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Jeder dritte Ostdeutsche wünscht sich einen Führer

28. Juni 2023

Eine aktuelle Studie zeigt: in Ostdeutschland sind Muslimfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit und Nationalchauvinismus mehrheitsfähig. Auch Antisemitismus ist stark verbreitet.

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Deutschland, Zwickau | Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai
Nicht nur Neonazi-Aktivisten wie hier am 1. Mai in Zwickau vertreten rechtsextreme PositionenBild: Sebastian Willnow/dpa/picture alliance

Rechtsextreme Aussagen finden in Ostdeutschland besonders viel Zustimmung. Das ist das Ergebnis einer groß angelegten Studie der Universität Leipzig zu rechtsextremen Einstellungen in den ostdeutschen Bundesländern. "Wir beobachten ein ausgeprägtes Fremdeln mit der Demokratie", so die Macher der Studie um den Sozialpsychologen und Soziologen Oliver Decker. Nicht einmal die Hälfte der Menschen ist den Ergebnissen zufolge mit dem Alltagserleben in der Demokratie zufrieden. 

Insgesamt haben die Studienmacher über 3.500 Menschen in fünf Bundesländern befragt: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Hier lebt rund ein Fünftel der deutschen Bevölkerung. Die Ergebnisse sind politisch brisant: Rund die Hälfte der Befragten fordert einen Einwanderungsstopp für Muslime. Und fast 70 Prozent unterstützen die ausländerfeindliche Aussage, dass Ausländer nur nach Deutschland kommen, um den Sozialstaat auszunutzen. Auch Antisemitismus ist stark verbreitet: fast jeder dritte Befragte sagt, dass der Einfluss der Juden zu groß sei.

AfD attraktiv für Rechtsextreme

Die politischen Einstellungen haben auch Auswirkungen auf das Wahlverhalten: "Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass extrem-rechte Parteien mit ihren ideologischen Angeboten zahlreiche Anknüpfungspunkte in die Breite der Bevölkerung haben", so die Macher der Studie. "Unter den Anhängern der AfD finden sich die meisten Menschen mit rechtsextremen Einstellungen."

Demonstration der AfD für Energiesicherheit und Inflationsschutz
Profitiert von rechtsextremen Einstellungen: "Alternative für Deutschland", AfDBild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die Alternative für Deutschland, AfD, ist in der Region besonders erfolgreich. Gerade erst hatte sie zum ersten Mal in der Parteigeschichte eine Kommunalwahl in Thüringen gewonnen und stellt dort erstmals einen AfD-Landrat. Und Meinungsforscher rechnen ihr Chancen aus, im kommenden Jahr gleich drei wichtige Landtagswahlen im Osten zu gewinnen. Die Partei punktet seit Jahren mit aggressiven und teils rassistischen Kampagnen gegen Einwanderer, Muslime und die politischen Gegner. Dabei hat die AfD den Studienergebnissen zufolge ihr Potential in Ostdeutschland noch nicht einmal ausgeschöpft: denn viele potentielle Wähler zählen bislang noch zum Lager der Nichtwähler.

Politischen Einfluss auf Landesebene hat die AfD bislang nur indirekt: alle anderen Parteien lehnen eine Zusammenarbeit ab. Die AfD wird wegen ihrer radikalen Aussagen vom Verfassungsschutz, dem deutschen Inlandsgeheimdienst, als rechtsextremer Verdachtsfall geführt. Teile der Partei und ihres Umfeldes gelten sogar als "gesichert rechtsextrem" . Die Partei fordert einen radikalen Gesellschaftsumbau und droht immer wieder mit einschneidenden politischen Maßnahmen.

Wunsch nach autoritärem Staat

Dass die Studienmacher Ostdeutschland untersuchen, liegt an der neueren deutschen Geschichte. Dieser Teil des Landes war bis zur deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 ein eigener totalitärer Staat: die kommunistische DDR-Diktatur. Der gesellschaftliche Umbruch in den 1990er Jahren führte in den fünf ostdeutschen Bundesländern zu Massenentlassungen, hoher Arbeitslosigkeit und massiver Abwanderung der Bevölkerung. Begleitet wurde der Umbruch von einer Welle der Gewalt gegen Teile der Bevölkerung. Rassistische Pogrome flammten über viele Jahre in der Region immer wieder auf - und auch heute verüben Rechtsextremisten regelmässig Gewalttaten.

Warum aber sind rechtsextreme Einstellungen in Ostdeutschland besonders verbreitet? Der Hauptgrund liegt laut den Ergebnissen der aktuellen Studie nicht in der DDR-Geschichte der Region. Vielmehr habe sich eine "Verschwörungsmentalität" ausgebreitet und der Wunsch nach "autoritärer Staatlichkeit". Eine Mehrheit der Befragten teilt mittlerweile die Sehnsucht nach einem "starken Mann" oder einer "starken Partei". Entsprechend verbreitet sind sogenannte "Neo-Nationalsozialistische-Ideologien", die sich an die NS-Diktatur unter Adolf Hitler anlehnen: 33 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu: "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert." Und fast ein Viertel der Befragten sagt, dass der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte.  

Deutschland Ramadan | Berlin Sehitlik-Moschee
Die Mehrheit der fünf Millionen Muslime in Deutschland lebt im Westen - Muslimfeindlichkeit erfährt im Osten des Landes besonders große ZustimmungBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Untersucht haben die Forscher auch, ob sich die Einstellungen über die Jahrzehnte verändert haben. Denn immer wieder hat es in Deutschland nach rassistischen Morden und Hetzkampagnen große gesellschaftliche Debatten gegeben. In vielen Orten, auch in Ostdeutschland, gründeten sich Bürgerinitiativen zur Unterstützung von Flüchtlingen und für gesellschaftliche Vielfalt. Die Ergebnisse der Wissenschaftler sind dabei ernüchternd: die politischen Einstellungen scheinen in Ostdeutschland seit dreißig Jahre relativ stabil zu sein. Rechtsextreme Einstellungen haben nicht zugenommen - halten sich aber auf einem konstant hohen Niveau. Das scheint eine Erklärung für die guten Wahlergebnisse der AfD dort zu sein.

Dass sich rechtes Gedankengut so konstant hält im Osten Deutschlands, ist für die Studienmacher von der Universität Leipzig alarmierend. Denn das Ausmaß an rechtsextremen Straftaten, wie zum Beispiel Brandstiftungen auf Asylbewerberunterkünfte belege, dass antidemokratische Ressentiments im Alltag zu Taten führten.

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Hans Pfeifer Autor und Reporter