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GlobalisierungBulgarien

Bulgariens Bergleute fürchten das Ende der Kohle 

Ashira Morris
10. November 2021

Auf Druck der Europäischen Union hat sich Bulgarien endlich zum Kohleausstieg verpflichtet. Doch die Bergleute befürchten, dass das Land es versäumt hat, einen Übergang zu umweltfreundlicheren Arbeitsplätzen zu planen.  

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Minenarbeiter bei der Beseitigung von Trümmern über Tage  
Arbeiter in der Braunkohlemine Mini Maritsa Iztok in Bulgarien Bild: Nikolay Doychinov/DW

Auf den ersten Blick wirkt das Tagebaugebiet Mini Maritsa Iztok so karg und leer wie die Oberfläche des Mondes, verwaist bis auf die riesigen Maschinen, die systematisch Braunkohle aus dem Boden fräsen. Das mit einer Fläche von 240 Quadratkilometern größte Kohlebergwerk Bulgariens beliefert die nahe gelegenen Kraftwerke in der Region Stara Zagora, wo etwa 30 Prozent des nationalen Stroms erzeugt wird. 

Bei näherem Hinsehen jedoch ist die Landschaft von Hunderten von Arbeitern bevölkert. Sie schuften in 12-Stunden-Schichten, bedienen Bagger, fahren Frontlader und stehen bereit für Reparaturen an der Elektrik. Es sind Männer wie der 40-jährige Yordan Mitkov, verheirateter Vater von zwei Kindern, der seit sieben Jahren im Tagebau arbeitet und den Boden abträgt, um Braunkohle freizulegen. 

Dieser Job war zwar nicht Mitkovs Kindheitstraum, aber die Bezahlung ist gut: Laut dem bulgarischen Statistikamt liegen die Durchschnittsgehälter im Bergbau auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Finanzsektor. Allerdings ist Mitkov sich nicht sicher, wie lange Kohlearbeiter wie er noch werden arbeiten können. "Jeder macht sich Sorgen um seinen Lebensunterhalt, seine Familie und darum, was mit uns geschehen wird", sagt er. 

Ein Mann und seine Tochter gehen händchenhaltend spazieren 
Bergarbeiter Nikolay Cholakov holt seine Tochter nach getaner Arbeit in Galabovo bei seiner Mutter ab Bild: Nikolay Doychinov/DW

Eine grüne Erholung von COVID-19? 

Seit Jahren verfolgen Mitkov und seine Kollegen die politische Debatte um den Übergang zu einer grüneren Wirtschaft. Die Europäische Union hat sich das Ziel zur CO2-Neutralität bis 2050 gesetzt, was bedeutet, dass Mitgliedsstaaten wie Bulgarien aus der Kohle aussteigen müssen. Mit dem Europäischen Green Deal stellt man den Mitgliedstaaten Mittel zur Verfügung, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und den Übergang zu einer grüneren Wirtschaft zu einem Bestandteil der wirtschaftlichen Erholung von der Corona-Pandemie zu machen.  

Dennoch beteuerte die bulgarische Regierung bis Anfang dieses Jahres, dass die Arbeitsplätze im Kohlesektor sicher seien. Ein Jahrzehnt lang wurde das Land von Premierminister Bojko Borissow regiert, dessen Regierung im vergangenen Jahr eine Erklärung verabschiedete, in der sie versprach, das staatliche Kraftwerk Maritsa Iztok II zu schützen und zwar "unabhängig von der Meinung der Europäischen Kommission zu diesem Thema". Für Mitkov und seine Kollegen fühlte sich der Green Deal wegen dieser Diskrepanz an "wie ein Gerücht, das wie ein Geist umherspukt".

Doch im April dieses Jahres verlor Borissow nach einer ergebnislosen Wahl sein Amt. Im Oktober kündigte eine Übergangsregierung an, dass Bulgarien bis 2038 aus der Kohle aussteigen werde. Die Festlegung eines Termins für den Kohleausstieg war eine Voraussetzung dafür, dass das Land Mittel in Höhe von 6,6 Milliarden Euro aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU beantragen konnte, die den Mitgliedstaaten helfen soll, nach dem Ausbruch der Corona Pandemie wieder auf die Beine zu kommen.  

Schwere Maschinen in einem Bergwerk bei Radnevo, Bulgarien  
Riesige Bagger sind in der Trojanowo-Mine von Mini Maritsa Iztok im Einsatz Bild: Nikolay Doychinov/DW

Der Anfang vom Ende der Kohle in Bulgarien? 

Bis zur im bulgarischen Konjunkturprogramm genannten Frist 2038 dauert es zwar noch - viele andere europäische Staaten streben das Jahr 2030 an. Der Plan sieht jedoch auch die Entwicklung neuer Kapazitäten in den Bereichen Gas und erneuerbare Energien vor, die einen Großteil der Kohlekapazitäten des Landes innerhalb der nächsten 10 Jahre ersetzen sollen.  

Alexander Nikolov, ehemaliger stellvertretender Energieminister der geschäftsführenden Regierung, erklärte gegenüber der DW, dass der Schutz der Braunkohle angesichts des CO2 Preises im europäischen Emissionshandelssyste - der in diesem Jahr ein Allzeithoch von über 60 Euro pro Tonne erreicht hat - nicht mehr rentabel sei. "Die Frage ist nicht, ob es einen Wandel geben wird, sondern wie dieser Wandel effizient und menschenfreundlich gestaltet werden kann", sagt Nikolov. Mit anderen Worten: Wie kann sichergestellt werden, dass der Kohleausstieg die Bulgaren nicht in Arbeitslosigkeit und Verarmung treibt?  

Am Tag vor der Vorlage des Sanierungsplans protestierten die Beschäftigten des Tagebaukomplexes Maritsa in der bulgarischen Hauptstadt Sofia und forderten die Regierung auf, ihre Arbeitsplätze zu schützen. Der Maritsa-Komplex beschäftigt in seinen Bergwerken und Kraftwerken 12.500 Menschen direkt, und nach Angaben der Gewerkschaften, die die Proteste anführten, sind weitere 100.000 Arbeitsplätze indirekt von diesem Sektor abhängig.  

Neben den 6,6 Milliarden Euro, die Bulgarien aus der Fazilität für Konjunkturbelebung und Krisenbewältigung beantragt hat, hat das Land Anspruch auf 1,2 Milliarden Euro aus dem EU-Fonds für einen gerechten Übergang, der eigens eingerichtet wurde, um die von diesen Arbeitnehmern befürchteten Auswirkungen zu bekämpfen - zum Beispiel durch Umschulung auf Arbeitsplätze im Bereich umweltfreundlicherer Energien.  

Ein Kohlekraftwerk, das Rauch ausstößt 
Im Maritsa-Komplex aus Berg- und Kraftwerken arbeiten 12.500 Menschen, viele andere sind vom Kohlesektor abhängigBild: Nikolay Doychinov/DW

Neue Arbeitsplätze durch Tourismus und grüne Energie? 

Rumyana Grozeva, die Direktorin der regionalen Wirtschaftsentwicklungsagentur von Stara Zagora, möchte diese europäischen Gelder nutzen, um eine florierende, gemischte Wirtschaft zu entwickeln, die erneuerbare Energien, Landwirtschaft und Tourismus miteinander verbindet.   

Der Tagebau Maritsa zerstört derzeit einige der fruchtbarsten Böden Bulgariens, und die geschäftsführende Regierung hat das Potenzial des Geländes für einen Gewerbepark oder eine Solarfarm ausgewiesen. Andernorts wären die Geschichte Thrakiens und die Kurorte von Stara Zagora reif für die touristische Erschließung, so Grozeva: "Wenn all diese Ressourcen als System gut geplant werden, hat [Stara Zagora] wirklich ein erhebliches Potenzial, zur Spitzenregion zu werden." 

Bergleute wie Mitkov befürchten jedoch, dass nach einem Jahrzehnt der Untätigkeit der Übergang zu einer grünen Wirtschaft schwierig werden könnte. "Vieles hätte schon längst begonnen werden müssen, aber man ist zu spät dran", sagt Mitkov. "Jeder dribbelt, aber keiner schießt den Ball".   

Während Länder wie Rumänien bereits Bergleute zu Technikern für Windkraftanlagen umschulen, gibt es in Bulgarien keine solchen Programme. Die Agentur für regionale Wirtschaftsentwicklung in Stara Zagora hat ein Pilotprogramm zur Umschulung von Arbeitern aufgelegt, das aber erst im Februar 2023 voll einsatzfähig sein wird, obwohl es immer wieder Anfragen von Kohlearbeitern gibt, die gerne daran teilnehmen möchten.  

Selbst diejenigen, die dem Kohleausstieg skeptisch gegenüberstehen, sagen, dass sie umschulen würden, wenn sie könnten. Nikolay Cholakov, Abteilungsleiter in der Reparaturabteilung des Bergwerks Maritsa, hofft zwar immer noch, dass die Kohle in Bulgarien eine Zukunft hat, aber wenn der Just Transition Fund ihm die Möglichkeit gäbe, sich für einen anderen Beruf zu qualifizieren, würde er diese Chance nutzen. 

Schwere Maschinen in einem großen Braunkohletagebau 
Könnten die Maschinen und die unfruchtbaren Weiten der Tagebaue durch Ackerland oder Solarkraftwerke ersetzt werden? Bild: Nikolay Doychinov/DW

Perspektiven für eine neue bulgarische Regierung 

Da in Bulgarien am 14. November die nationalen Wahlen bevorstehen, wird die Zukunft des bulgarischen Kohlesektors bald in den Händen einer neuen Regierung liegen. Julian Popov, Mitarbeiter der European Climate Foundation, geht jedoch davon aus, dass die Kohleverstromung - unabhängig vom Wahlergebnis - bereits im Jahr 2030 aufgrund der Marktkräfte eingestellt wird. "Ich glaube nicht, dass sich durch die Wahlen irgendetwas dramatisch ändern wird", so Popov. 

Die Gewerkschaften haben unterdessen angekündigt, egal wer die Macht übernehme, sie würden Druck ausüben, um die Kohleindustrie zu schützen. Und Grozeva ist nicht zuversichtlich, dass eine neue Regierung den Kohlearbeitern klar sagen wird, wie schnell Bulgarien den Übergang vollziehen muss. "Ich bin mir nicht sicher, ob es einen Politiker gibt, der stark und mutig genug ist, sich vor diese Leute zu stellen und ihnen die Wahrheit zu sagen", sagt sie.  

Dieser Artikel wurde vom Pulitzer Center unterstützt.