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Musik

Johann Sebastian Bach im Techno-Tempel

Sertan Sanderson jh
11. November 2019

"Bach ist Techno" - diesen Beweis will der international bekannte deutsche DJ Marc Romboy antreten. Er hat dem Barock-Komponisten eine elektronische Frischzellenkur verpasst.

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Kölner Philharmonie Romboy Orchestra
Bild: DW/S. Sanderson

Populäre elektronische Musik hat viele Formen - vom gefälligen Hintergrund-Beat für den entspannten Sonntagnachmittag bis hin zu den unerbittlichen Bässen, die Technoclub-Besuchern den Puls beschleunigen. Doch klassische Musik kommt in diesem Universum aus Synthesizern, Samplern und Soundkarten so gut wie gar nicht vor.

Noch weniger scheinen die Größen der Kammermusik wie etwa Johann Sebastian Bach in dieses Bild zu passen. Schließlich komponierte der seine Meisterwerke vor über 300 Jahren. Doch vielleicht ist es gerade die mathematische Präzision, mit der Bach komponierte, die seine Musik für moderne Re-Interpretationen prädestiniert.

"Techno-Bach" hat Potential, es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand dieser klassischsten aller klassischen Musik mit einem elektronischen Mindset annimmt. Dieser Jemand ist der deutsche Musikproduzent und DJ Marc Romboy.

Bach trifft Techno

Techno-Tempel 2.0

Romboy ist in der elektronischen Musikszene international bekannt. Seit fast 30 Jahren im Geschäft hat er alles gesehen, gehört und gemacht - und bleibt doch immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen.

Seine Bach-Interpretation ist von Verehrung, ja Ehrfurcht geprägt - das ist spür- und vor allem hörbar. Seine Show "Reconstructing Bach" wurde zuletzt nicht etwa in einem Berliner Techno-Tempel, sondern in der Kölner Philharmonie gezeigt.

Die minimalistisch gehaltene Bühne schuf Raum für eine Atmosphäre, die vom nötigen Ernst und gleichzeitig unmittelbarer Direktheit getragen war - ganz wie in den gotischen Kathedralen, mit denen Bach im Allgemeinen assoziiert wird. Das bunte Bühnenlicht unterstrich die Wärme und Dramatik dieser intimen Musik - wie Sonnenstrahlen, die durch buntes Kirchenglas schimmern.

Miki Kekenj  spielt Geige
Miki Kekenj schätzt die Detailfülle elektronischer Tanzmusik Bild: DW/S. Sanderson

Eine kleine Gruppe von Musikern unter Leitung des Geigers Miki Kekenj begleitete die Beats und Rhythmen, die Rombay seinem Equipment entlockte. Die gewagte Behauptung "Bach ist Techno" - sie wurde eingelöst.

Der erfahrene DJ hofft, dass seine Interpretation dem 1750 gestorbenen Star der Barockmusik gefallen hätte: "Ich persönlich glaube, dass Bach über unsere Arbeit verblüfft gewesen wäre. Wenn man seine alten Kompositionen studiert, merkt man schnell, was für ein wacher und offener musikalischer Geist Bach war."

J.S. Bach am Mischpult

Ob dies Bach nun ge- oder missfallen hätte, bleibt selbstverständlich Spekulation. Aber die Reaktionen des Publikums zeigen deutlich, dass die Zeit reif war für diese Verbindung klassischer und elektronischer Musik.

Zwar haben schon viele Musiker sich daran gewagt, Klassikklänge zu House- und Techno-Beats zu sampeln, wenige sind aber so weit gegangen wie Romboy mit seinem kompromisslosen Anspruch: Er betont die klassische Musik so stark, dass sich die Techno-Musik in der Philharmonie kein bisschen unnatürlich anfühlt - ganz im Gegenteil.

Büste Johann Sebastian Bachs
Was würde wohl Bach zu dem elektronischen Ansatz sagen? Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Romboys eigenes Interesse für die Klassik kam tatsächlich über elektronische Umwege. Er  hat weder Instrument noch Notenlesen gelernt. "Ich wollte nie zur Musikschule. Ich wollte keine Blockflöte lernen. Mein Weg zur Musik führte über das Sammeln. Mit meiner Sammlung wurde ich zum DJ. Und meine Tätigkeit als DJ weckte irgendwann mein Interesse für die klassische Musik", erklärt Romboy der DW seinen Werdegang. "Die klassische Musik ist wie eine große Schatzkiste. Um sie wirklich zu erschließen, bräuchte ich allerdings wohl drei Leben."

Barock, Impressionismus und mehr

Bevor er sich Bach widmete, hatte Romboy zusammen mit Kekenj bereits ein anderes Techno-Klassik-Projekt realisiert. Der gewichtige Komponist hierbei: Claude Debussy. Nach Impressionismus und Barock steht als nächstes eine musikalische Reise mit Igor Strawinsky auf dem Plan.

Der Geiger Miki Kekenj ist sich sicher, dass sich die komplexen Rhythmen Strawinskys für eine Techno-Neuinterpretation eignen: "Wie machen das so: Wir nehmen eine kleine Sequenz und arrangieren sie für einen Beat, einen Rhythmus", erklärt er. "Oder wir machen das Gegenteil und nehmen eine Melodie auseinander und verfremden sie. Es gibt so viele Möglichkeiten, wir können so viel anstellen!"

Auch Rombay kann die Arbeit mit Strawinskys Musik kaum erwarten. Als er Strawinskys Feuervogel erwähnt, beginnen die Augen der beiden zu strahlen. Sie haben noch viel vor.

In 80 BPM um die Welt

Wenn sich Marc Romboy nicht gerade mit klassischer Musik beschäftigt, tritt er rund um den Globus in Clubs auf. Am Vorabend des Konzerts in der Kölner Philharmonie hat Romboy im bekannten Berliner Club "Watergate" aufgelegt. Von Argentinien über den Libanon bis nach Südafrika hat er die ganze Bandbreite der elektronischen Musik am eigenen Leib erfahren.

Aber wo auch immer es ihn hin verschlägt, die Leute scheinen überall das Gleiche zu suchen: "Sie wollen friedlich leben, eine Familie haben und ab und zu eine Nacht durchtanzen", so Romboy. "Das ist überall auf der Welt das Gleiche, und das ist wundervoll."

Nicht nur Romboy reist um die Welt, auch seine Musik. Einige seiner Tracks haben es weltweit in die Charts geschafft, besonders in den 1990ern und Anfang der 2000er Jahre. Einen solchen Erfolg erhofft er sich auch von seiner Zusammenarbeit mit Miki Kekenj. Dass Techno-Bach die Menschen erreicht - und zwar nur auf dem Dancefloor.