit, an bestimmten Veranstaltungen online teilzunehmen.

Philomena Gori hat vor, einige der Veranstaltungen online zu besuchen. Sie plant, ihre Hilfsorganisation so bald wie möglich zu gründen. Und sie hofft, bald an einer ähnlichen Konferenz näher der Heimat teilnehmen zu können. "Wenn es in Afrika stattfindet, werde ich da sein", sagt sie. 

Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.