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Politik

"Journalismus ist in Serbien unerwünscht"

Darko Janjevic
23. April 2019

In Serbien ist kritischer Journalismus nicht gern gesehen, sagte die preisgekrönte Reporterin Andjela Milivojevic der DW. Unabhängige Journalisten würden öffentlich als "Verräter" abgestempelt.

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CINS Serbien
Bild: DW/S. Kljajic

Serbische Oppositionelle beschuldigen Präsident Aleksandar Vucic, zu starken Einfluss auf die Medien im Lande auszuüben. Die DW sprach mit der preisgekrönten Reporterin Andjela Milivojevic vom Serbischen Zentrum für Investigativen Journalismus (CINS) über Massenmedien unter staatlicher Kontrolle.

Deutsche Welle: Reporter ohne Grenzen (RoG) hat Serbien als "unsicher" eingestuft. Investigative Journalisten sähen sich "aggressiven Verleumdungskampagnen" ausgesetzt. Wie beurteilen Sie die Pressefreiheit in Serbien?

Andjela Milivojevic: Ich denke, RoG hat Recht. Serbien ist ein unsicheres Land für Journalisten. Und nicht nur das: Journalismus ist hier sogar unerwünscht. Es gibt zwei große Probleme. Eines ist, dass Journalisten oft angegriffen werden. Der schlimmste Vorfall war, als das Haus eines Belgrader Journalisten in Brand gesetzt wurde. Das andere Problem ist, dass Journalisten jedes Mal ignoriert oder als Feinde bezeichnet werden, wenn sie Kritisches gegenüber der Regierung schreiben.

Die investigative Berichterstattung war auch früher unter keiner Regierung in Serbien wirklich beliebt. Ist das tatsächlich unter Präsident Vucic so anders?

Es scheint so, als wäre diese Regierung aggressiver. Sie scheut nicht vor Kampagnen gegen Journalisten zurück, veröffentlicht Fotos von unseren Redakteuren oder Führungskräften in der Boulevardpresse, bezeichnet sie als unerwünschte Personen, die den Präsidenten hassen. Es fühlt sich so an, als würden wir Journalisten ständig als eine unerwünschte Gruppe in der Gesellschaft wahrgenommen, als eine Gruppe, die am besten gar nicht existieren sollte.

Man hört oft, dass die Regierung die Medien fest im Griff hat. Wie ist es möglich, dass ein solches Maß an Kontrolle aufrechterhalten wird?

Das gelingt vor allem durch den öffentlich-rechtlichen Sender. Er ist finanziell - und in jeder anderen Hinsicht - vom Staat abhängig. Dazu kommt noch, dass auch andere landesweite Fernsehsender auf der Seite der Regierung stehen. Sie halten alle Informationen zurück, die für die Regierung nicht positiv sind.

Wir haben in Serbien zwei Realitäten: diejenige, die von den wichtigsten Medien präsentiert wird, und die reale, über die Online-Portale und einige unabhängigen Medien berichten. Diese Realität erreicht aber kein großes Publikum.

Jedes Jahr schotten sich die Institutionen des Staates weiter ab und weigern sich, Informationen zu liefern. Das ist für sie eine Möglichkeit - nicht, um uns zu kontrollieren, sondern um unsere Arbeit zu sabotieren. Eine andere Methode, die auch ständig angewandt wird, ist, dass sie nicht mit uns reden. Es gibt eine ganze Reihe von Politikern, die sich nie vor den sogenannten "unerwünschten Medien" äußern wollen.

Haben Sie selbst wegen Ihrer Arbeit Probleme?

Vor einigen Jahren wurde unsere Website gehackt und ein Artikel entfernt. Danach stellten wir fest, dass uns einige Leute seit mehreren Tagen verfolgt hatten. Das meldeten wir der Polizei. Glücklicherweise gab es keine tätlichen Übergriffe, aber wir wurden ständig von großen Medien ins Visier genommen und als Staatsfeinde bezeichnet, als Menschen, die die Regierung hassen.

Milivojevic (zweite von links) gehörte zu einem Team, das über Korruption und organisierte Kriminalität berichtete
Andjela Milivojevic (2.v.l.) gehörte zu einem Team, das über Korruption und organisierte Kriminalität berichteteBild: CINS

Ein serbisches Internetportal bezeichnete kürzlich die DW-Korrespondentin Sanja Kljajic als eine Journalistin, die Serbien in einer Dokumentation über albanische Frauen "entehrt" hatten. Diese Woche wurde Slobodan Georgiev, den Leiter des "Balkan Investigative Reporting Network""(BIRN), in einem Online-Video "Verräter" genannt. In ähnlicher Weise wurden auch die unabhängigen Plattformen CINS und KRIK attackiert. Wie oft finden diese Angriffe statt und wie groß ist ihr Einfluss?

Dieses neueste Video fanden wir alle sehr verstörend. Es erklärt Georgiev ganz offensichtlich für unerwünscht und schlecht aus der Perspektive der Regierung - unverzeihlich aus meiner Sicht.

Das ist die Ebene, auf der sie uns angreifen: Sie verunglimpfen uns als Junkies oder sagen - wie im Fall von Sanja -, dass wir das serbische Volk verraten, wenn wir über albanische Frauen schreiben. Diese Dinge geschehen immer wieder. Ich finde das unerträglich, vor allem, weil sich - soweit ich weiß - niemand von der Regierung bisher davon distanziert hat.

Westliche Länder unterstützten unabhängige Medien in Serbien mit viel Geld. Gleichzeitig zögern westliche Regierungschefs, das Thema Pressefreiheit gegenüber der serbischen Regierung anzusprechen, die sich als proeuropäisch präsentiert. Welche Art von Unterstützung wünschen Sie sich von EU-Politikern?

Westliche Politiker könnten einen Blick auf die Realität in Serbien werfen, anstatt nur auf den EU-Beitrittsvertrag Serbiens zu schauen, oder auf die Gesetze, die verabschiedet, aber nicht umgesetzt werden. Tatsächlich treten Gesetze in Serbien nicht in Kraft und gelten nicht für alle. Wir können die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass Journalisten ständig zensiert werden.

Wir fordern klare Unterstützung. Wir fordern, dass gesagt wird, dass unsere Politiker und Regierung die Medien anders behandeln sollten, als sie es derzeit tun. Es ergibt politisch gesehen keinen Sinn, uns mit Spenden am Leben zu halten, wenn die Bürger uns nicht wahrnehmen können. Und das können sie nicht, weil die großen Medien unter Kontrolle stehen. Wir bewegen uns weiter im Kreis, und eines Tages wird dieser Kreis verschwinden.

Andjela Milivojevic arbeitet als investigative Reporterin in Belgrad. Seit 2011 arbeitet sie mit CINS zusammen. Sie gehörte zu dem Team, das den Europäischen Pressepreis 2017 für eine Reihe von Artikeln über Korruption und organisierte Kriminalität in Serbien erhielt.

Das Gespräch führte Darko Janjevic